: Leicht und durchlässig
■ Die Galerie Ohse zeigt Arbeiten des Bildhauers Jossi Ben Jehoschua Blumenberg: Parallelschöpfungen zur Natur
Jossi Ben Jehoschua Blumenberg war Bildhauer. Er starb 1988 im Alter von 40 Jahren in Berlin. Eine Auswahl seiner letzten Arbeiten ist im Rahmen einer Gedächtnisausstellung in der Galerie Ohse versammelt.
Was den Besucher erwartet, sind Plastiken, die sich ganz unmodisch als an der Moderne orientiert zeigen. Geschmiedetes Eisen und die menschliche Gestalt - das Material ebenso wie das vorherrschende Thema der Arbeiten Blumenbergs wurzeln in einer langen bildnerischen Tradition. Zu einer Zeit, in der junge Künstler seiner Generation in jeder Hinsicht dem Druck nach dem Noch-nie-Dagewesenen, dem Neuen aussetzt waren, vermitteln Blumenbergs Plastiken den Eindruck einer beharrsamen, in diesem Sinne gewiß als konservativ zu bezeichnenden Künstlerpersönlichkeit.
Köpfe, Büsten, Torsi, seltene Ganzfiguren - die Werke dieses Künstlers sind Parallelschöpfungen zur Natur, sie orientieren sich am realen Vorbild, ohne es sklavisch nachzuahmen. Dagegen steht auch seine Technik: zu schalenartigen Rundungen geschmiedete Eisenplatten zeichnen fragmentarisch Körperformen nach, definieren stichpunktartig Umrisse. Schnitte und Risse im Material stehen als Kontrapunkte gegen diese körperhaft weichen Wölbungen, deren Struktur - von glatt bis porös - wie eine Haut die jeweilige Oberflächenspannung spiegelt. Dadurch, daß diese Körper, die Blumenberg dergestalt aufbaut, nicht geschlossen sind, wirken sie leicht und durchlässig. Der Betrachter kann in sie hinein und durch sie hindurchschauen, und was sich ihm einerseits als konvexe, in den Raum drängende Form darstellt, erweist sich andererseits als konkav, d.h. Raum umschließend.
Den Arbeiten Jossi Ben J. Blumenbergs ist das Prinzip der Gegensätzlichkeit eigen. Nicht nur sind sie gleichermaßen Raum verdrängend wie umgreifend, bestehen aus starren, schweren Eisenplatten und erwecken doch den Anschein nachgiebiger Leichtigkeit; sie erscheinen als abgeschlossenes Ganzes und bestehen doch aus bruchstückhaft aneinandergesetzten Einzelheiten.
Leichte Achsenverschiebung, Kippungen oder Umkehrungen der Schwerkraft, indem schwere Volumen etwa auf schmale Stelzen gestellt werden, erzeugen zusätzliche Spannung. Ein solcherart spannungsvolles, weil fragi
les Gleichgewicht charakterisiert beispielsweise die „Frau mit Zopf“: Hochgebockt, gestützt auf die dünnen Endpunkte beider Unterarme und des Zopfes, baut sich ein Ensemble aus Kopf und Händen auf. Eine Hand unterstützt leicht den Kopf, während die andere eine Gesichtshälfte bedeckt, beinahe verdeckt. Solcherlei Haltungen, sowie die Gesichtsausdrücke, die man zwangsläufig an den Schlitzen und Wölbungen auf der Vorderseite der Köpfe abzulesen glaubt, haben eine psychologisierende Wirkung, die den Plastiken einen Platz anweist, zwischen tragisch/traurig und grotesk/komisch angesiedelt.
Lassen die Plastiken durch formale Vereinfachungen und Übertreibungen bestimmter Partien gelegentlich an primitive schwarzafrikanische Skulpturen denken, so klingt in einigen der gezeigten Zeichnungen stärker eine Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Kubismus an. Viele dieser Zeichnungen, äußerst zart, mitunter auch verspielt und keineswegs räumlich entwickelt, kontrastieren augenfällig mit den dreidimensionalen, rostigen Geschwistern. Eine Parallelität zu den plastischen Arbeiten ergibt sich am ehesten bei den Tuschezeichnungen: Schwarze Flächen mit nur geringen Grauabstufungen und Aussparungen auf dem weißen Papier definieren in ähnlicher Weise menschliche Körper. Die Fragmente sind hier wie da so gesetzt, daß der Betrachter sie mitsamt den umgebenden Freiräumen zu einem Ganzen zusammenzieht. Das Fragment weist über sich hinaus.
S.H.
Galerie Rolf Ohse, bis 4.3.89
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