: Abschiebepässe „made in Berlin“?
■ Die Ausländerbehörde hat am Zustandekommen libanesischer Pässe mitgewirkt / Von Vera Gaserow
Das Tauziehen dauert schon zwei Jahre: Darf der Berliner Senat in den Libanon abschieben? Der jüngste Streit: Um z.B. auch Staatenlose in das Bürgerkriegsland ausfliegen zu können, hat sich die Ausländerbehörde (ohne Wissen der libanesischen Botschaft) Pässe besorgt, die sich nicht nur schon einen Tag nach der Ausstellung in der Berliner Abschiebeakte befanden, sondern die auch nachweislich auf Personenangaben der Berliner Behörde beruhen.
Der Berliner Rechtsanwalt Rüdiger Jung wunderte sich nicht schlecht, als er im vergangenen Dezember die Ausländerakte seines Mandanten H. einsah. Da hatte sich doch die Ausländerbehörde seit über einem Jahr vergeblich bei der libanesischen Botschaft in Bonn um einen Paß für den jungen staatenlosen Kurden bemüht, um ihn in den Libanon abschieben zu können. Und nun plötzlich sollte der Paß da sein (und das schon seit Monaten), ohne daß Anwalt und Mandant davon wußten.
“...bedauern wir Ihnen mitzuteilen, daß die Genehmigung der zuständigen Behörden in Beirut noch nicht vorliegt“, so hatte noch am 29. Juni letzten Jahres die libanesische Botschaft in Bonn dem Paßbegehren eine Absage erteilt. Eine Woche später jedoch lag das für eine Abschiebung notwendige Dokument überraschend auf dem Schreibtisch der Ausländerbehörde. „Erledigt, da Paß ausgestellt wurde (G -Liste)“, notierte dort ein Sachbearbeiter unter dem Datum 5.7. 1988 in H.s Ausländerakte.
Erstaunlich ist nur: der hier vermerkte Paß, ein sogenanntes „Laissez-passer“, trägt den Stempel vom 4.7. 1988 - nur einen Tag zuvor - und wurde offiziell im fernen Beirut ausgestellt. Seitdem fragt sich Rechtsanwalt Jung, auf welch geheimnisvollen Kanälen der Paß das schier Unmögliche schaffte: innerhalb eines einzigen Tages den Weg vom Libanon bis in die Berliner Amtstube hinter sich zu bringen.
Die Botschaft schafft's nicht...
Ins Grübeln kam Ende November auch Dieter Kierzynowski, ein anderer Berliner Rechtsanwalt. Auch für seinen Mandanten A. hatte die Ausländerbehörde den für die geplante Abschiebung notwendigen Paß beantragt. Doch die libanesische Botschaft in Bonn winkte ab. Herr A. habe sich vor seiner Flucht in die BRD illegal im Libanon aufgehalten, deswegen sei man gar nicht für ihn zuständig. A. könne weder mit einem Paß noch mit einer Einreiseerlaubnis rechnen. Mitte November 1988 vermerkte auch die Ausländerbehörde resigniert in der Akte, es sei nahezu unmöglich, einen Paß für A. zu bekommen.
Wenig später, im Dezember, war das Unmögliche geschehen. Bei einem Gerichtstermin zog dieselbe Behörde einen auf wundersame Weise bescherten Paß aus der Tasche: Ausstellungsdatum: 4.7. 1988 Ausstellungsort: Beirut.
Das Datum 4.7. 1988 trägt auch der Paß, mit dem der libanesische Mandant des Rechtsanwalts Wolfgang Klemm abgeschoben werden soll. Als Anwalt Klemm letzte Woche die Unterlagen bei der Ausländerbehörde einsah, entdeckte er auf den Aktendeckeln nicht nur die rätselshafte Aufschrift „Liste G“, sondern auch einen aufschlußreichen Brief. Mit Schreiben vom 22.9. 1988 nämlich, gut zehn Wochen nach dem vermeintlichen Ausstellungsdatum des Passes, teilt dort die libanesische Botschaft in Bonn mit, daß die Behörden des Heimatlandes bisher keine Genehmigung für die Ausstellung eines solchen Passes erteilt hätten. In absehbarer Zeit sei damit nicht zu rechnen.
...dem Senat gelingt's
Von vierzehn Fällen wissen Berliner AnwätInnen mittlerweile, in denen Flüchtlinge mit diesem dubiosen „laissez-passer“ und dem Vermerk „Liste G“ in den Libanon abgeschoben werden sollen. Insgesamt, so räumt der Sprecher des Berliner Innensenats, Birkenbeul, ein, umfaßt die „Liste G“ „einige wenige hundert“ zur Abschiebung nach Beirut vorgesehene straffällig gewordene Flüchtlinge aus dem Libanon. Anhand der vierzehn bisher überprüften Fälle haben die Berliner AnwältInnen einen ungeheuren Verdacht: die Pässe, so glauben sie, sind zumindest Teilfälschungen.
Sie wurden zwar möglicherweise von der „Surete Generale“ in Beirut abgestempelt, doch der Berliner Ausländerbehörde als Blanko-Dokumente zur Verfügung gestellt. Deutsche Beamte hätten dann Fotos und Namen der Abzuschiebenden eingesetzt was abgesehen von der politischen Brisanz ein grober Verstoß gegen die Paßhoheit der libanesischen Regierung wäre.
Für diesen Verdacht sprechen eine Reihe von Indizien, die der Berliner Innensenat bisher nicht schlüssig widerlegen konnte: Egal zu welchem Zeitpunkt die aus der Strafhaft entlassenen Flüchtlinge abgeschoben werden sollten - alle ihre Pässe tragen dasselbe Ausstellungsdatum: 4.7. 1988. Sie stammen alle aus einer Nummernserie und tragen andere Stempel als solche „Laissez-passers“, die zur selben Zeit im Libanon ausgestellt wurden. Statt eines eckigen Stempels hoch über dem Foto, haben „Berliner“ Pässe einen runden Stempel, der das Foto teilweise überdeckt. Und anstelle der üblichen Gebührenmarken von 750 Lira kleben in den Pässen der „Liste G“ nur Marken über 250 Lira.
Falsche Paßdaten
Die Angaben über die Staatsangehörigkeit und die Familienangehörigen basieren sämtlich auf dem Datenfundus der Berliner Ausländerbehörde. Leicht zu ersehen daran, daß sie teilweise falsch, weil sie von gefälschten alten Pässen abgeschrieben waren (die sich die zum Teil staatenlosen Inhaber beschafft hatten, um nach Berlin einreisen zu können). Aus einem libanesischen Zivilregister können sie jedenfalls nicht stammen. Sämtliche jetzt in Berlin verwendeten Ausweise enthalten den schriftlichen Vermerk „ausgestellt aufgrund des Sonderdekrets 456 vom 30.6. 1988.“ Bei den in Beirut ausgestellten Pässen fehlt dieser Hinweis, und niemand weiß bis heute, was eigentlich dieses Sonderdekret besagt.
Immerhin weiß man jedoch inzwischen, was sich hinter der geheimnisvollen „Liste G“ verbirgt. Das G, so gibt jetzt auch die Ausländerbehörde zu, steht für den Anfangsbuchstaben des damaligen libanesischen Staatschefs Gemayel - einem Mann, zu dem der frühere Berliner Innensenator Lummer freundschaftliche Beziehungen unterhielt. Daß eben dieser Gemayel einen ganzen Stapel Blankopässe an ausländische Staaten und Institutionen darunter auch die PLO - „verschachert“ hat, gilt in der libanesischen Presse als offenes Geheimnis.
Top secret bleibt jedoch, wie genau die Schiene Berlin -Beirut funktioniert hat. Nur durch Zufall wurden die Berliner AnwältInnen überhaupt auf die obskuren Pässe aufmerksam, denn normalerweise bekommen die Abschiebehäftlinge ihren Paß erst zu Gesicht, wenn sie im Flugzeug Richtung Heimat sitzen. Nur per Gerichtsbeschluß konnte ein Anwalt ein Einsichtsrecht in den Paß erhalten. In keiner einzigen Ausländerakte ist - wie es die korrekte Aktenführung einer Behörde verlangt - ein Vermerk enthalten, wer diese Reisedokumente wann und wo beantragt oder ausgestellt hat.
Sämtliche Anfragen, auf welchen Wegen die Pässe zustande gekommen sind und warum darüber nichts in den Akten zu finden ist, wurden entweder gar nicht beantwortet oder vom zuständigen Abteilungsleiter Chamier mit den Worten beschieden: „Im übrigen können Sie nicht erwarten, daß wir Angaben zur Praxis libanesischer Behörden bei der Verlängerung der Gültigkeit bzw. der Neuausstellung von Reisedokumenten machen.“ Weitere Akteneinsicht der AnwältInnen „dürfte sich damit erledigt haben“.
Eine Stufe höher, beim Berliner Innensenat, hüllt man sich ob der „Liste G“ in geheimnisumwobene Andeutungen - so als gelte es, eine Geburtstagsüberraschung nicht vorzeitig preiszugeben. Innensenator Kewenig und sein Staatssekretär Müllenbrock hätten einen „zugegebenermaßen unbürokratischen, aber doch rechtsstaatlichen Weg gefunden“, um die notwendigen Papiere für die rund 300 entlassenen Straftäter aus dem Libanon zu beschaffen, erklärt Kewenigs Sprecher Birkenbeul.
Nie und nimmer habe man Blankopässe aus dem Libanon bekommen, und „kein Berliner Beamter hat in einen libanesischen Paß gestempelt oder geschrieben“. Wie genau, das „unbürokratische“ und „einmalige“ Verfahren vonstatten gegangen ist, „kann und darf“ der Senatssprecher jedoch nicht verraten, weil er „sonst morgen Ärger kriegt“.
Darauf angesprochen, wie ein am 4.7. 1988 in Beirut abgestempelter Paß schon einen Tag später in Berlin sein kann, läßt Sprecher Birkenbeul nebulös durchklingen, die Pässe müßten ja nicht in Beirut ausgestellt sein. Eine von den libanesischen Behörden autorisierte Person, eine Art Bevollmächtigter, könne ja samt Stempelkissen in die Mauerstadt gekommen sein.
Ob es tatsächlich so war und wie diese Phantomfigur heißt, will Birkenbeul jedoch nicht verraten. Schließlich könnte diese Version zu erheblichen Verstimmungen bei der libanesischen Botschaft in Bonn beitragen, hinter deren Rücken die ganze Aktion stattgefunden haben muß. Auch dazu, daß jetzt Personen Pässe bekommen haben, denen die libanesischen Behörden zum selben Zeitpunkt das Reisedokument verweigerten, will Kewenigs Sprecher nur soviel sagen: „Wir haben ein gutes Gewissen. Es war ein rechtlich einwandfreies Verfahren.“
Warum man dieses Verfahren nicht offenlegt, wenn es doch so streng rechtsstaatlich gewesen ist? „Das“, so meint der Innensenatssprechers „ist eine kluge Frage.“ Nur beantworten darf er sie nicht.
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