: Der König ist krank, lang lebe der Kronprinz!
■ Das Billard-Denkmal Ceulemans wankt / Unter den Europäern kann nur Blomdahl den Japanern Paroli bieten - er siegte souverän
Roter Teppich vor dem Kempinski, gesäumt von autogrammgeilen Schulkindern, die Hotelhalle gestopft mit Fotografen - alles klar: Weltcup im Dreibandbillard, zum dritten Mal inzwischen in Berlin. Gemach: Ganz so weit ist es mit den Billardprofis noch nicht - das Trallala galt der Eurofilmpreis-Verleihung, dem Lieblingskind unseres Kultursenators, des Herrn „Hassene Macke?“, gellt mir mein Redakteur ins Ohr. „Den Titel sülzt du mit dem wackelnden Ceulemans voll, und hier machste einen auf fietscher! Schreib, was Sache ist, sonst nehm‘ ich's vom Ticker.“ Also gut: Sache ist, daß es bei den Billardprofis noch entschieden familiärer zugeht - das Publikum ist klein und sachkundig, Spieler und Veranstalter kennen sich seit Jahren, die Grenzen sind ein bißchen fließend; da steht dann auch mal ein neuer Pressechef ins Haus, weil der bisherige, Harald Thiele, sich als einer der vier Komplementärspieler zur Auffüllung des zwölfköpfigen Profifeldes qualifiziert hatte (er war übrigens sehr gut und nahm dem letztjährigen Berlin-Sieger Komori einen Satz ab) - „Wer is Thiele? Na schön, ein Berliner, gebongt - aber wat is mit Ceulemans? Ich und der Leser wollen jetzt wissen: Wackelt er? Wenn ja: Wie, wo und warum?“ „Kommt ja alles, gleich, gleich...“ - es ist wirklich ein bißchen wie in einer Familie: Hier muß ein angeschickerter Onkel ruhiggestellt werden, dort hauen sich die Kinder ums Taschengeld - stopp! Hier ist Schluß mit der Familienähnlichkeit: Denn in den sechs Turnieren um die Weltmeisterschaft im Dreiband (zu der bisherigen Viererserie Paris, Antwerpen, Berlin, Valkenburg sind Palma de Mallorca und Tokio hinzugekommen) geht es immerhin um jeweils 100.000 bzw. 150.000 Mark an Preisgeldern.
Die besten vier werden gegen die jeweiligen vier Lokalspieler gesetzt, bei den übrigen acht Profis geht es schon in der ersten Runde in die vollen - denn Weltcup -Punkte gibt es nur ab der zweiten Runde, und die Punkte entscheiden, welche beiden Spieler absteigen und ersetzt werden. So hat es den hier unvergessenen Franzosen Vierat erwischt, der 1986 in Berlin gewann. Berlins Dieter Müller, zu Anfang der Saison als neunter eingestuft (erweiterte Abstiegszone, wenn man so will), hatte in diesem Jahr furios begonnen und belegte nach zwei Turnieren den dritten Platz, durfte sogar schon mit der Chance liebäugeln, in das Viergestirn der ganz Großen einzubrechen; andere alte Hasen dagegen, wie der Niederländer Rini van Bracht, der Italiener Zanetti oder der 59jährige US-Amerikaner Gilbert, krebsten am Tabellenende herum, während die Aufsteiger Karsten Lieberkind aus Dänemark und Fran?is Connesson aus Frankreich sich bereits munter im Mittelfeld tummelten. Zanetti, zu Beginn der Saison noch als fünfter eingestuft, verlor erneut gegen Connesson, Rini van Bracht kam gegen Lieberkind immerhin eine Runde weiter, bevor er gegen das schwedische Wunderkind Blomdahl unterging, und Gilbert machte dem Berliner Lokalmatador Dieter Müller eindrücklich klar, was gekonntes Verteidigungsspiel ist - ihm zeigte in der nächsten Runde Kobayashi ebenso nachdrücklich, warum der Japaner zu den besten vier gehört. Dieter Müller braucht sich nicht zu grämen - mit seinen 22 Punkten ist er schon zur Halbzeit der Turnierserie aller Abstiegssorgen ledig; seinen jetzigen fünften Platz sollte er halten können.
Das Halbfinale entsprach der Setzliste: treulich vereint die vier Großen - die Japaner Komori und Kobayashi, der Schwede Blomdahl und natürlich Ceulemans. Nur Komori hatte auf dem Weg dorthin größere Mühe, als er Connesson in einem begeisternden Fünf-Satz-Match fast buchstäblich niederringen mußte. Es hieß: Komori gegen Ceulemans und Blomdahl gegen Kobayashi. Blomdahl schlug Kobayashi überraschend glatt mit 3:0, und Ceulemans - Mensch, Keule! Im Viertelfinale hatte er den Franzosen Bitalis noch souverän mit einem Gesamtdurchschnitt von 2.25 Punkten pro Aufnahme von der Platte geputzt, aber gegen Komori ging er nach gewonnenem ersten Satz ziemlich sang- und klanglos mit 1:3 unter.
Ja, was ist los mit Ceulemans? In drei Turnieren nicht über das Halbfinale hinausgekommen, droht ihm die undankbare Rolle, unter den besten vier nur noch der vierte zu sein? Bereits vor dem Turnier hatte Allen Gilbert darauf hingewiesen, daß das dem Tennis nachempfundene neue Satzsystem dem Eröffnungsstoß immer größere Bedeutung zuweist - das haben anscheinend noch nicht alle gleichermaßen in ihrem Trainingsplan berücksichtigt. Unter den letzten acht lagen nur vier bei ihren Eröffnungsstößen deutlich über ihrem sonstigen Durchschnitt: Blomdahl, die beiden Japaner und - wen wundert's - Gilbert. Komori machte aus sieben Eröffnungsstößen 23 Punkte, Ceulemans dagegen ebenfalls aus sieben ganze neun Punkte - sechs davon im Spiel um den dritten Platz gegen Kobayashi, als er wieder hervorragend spielte und 3:0 gewann. Mehr noch: Drei seiner sieben Eröffnungsstöße hieb Ceulemans komplett in die Wolken, und wenn dieser Fehler gegen Siebert und Bitalis auch ohne Folgen blieb - Komori bestrafte ihn prompt mit einer Sechserserie und gewann den Satz. Fran?is Connesson versemmelte den Eröffnungsstoß ebenfalls zweimal: Zanetti antwortete mit vier - und gewann den Satz; Komori mit drei und gewann den Satz. Kurz: Das Studium der Eröffnungssituation macht noch nicht den Meister - aber im Spiel zwischen Meistern kann es den Ausschlag geben.
Eindeutig meisterlich in allen Belangen dagegen der 26jährige Schwede Thorbjörn Blomdahl - dabei spielt er erst seit 13 Jahren. Im Endspiel zeigte er noch einmal alles, was er konnte, besiegte Komori klar mit 3:0 und behauptete seine Führung im Weltcup souverän.
Meino Büning
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen