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Die Wohnungsnot, die vom Himmel fiel

■ Nur ganz oben ist der „freie Wohnungsmarkt“ noch in Ordnung / Von Vera Gaserow

Zu einer Reihe von Krisensitzungen werden noch in diesem Monat Vertreter verschiedener Interessengruppen ins Bonner Bauministerium zusammengerufen werden. Wohnungsamtsleiter der großen Städte, Vertreter von Mieterbund und Wohnungsbauunternehmen sollen dort mit dem Minister Auswege aus einem Dauerproblem suchen, das es nach offizieller Lesart gar nicht gibt: die Wohnungsnot.

Wohnungsnot? Nein, das unschöne Wort hört man im Bonner Bauministerium gar nicht gern. „Diesen Begriff“, meint der Herr in der Pressestelle, „verwenden wir nicht. Er ist doch zu stark belegt mit den Erfahrungen der Nachkriegszeit. Daß die Menschen kein Dach über dem Kopf haben - davon sind wir weit entfernt.“

Soweit nun allerdings doch nicht. Immerhin sind auch nach offiziellen Schätzungen mehrere tausend Menschen obdachlos, Tendenz steigend. Auch die horrend steigenden Mieten und die dramatischen Szenen bei der Wohnungssuche hätten nichts mit echter Wohnungsnot zu tun, heißt es aus dem Bauministerium. Es handle sich dabei um „ein Verteilungsproblem“. Denn statistisch gesehen hat jeder „Kopf“ in der Bundesrepublik 35 Quadratmeter zum Denken und Sichbetten zur Verfügung, und das, so der O-Ton aus Minister Schneiders Ministerium, „gibt's nirgendwo anders. Bei der Wohnraumversorgung sind wir absolut auf Platz 1!“

Doch die Praxis macht aus der Wissenschaft der amtlichen Statistik pure Scharlatanerie. Schon seit Jahren ist die Wohnungssuche zumindest in den größeren Städten zum hilflosen Unterfangen geworden, dem bestenfalls durch organsierte Bandenbildung beizukommen ist: Person A, möglichst mit breitem Rücken, drängelt sich in der Schlange nach den druckfrischen Zeitungsexemplare mit den Immobilienanzeigen vor. Person B hält derweil die nächste Telefonzelle besetzt, um als erster telefonisch beim Vermieter anzuläuten und den Anschluß mit einem „tütt-tütt -tütt“ zu blockieren. Person C steht derweil mit vollgetanktem PKW bereit, um B samt adrett gekleideter Freundin mit 80 Sachen zur Wohnungsbesichtigung zu chauffieren, wo sie mißtrauisch die anderen beäugen, die es genauso gemacht haben.

10.000 Wohnungssuchende mit „Dringlichkeitsstufe“ zählt allein die Stadt Frankfurt. 18.000 BewerberInnen stehen in München für eine Sozialbauwohnung an. Und in Hamburg sollen es sich gleich rund 10.000 BewohnerInnen von städtischen Obdachlosenunterkünften und Stundenhotels in derzeit ganzen siebzehn freien Sozialwohnungen gemütlich machen.

Dabei hatte das, was der Deutsche Mieterbund heute mit recht gemäßigten Worten als „besorgniserregend“ und „alarmierend“ bezeichnet, vor drei Jahren gerade etwas von seiner Dramatik verloren: große Wohnungsbaugesellschaften diskutierten über Abrißprämien, um wenigstens die größten ihrer architektonischen Scheußlichkeiten in den Trabantenstädten „schleifen“ zu können. Versicherungskonzerne - bisher an der Spitze der klassischen Wohnungsbauinvestoren - verscherbelten ihren Wohnraumbestand an private Spekulanten. Das Geschäft mit der Ware Wohnung schien ihnen nicht mehr profitträchtig genug. Das Bundesbauministerium konnte schließlich triumphierend auf 200-300.000 leer stehende Wohnungen verwei sen - wobei die meisten dieser Wohnungen für diejenigen, die sie wirklich brauchten, uner schwinglich waren.

Unter dem heilsamen Schock der Hausbesetzungen um 1980 herum hatten damals die sozial-liberalen Wohnungspolitiker den Mietwohnungsbau mit Fördergeldern kräftig angekurbelt, und obwohl die Mieten weiter kräftig stiegen, schien eine weitere Zuspitzung der Lage auf dem Wohnungsmarkt vorerst gebannt.

Doch prompt malten Hausbesitzer das Gespenst einer Wohnraumübersättigung mit stagnierenden Mieteinnahmen an die Wand, und ebenso prompt zog sich die neue konservativ -liberale Regierungskoalition aus der staatlichen Förderung des öffentlichen Wohnungsbaus zurück. Eine relativ gleichmäßige Inflationsrate trug zusätzlich dazu bei, daß die krisensichere Immobilie als Kapitalanlage bei den Investoren im Kurs sank.

Der jährliche Mietwohnungsbau fiel ungebremst Richtung Null, während gleichzeitig der Bedarf nach mehr Wohnraum pro Person wuchs. Die Zahl der wohnungssuchenden Einzelhaushalte nahm durch geburtenstarke Jahrgänge junger Mieter kräftig zu, und steigende Ehescheidungsraten ließen den Wohnungsbedarf rapide nach oben klettern. Rund 100.000 neugegründete Haushalte werden allein dieses Jahr eine Wohnung suchen, und für Aussiedler werden 70.000 Unterkünfte gebraucht.

Heute stehen die regierenden Wohnungspolitiker vor dieser gesellschaftlichen Entwicklung wie vor einem unberechenbaren, den Gesetzen des Kaffeesatzes folgenden Rätsel. Dabei haben die Bonner Politiker diesen Kaffeesatz mit vermieterfreundlichen Gesetzen erst richtig zusammengebraut. Das Haushaltsstrukturgesetz, 1982 noch von den Sozialliberalen durchgepaukt, gab den Eigentümern von Sozialwohnungen die Möglichkeit, Fördermittel vorzeitig zurückzuzahlen und sich so von der jahrelangen Mietpreisbindung freizukaufen. Konsequenz: Von den bisher noch 3 Millionen Sozialwohnungen werden bis 1995 gerade 1,5 Millionen übrigbleiben. Die andere Hälfte wird bis dahin auf den „freien“ Wohnungsmarkt geworfen - mit „freien“ Mieten, versteht sich. 1983 war es die Kohl-Regierung, die den notleidenden Hausbesitzern zu Hilfe kam. Eine Gesetzesänderung über die Berechnung der Miethöhe legte fest, daß zur Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete künftig nur noch die Mietpreisvereinbarungen der letzten drei Jahre herangezogen werden. Da Hausbesitzer bei jeder Neuvermietung kräftig die Mieten erhöhen - nach den Erfahrungen des Mieterbundes sind Mietsteigerungen von 20 bis 30 Prozent an der Tagesordnung -, zog damit auch das allgemeine Mietnieveau rasant an. Denn durch die Gesetzesänderung wurden die Neuvermietungs-Mieten von heute zwangsläufig zu den Vergleichsmieten von morgen.

Zahlreiche Steuererleichterungen der Kohl-Regierung sorgten dann zusätzlich dafür, daß der Handel mit Wohnungen lukrativer wurde als der Neubau. Steuerlich belohnt wurde auch die Umwandlung von Wohnräumen in Geschäftsräume. Das vorerst letzte Geschenk machte die Bundesregierung den Immobilienbesitzern Ende letzten Jahres mit der Steuerreform. Ab 1990 wird die Gemeinnützigkeit von 3,4 Millionen Wohnungen aufgehoben. Nach Berechnungen des DGB entfällt damit ein Mietnachlaß von rund 80 Pfennig pro Quadratmeter, den die „Gemeinnützigen“ bisher ihren Mietern gewährt hatten, und das allgemeine Mietniveau wird ein weiteres Mal steigen.

Obwohl man trotz alledem in Bonn nicht von einer Wohnungsnot reden will, gerät Minister Schneider zunehmend unter Druck. Heftige Schelte an der Bonner Wohnungspolitik kommt dabei ausgerechnet aus Bayern, wo die Volkszählung plötzlich erbrachte, daß es 50.000 weniger Wohnungen als Haushalte gibt. Zum Besseren für die Mieter wird sich die Situation jedoch kaum wenden: Der Bundeshaushalt für dieses Jahr weist abermals eine Kürzung der Fördermittel für den Wohnungsbau um 150 Millionen Mark auf, und fast die gleiche Anzahl der in diesem Jahr neugebauten Wohnun gen wird durch Abriß, Zusammen legung oder Zweckentfrem dung wieder vom Markt ver schwinden.

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