: Volksfront 70 Jahre zu spät
■ Nach Hickhack um den Rathaus-Saal gedenken heute Sozialdemokraten und Kommunistinnen erstmals gemeinsam der toten Räterevolutionäre auf dem Waller Friedhof / Früher Prügel, Haß und Sanitäter
Ein wahrlich historisches Datum: Heute vormittag ab 11 Uhr wollen Sozialdemokratinnen und Kommunisten erstmals wieder friedlich und gemeinsam der toten Rä
terepublikaner auf dem Waller Friedhof gedenken.
29 Arbeitern hatte es an jenem 4. Februar 1919 das Leben gekostet, als sie spontan versuchten,
die niedergehende Räterepublik gegen Reichssoldaten und Freicorps-Männer zu verteidigen. Seither hatte das Datum „4. Februar“ in Bremen Jahr für Jahr für haßerfüllte Auseinandersetzungen gesorgt. Ohne Schlägereien zwischen Sozis und Kommunisten ging in der Weimarer Republik selten ein Gedenktag ab. Und auch Anno 1989 hatten die Vorbereitungen zum 4. Februar für etliches, wenn auch unblutiges „Hickhack“ gesorgt.
Schon die Beerdigung der gefallenen „Februar-Kämpfer“ im Jahr 1919 endete mit einem Eklat: Ein „gigantischer Trauerzug“ geleitete die Gefallenen unter den Klängen des russischen Trauermarsches „Unsterbliche Opfer, Ihr sanket dahin“ unter den Fahnen verschiedener Arbeiterorganisationen zum Waller Friedhof. Am Straßenrand verharrten ArbeiterInnen, manche weinend. Nach dem Kommunisten Miller ergriff der Mehrheitssozialist Rhein, Mitglied der provisorischen Regierung, das Wort. Er begann mit den Worten: „Was würden wohl die Toten jetzt sagen, wenn ihr Mund nicht für immer geschlossen wäre?...“ Der Schrei der Witwe eines gefallenen Bremer Arbeiters unterbrach ihn: „Rache würden sie rufen!“ Der Mehrheitssozialist Rhein wagte es angesichts der drohenden Haltung der Trauernden nicht, weiterzureden, sondern entfernte
sich schnell.
Heinz Kundel, heute 75 Jahre alt, hat als Kind am Waller Friedhof gewohnt und ist zu den Kundgebungen am 4. Februar „von Kindesbeinen mitgegangen“. Er erinnert sich: „Erst kam der Mord an Karl und Rosa, dann der 4. Februar. Den Haß zwischen den sozialdemokratischen und den kommunistischen Arbeitern kann sich heute ja keiner mehr vorstellen. Das war eine ungeheure Spannung - dieser Aufmarsch am Waller Friedhof. Reichsbanner (SPD) und Rotfrontkämpferbund (KPD) sind in Uniform aufeinander losgegangen. Und auch die Polizei hat jedesmal zugehauen, uns ohne Motivation auf den Kopf geschlagen.“ An das Grab der 29 Gefallenen hat Heinz Kundel noch andere Erinnerungen: „Wenn wir Kinder kleine Gänseblümchen pflückten, haben wir sie auf die Gräber gelegt.“
1933 zerstörten Faschisten das Denkmal von Bernhard Hoetger (vgl. Foto) auf dem Waller Friedhof. Doch Heinz Kundel war auch 1934 mit dabei, als Jugendliche rote Tulpen an der Grabstätte niederlegten. 3.000 Bremer ArbeiterInnen wagten es an diesem 4. Februar zum letzten Mal, dem Friedhof einen illegalen Besuch abzustatten. Das nächste Gedenken fand erst wieder nach dem Ende des Krieges statt. Doch die Aktionseinheit von Kommunist-und SozialdemokratInnen über
dauerte den 4. Februar 1946 nicht. KommunistInnen hielten die Tradition allein eisern aufrecht, bis in die 80er Jahre brachte die DKP zum 4. Februar zwischen 400 und 600 GenossInnen auf die Beine.
Vor dem 65. Jahrestag umwarben sie die SPDlerInnen dann per Brief. Doch dieser blieb unbeantwortet. Zum 70. Jahrestag schließlich war kein Brief mehr nötig, Personen aus beiden Parteien setzten sich ohne größere Berührungsängste in einem Initiativkreis an einen Tisch.
Doch richtig verschmerzt ist das blutige Ende der Bremer Räterepublik bis heute nicht. Das findet selbst Bürgermeister Wedemeier, der am Donnerstag feststellte: „Auch nach 70 Jahren weckt das Thema heftige Emotionen und Empfindlichkeiten.“ Dies betraf auch den Bürgermeister selber. Er hatte für das kulturelle Gedenken an die „Februar -Kämpfer“ das Rathaus zunächst nicht hergeben wollen. Dank einer Intervention der neuen Parteivorsitzenden Ilse Janz war das Hickhack dann aber beendet und den kommunistisch unterwanderten GedenkerInnen zumindest der kleine „Kaminsaal“ zugestanden worden.
B.D.
Heute 11 Uhr Demonstration: Bunker Pastorenweg, 11:30 Uhr Kundgebung Waller Friedhof,20 Uhr Kulturveranstaltung im Bremer Rathaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen