: Überwachungsgelüste regen sich im Westen überall
■ Oppositionsgruppen und Zeitungen: beliebte Zielscheiben der Überwachung / Erfahrungen aus den USA, Großbritannien und Frankreich
USA
Die Bespitzelung von Oppositionsgruppen hat in den USA eine lange Tradition. Berüchtigt war das FBI unter Edgar Hoover, nicht nur, weil es im Namen der inneren Sicherheit die Kommunistische Partei in den fünfziger Jahren und radikale schwarze Gruppen wie die Black Panther in den sechziger Jahren überwachte und unterwanderte. Vielen Amerikanern galt die „politische Polizei“ als Gefahr für die persönliche Freiheit - vor allem wegen ihrer Aktivitäten gegen die Bürgerrechts- und Anti-Vietnambewegung. Mit Einbrüchen, Fälschungen und anderen „dirty tricks“ versuchten FBI -Agenten, den Einfluß der Opposition zu unterminieren. Zwischen 1968 und 1973 waren allein im Washingtoner linksliberalen Think-Tank „Institut für Politik-Studien“ 52 FBI-Informanten aktiv. In dieser Zeit wurden auch auf Betreiben Henry Kissingers, der damals Präsident Nixons Sicherheitsrat leitete, bei mindestens vier Journalisten Abhöranlagen installiert.
Unter Reagan eskalierte der Überwachungskrieg erneut. Kurz nach der Amtsübernahme 1981 konzentrierte sich das FBI auf die Mittelamerika-Solidaritätsgruppen. Über Zehntausende von Aktivisten und Unterstützern wurden Akten angelegt. Priester, Nonnen und Gewerkschaftsmitglieder wurden verfolgt und selbst kleine, örtliche Gruppen unterwandert. Zur selben Zeit eskalierten FBI und CIA auch ihre Aktivitäten gegen die Friedensbewegung. Jahrelang bespitzelten US-Amerikaner im Auftrag des CIA auch die bundesdeutsche Friedensbewegung. Organisationen wie „Western Goals“ und die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ halfen dabei mit computergespeicherten Daten über die bundesdeutsche Opposition.
Michael Fischer
Großbritannien
Bis zum August 1985 führte Brigadier Stonham in Zimmer Nr. 105 des BBC-Broadcasting House in London ein recht geruhsames Leben. Dann enthüllte die britische Wochenzeitschrift 'The Observer‘, womit der unscheinbare Herr in der Zentrale der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt beschäftigt war: Der Brigadier arbeitete für den Geheimdienst MI 5 und überprüfte regelmäßig alle Bewerber um einen BBC-Job auf ihre potentiell „subversive“ Vergangenheit.
Diese Praxis ging auf ein Übereinkommen zwischen MI 5 und BBC aus dem Jahre 1937 zurück. Zunächst regten sich die BBC -Mitarbeiter über den Spion im eigenen Haus ganz furchtbar auf, bis die BBC-Führung mit den Gewerkschaften dann einen typisch englischen Kompromiß vereinbarten: Der Brigadier, der die ihm vorgeworfenen Routineüberprüfungen laut BBC und MI 5 offiziell nie vorgenommen haben soll, mußte selbige in Zukunft auf besondere sicherheitsrelevante Fälle einschränken. Daß der MI 5 in Großbritannien verdächtige Organisationen, Parteien und auch die Medien abhört und infiltriert, ist ein offenes Geheimnis. Immer wieder ist bekanntgeworden, daß Mitglieder der Kommunistischen Partei (CP), radikale Gewerkschafter, Mitglieder der Friedensbewegung und auch ehemalige Sympathisanten der in den 70er Jahren so modischen Splittergruppen vom MI 5 belauscht wurden. Das Netz des Geheimdienstes ist nicht unbedingt systematisch gespannt, jedoch eng genug, um so manchem unschuldigen Arbeitnehmer, der irgendwann einmal mit einer kommunistischen Freundin geflirtet hatte, seine öffentliche Karriere zu verderben. Während der kommunistische 'Morning Star‘ und auch der investigativ -unangenehme 'New Statesman‘ mit Sicherheit abgehört werden, hat sich in den etablierten und ausnahmslos rechtsgerichteten Boulevard- und Tageszeitungen der Fleet Street über die Jahre ein anderes System der Überwachung herausgebildet. „Agenten und Informanten des MI 5“, so erklärte der Autor des Buches Blacklist, Mark Hollingsworth, der taz gegenüber, sind in alle größeren Zeitungen eingeschleust worden. Und ein gerade publiziertes Buch über den „Wilson-Plot“, die versuchte Destabilisierung der Labour-Regierung in den 60er Jahren, verdeutlicht, daß oft die Verleger selbst Teil des „old boy networks“ waren und über die geheimdienstliche Unterwanderung ihrer Belegschaften aufs Genaueste Bescheid wußten.
Während die den Parlamentariern alljährlich vorgelegte Zahl der von der Regierung genehmigten Abhörvorgänge mehr verheimlicht als enthüllt, sprechen Experten von einer Verdoppelung der Lauschaktionen unter der Regierung Thatcher auf rund 30.000 „telephone taps“ pro Jahr. Da sie den neuen digitalisierten Fernmeldezentralen noch nicht trauen, müssen die vielgeplagten Telefoningenieure der Abhöreinheit AES 9 noch bei Nacht und Nebel durchs Land fahren, um in den lokalen Telefonzentralen das Geheimdienstkabel manuell anzuklemmen.
Rolf Paasch
Frankreich
Die französische Erfahrung zeigt: Insbesondere beim baldigen Umzug in die Berliner Kochstraße sollte die taz auf der Hut sein. Einer der größten Geheimdienstskandale der französischen Nachkriegsgeschichte handelt vom Umzug der satirischen Wochenzeitung „Canard Enchaine“ in seine nun schon wieder 15 Jahre alten Redaktionsgebäude in der Pariser Innenstadt. „Am 3. Dezember 1973 besuchte ich mit einem Kollegen gegen Abend zufällig noch einmal die neuen Redaktionsräume. Dabei überraschten wir mehrere Männer, die Apparate in der Hand hielten und sofort wegliefen“, erzählt heute Claude Angeli, Chefredakteur des Canard. Es brauchte dann nicht viel (Angeli: „Der Gips war noch frisch“), um festzustellen, daß der Geheimdienst des französischen Innenministeriums (DST) in sämtlichen Redaktionsräumen der Zeitung Abhörgeräte angebracht hatte. Die Affaire wurde schnell ein innenpolitischer Skandal. Nach wenigen Tagen konnte der 'Canard‘ - seit über siebzig Jahren für Brisanz und Zuverlässigkeit seiner Recherchen bekannt - die Namen von elf Geheimdienstoffizieren nennen, die an der Aktion teilgenommen hatten. Vier Monate später mußte dann der verantwortliche Innenminister Raymond Marcellin, heute Parlamentsabgeordneter, zurücktreten. Ein einmaliger Fall, zumal Marcellin, der sich unter anderem mit dem Verbot der trotzkistischen Partei LCR einen Namen machte, im ordnungswütigen Frankreich nach dem Mai '68 eine politische Schlüsselrolle spielte.
Georg Blume
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