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Wenn die Asylexperten das Sagen hätten...

■ ...dann sähe alles anders aus / Ein Bericht vom Hearing des Bonner Innenausschusses von Vera Gaserow

Als der Innenausschuß des Bundestages im November die Anhörung über „Asyl- und Flüchtlingspolitik“ ansetzte, da ahnte niemand, welche Brisanz das Thema drei Monate später haben würde. Seit dem Wahlerfolg der „Republikaner“ in Berlin vergeht kaum ein Tag, an dem nicht hektisch entworfene, oft realitätsferne Vorschlägen die Debatte anheizen. Und so wurde die Expertenanhörung am Montag auch zu einem Stimmungsbarometer für die Politiker.

Eingeladen hatte man zu dem ganztägigen Hearing so ziemlich alle, die in der Asyldebatte Rang und Namen haben: Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz, den Hohen Flüchtlingskommissar der UNO, Wohlfahrtsverbände, Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, Rechtsanwälte, Asylrichter und hohe Verwaltungsbeamte - insgesamt 25 Sachverständige (darunter gerade zwei Frauen) kamen und hatten zuvor auf über 600 Seiten Papier ihre Stellungnahmen vorgelegt - nur die Betroffenen selbst wollte man wieder einmal nicht als Experten ansehen.

Für die meisten der Sachverständigen war es die zweite Anhörung dieser Art. Schon vor drei Jahren, im März 1986, hatten sie den Parlamentariern Rede und Anwort gestanden, und die Mehrheit war dabei mit der Asylpolitik der Bundesregierung hart ins Gericht gegangen. Damals standen vor allem die Abschreckungsmaßnahmen gegen Flüchtlinge im Vordergrund: die erzwungene Unterkunft in Sammellagern und das fünfjährige Arbeitsverbot.

Längst haben sich die Warnungen der Experten von damals bewahrheitet. Auch von den Konservativen traute sich daher am Montag niemand mehr zu behaupten, die abschreckenden sozialen Lebensbedingungen hätten Asylbewerber von einer Flucht in die Bundesrepublik abgehalten. Statt dessen hat sich die Debatte verschoben. Kernpunkte der Asyldiskussion 1989 sind die Öffnung der europäischen Binnengrenzen 1992, die in diesem Zusammenhang immer wieder erhobene Forderung nach einer Änderung des Asylartikels im Grundgesetz und die Fremdenfeindlichkeit.

Flüchtlingsnot und

unser Wohlstand

Ob und wie man dieser Fremdenfeindlichkeit begegnen sollte, darüber gingen die Meinungen auf dem Expertenhearing scharf auseinander. Der Vertreter des Caritasverbandes warnte eindringlich, daß „das Prinzip der Abschreckung nicht länger Grundprinzip der Asylpolitik sein darf“. Mahnungen kamen auch von der katholischen Bischofskonferenz. Man erkenne zwar an, sagte Weihbischof Wöste, „daß es, wie in allen Politikbereichen, eine Belastungsgrenze durch große Zahlen von Flüchtlingen geben kann. Die Deutschen Bischöfe sind jedoch der Meinung, daß „die Belastungsgrenze auch heute bei uns in der Bundesrepublik nicht überschritten ist“. Bei der Festsetzung dieser Grenze müßten gleichzeitig „die Größe der Flüchtlingsnot in der Welt und unser Wohlstand“ beachtet werden.

Auf eine Verpflichtung der Bundesrepublik für die Flüchtlinge aus der Dritten Welt verwies auch der Vertreter von terres des hommes: „Die Welt hat sich in den letzten 50 Jahren erheblich geändert. Es gibt keine klare Trennung zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und politisch Verfolgten mehr. Die Industrienationen sind dabei ursächlich an dem Flüchtlingsproblem beteiligt. Und ein Land wie die Bundesrepublik, das an 157 Länder Waffen exportiert, darunter 70 Prozent in sogenannte Entwicklungsländer, kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen.“

Gegenüber dem einmütigen Votum von Kirchen, Menschenrechtsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden waren die von der CDU/CSU-Fraktion geladenen Experten in der Minderheit. Das Gespenst von 15 Millionen indischen Sikhs, die demnächst in die Bundesrepublik kämen, malte Ministerialrat Dr. Zitzelsberger aus dem bayerischen Innenministerium an die Wand. So viele Sikhs gebe es immerhin, „und wenn zwei kommen, warum sollen dann nicht alle anderen hinterherreisen?“ Eine drohende Wohnraumzwangsbewirtschaftung gar, bei der jeder Bürger Platz machen müsse für einen Asylbewerber, sagte der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände voraus: „Die Aufnahmefähigkeit der Kommunen ist erschöpft. Die Akzeptanzgrenze der Bevölkerung ist überschritten.“

Minutenlang „überschwemmten“ und „überfluteten“ im Bundeshaus die „Asylantenströme“ die Bonner Politiker, und keiner von ihnen merkte, daß sie mit diesen Worten auch den freundlichen jungen Kellner meinten, der im Laufe des Tages immer verschlossener wurde. Während CDU/CSU-Politiker und ihre Experten von der „Belastung durch die Asylantenschwemme“ und von den „Rauschgiftzentralen der Schwarzafrikaner“ sprachen, ließen sie sich wohlgemut von dem afghanischen Flüchtling mit Schwarzwälder Kirschtorte und Kaffee bedienen.

Juristisch ausgereizt

Viele Möglichkeiten, die Zahl der Asylbewerber einzuschränken, sahen jedoch auch die konservativen Politiker und Experten am Montag nicht. Fast einhellig betonten die juristischen Sachverständigen, daß die Karten für eine weitere Asylverschärfung „ausgereizt“ seien. Auch eine Beschleunigung der Asylverfahren und verstärkte Abschiebungen von De-facto-Flüchtlingen seien kaum realistisch. Ablehnend äußerten sich die Juristen auch gegen Vorschläge aus CDU-Kreisen, sogenannte Grenzrichter im Eilverfahren über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheiden zu lassen und abgelehnte Flüchtlinge sofort wieder zurückzuweisen.

Daß der juristische Rahmen derzeit ausgeschöpft ist, diente jedoch am Montag CDU-Politikern als Argument für ihre Forderung nach einer Grundgesetzänderung. Gerade im Hinblick auf offene Grenzen in Europa müsse die Bundesrepublik ihr Asylrecht dem der anderen Staaten angleichen, um nicht zum Reserve-Asylland zu werden. Doch auch hier ernteten die Konservativen bei der Mehrheit der Sachverständigen Widerspruch. „Es liegen“, so führte der UNO -Flüchtlingskommissar in seinem Gutachten aus, „keine Anhaltspunkte dafür vor, daß das Asylsystem der Bundesrepublik wesentlich offener ist als in den übrigen EG -Mitgliedsstaaten“. Derzeit würden sogar mehr Flüchtlinge aus der Bundesrepublik in benachbarte europäische Staaten weiterreisen als umgekehrt.

Vertreter der Wohlfahrtsverbände und Kirchen warnten, die geplante „Harmonisierung“ des Asylrechts werde zu einer Konkurrenz um das schäbigste Asylrecht führen. Und auch Juristen fragten, ob das Grundrecht auf Asyl überhaupt zu Disposition gestellt werden könne, ohne daß die Bundesrepublik dann gegen andere Verfassungsartikel verstoße, wie zum Beispiel das Grundrecht der Menschenwürde. Außerdem sei die Bundesrepublik ja immer noch an die Genfer Flüchtlingskonvention gebunden und könne deshalb nicht unbeschränkt Flüchtlinge zurückweisen oder abschieben. Politisch derzeit nicht durchsetzbar, wenig sinnvoll und juristisch zweifelhaft - so lautete das Fazit der Expertenmehrheit zum Thema Grundgesetzänderung.

Wären die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag so wie in diesem 25köpfigen Gremium, die Bundesregierung müßte, statt das Asylrecht zu verschärfen, eher das Arbeitsverbot und die Lagerunterbringung für Flüchtlinge aufheben und den De-facto-Flüchtlingen ein gesichertes Aufenthaltsrecht zusichern. Doch die Sachverständigen waren ja nur für einen Tag in Bonn, und auf ihre Vorschläge hatten die Politiker schon 1986 nicht gehört. So meinte denn auch einer von ihnen, der Frankfurter Rechtsanwalt Pfaff, man müsse schon froh sein, wenn nach dieser Anhörung endlich mit der unrichtigen Behauptung vom 90prozentigen Asylmißbrauch Schluß sei.

Alle Vorschläge des Hearings würden „mit großem Engagement und mit Unvoreingenommenheit geprüft“, versprach zwar der Vertreter des Bundesinnenminsteriums. Doch etlichen Parlamentariern dürfte auch in Zukunft die Meinung der Sachverständigen weniger wichtig sein als die ihrer Wählerbasis. Und die kam am Montag schon wenige Meter vom Sitzungssaal im Imbiß vor dem „Langen Eugen“ zu Wort - in Gestalt eines Currywurstverkäufers, der seine Küchenhilfe mit einem: „Schneller, mein philippinisches Wildschwein“ zur Arbeit antrieb.

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