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„Glasnost an der Uni“

■ Die Bremer Innenstadt lag lahm: 2.000 StudentInnen demonstrierten gestern gegen unzumutbare Studienbedingungen und gegen die Verschulung ihrer Ausbildung

12.000 unzufriedene StudentInnen demonstrierten gestern zwar noch nicht. Aber 2.000 waren es sicher, die sich mit Transparenten, Fahrrädern, Flugblättern, Pauken, Posaunen, Masken und Megaphonen, Kindern, KommilitonInnen und allem, was sich beim Demonstrieren sonst noch als nützlich erweist, am Hauptbahnhof versammelten.

Gegen 16.15 stoppte der riesige Demonstrationszug erstmals vor dem Amtsgebäude von Wissenschaftssenator Franke am Rembertiring. Vom von MusikstudentInnen eigens komponierten und vom Streikorchster intonierten „Uni-Trauermarsch“ bekam nur noch eine Minderheit der gleitzeitarbeitenden Bildungsbeamten hinter den wenigen erleuchteten Behördenfenstern etwas mit. Dafür kriegten die behelmten und beschildeten Polizeibeamten, die den Eingang mit einem dichten Kordon zu schützen Befehl hatten, etwas von den Antidepressiva-Smarties ab, die freundliche Krankenpfleger gegen „Uni-Frust“ verteilten oder in großer Freimarktsgeste ins ärgerliche Feierabend-Verkehrs

AutofahrerInnenvolk warfen. Der Bildunsgssenator sah „keinen Anlaß, seinen Terminkalender wegen einer Demonstration umzuwerfen“, wurde Frankes Unsichtbarkeit per Lautsprecherwagen aufgeklärt.

Also rückwärts und weiter zum neubetexteten Rhythmus von „Rock around the clock“ (Hey ihr Leute, spitzt die Ohren / wir wollen nicht nur mehr Professoren / wir wollen studieren im Projekt / weil darin viel mehr Power steckt), weiter durch den Herdentorsteinweg, Richtung Sögestraße. Weiter mit StudentInnen auf Krankenbahren, über deren Leiden folgende Plakataufschrift Auskunft gibt: „Diese Studentin hat den Hochschul-Entwicklungsplan hinterfragt, jetzt steht ihre Einweisung bevor“. Weiter auch mit StudentInnen, die ein lila Riesenbettlaken verbindet und Platzmangel an der Universität symbolisiert: „Wir teilen uns einen Studienplatz“.

An der Kreuzung zwischen Wall und Sögestraße droht die frech-gutgelaunte KämpferInnenstimmung einen kräftigen Dämpfer zu bekommen: Blitz

schnell haben Frauen die Kreuzung mit rot-weißem Plastikband nicht nur für Busse und Bahnen, sondern auch für den nachrückenden Demonstrationszug gesperrt. Hinter dem Plastikband haben verdutzte Männer plötzlich nichts mehr zu suchen und werden mit Nachdruck herauskomplimentiert. Über Lautsprecherwagen erfahren sie mitten auf der Kreuzung, warum: „Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen den Forderungen von Frauen und dieser Demonstration. Wir wenden uns gegen Männer an der Uni, auch gegen die Männer in dieser Demonstration, die uns in unseren Forderungen behindern. Wir wehren uns gegen Spanner auf den Uni-Klos. Wir sind überall von Anmache, Vergewaltigung und Mord bedroht.“ Forderungen der Frauen: „Eine eigene Frauen-Uni, feministische Wissenschaft, radikale Quotierung aller Uni-Stellen, mehr Lesben an die Uni.“

Pfiffe und „Spalter„-Rufe jenseits der Plastik-Barriere sollen die diesseits verlesenen Frauen-Forderungen abkürzen. Die „Weiter-, Weiter„-Forderungen

werden mit einem ebenso entschiedenen „Wichser, Wichser“ beantwortet: „Haut den Typen in die Fresse.“

Gehauen wurden die 1.000 Wichser dann doch nicht. Stattdessen zog der Demonstrationszug nach rund 10 Minuten friedlich Richtung Marktplatz, wo „Uni-Rock“ und „Demo-Lied“ noch einmal die Forderungen der StudentInnen klar machten.

Die haben sich am Ende der ersten Streikwoche eindeutig radikalisiert. Die Forderungen nach besseren Bedingungen für einen vorgeschriebenen Studienablauf, nach mehr Professoren, Büchern und Sitzplätzen sind ans Ende eines Forderungskatalogs gerutscht, der während der Demonstration verteilt wurde. An seinem Anfang stehen inzwischen Forderungen nach selbstbestimmten Studieninhalten, gegen Verschulung einer ausschließlich „high-tech-orientierten“ Ausbildung zu „angepaßten Fachidioten“, nach paritätischer Mitbestimmung in allen Gremien und Quotierung aller MitarbeiterInnen-Stellen:„Glasnost an der Uni.“

K.S.

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