: Schwan: VS abschaffen
„Der gefährlichste Verfassungsfeind ist der Verfassungsschutz“ / Der Berliner Verfassungsrechtler Professor Schwan (CDU) fordert die Abschaffung des VS ■ I N T E R V I E W
taz: Herr Schwan, sind Sie über das, was jetzt über die Arbeit des Berliner Verfassungsschutzes bekannt wird, überrascht?
Schwan: Überhaupt nicht! Daß diese Skandalbehörde auch für solche Dinge gut ist, damit habe ich gerechnet. Unser Innensenator ist ja auch der Meinung, daß diese Behörde berechtigt sei, illegal zu handeln, daß sie berechtigt sei, im dunkeln zu handeln, also nach James-Bond-Methoden, und da bleibt so etwas gar nicht aus. Das ist eben eine Behörde, die dazu verkommen ist - anders kann man das beim besten Willen nicht sagen - statt die heilige Aufgabe „Verfassungsschutz“ zu betreiben, sich als Schnüffelbehörde zur Verfügung zu stellen für die Bekämpfung des jeweiligen politischen Gegners und unbequemer Leute. Der Verfassungsschutz wird zur Zusammenstellung von Dossiers mißbraucht, die wiederum im politischen Kampf benutzt werden.
Ist nicht die Ausspitzelung ganzer Zeitungsredaktionen und Parteien, wie sie jetzt angenommen werden muß, nicht eine neue Qualität?
So neu ist das nicht. Das haben wir ja schon alles einmal erlebt. Da sind ja in Bonn schon einige Dinge publik geworden. Sie werden sich an die Ausspähung verschiedener Parlamentarier und Institutionen wie z.B. „Friedensdienste e.V.“ erinnern. Spranger hat ja auch schon Ausforschungsaufträge an den Verfassungsschutz gestellt, die dann auch erfüllt wurden.
Jetzt hat Bürgermeister Diepgen zur „Lösung“ des Konflikts die Überprüfung durch eine „unabhängige Persönlichkeit“ vorgeschlagen, die das Ganze bereinigen soll.
Kein Mensch glaubt daran, daß dadurch das Problem gelöst werden kann. Das ist der Versuch des Herunterspielens dieses Skandals, der sich seit Jahren für jeden, der Zeitung zu lesen vermag, hinter der Behörde verbirgt. Im Wahlkampf soll der Skandal heruntergespielt werden.
Was müßte denn Ihrer Meinung nach getan werden?
Ich vertrete seit geraumer Zeit in wissenschaftlichen Stellungnahmen und in den Medien die Auffassung, daß das Gefahrenpotential, das sich für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, für unsere Freiheit schlechthin in der Institution Verfassungsschutz herauskristallisiert hat, nur auf eine Weise zu bändigen ist: nämlich durch die ersatzlose Abschaffung dieser Behörde. Anders sind die Gefahren nicht zu bekämpfen. Die gefährlichste aller verfassungsfeindlichen Aktivitäten, die wir in unserer Zeit in unserer Gesellschaft zu beobachten haben, ist diejenige der Behörde Verfassungsschutz.
Das Interview führte: Vera Gaserow
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