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Klima-GAU: Nicht den Teufel an die Wand malen

■ Der Münsteraner Klimatologe Wilfrid Bach hat einen konkreten Fahrplan gegen die Klimakatastrophe vorgelegt / Ausstieg aus den fossilen Energieträgern bis Mitte des nächsten Jahrhunderts / Ist die Zunahme der Wetter-Extreme schon ein Signal der Klima-Veränderung?

taz: Der wärmste Januar und der wärmste Februar dieses Jahrhunderts, der mildeste Winter seit Jahrzehnten. Muß man solche Wetterextreme schon als Auswirkungen der Klimaveränderung ansehen?

Wilfrid Bach: Wir können einen solchen unmittelbaren Zusammenhang nicht nachweisen, wir können ihn aber auch nicht ausschließen.

Wenn der Nachweis nicht möglich ist, besteht dann nicht die Gefahr, daß künftig trotz einer Häufung ungewöhnlicher Wetter-Ereignisse alle diese Phänomene noch mit der „natürlichen Schwankungsbreite“ des Wetters erklärt und abgetan werden?

Die Diskussion, ob bestimmte meteorologische Phänomene bereits auf den Treibhauseffekt zurückgehen oder noch „natürlich“ sind, ist nicht sehr fruchtbar. Das ist die falsche Fragestellung. Festzuhalten ist folgendes: Wir haben eine alarmierende Zunahme an klimawirksamen Gasen. Die wichtigsten sind Kohlendioxid, Methan, Stickoxide, FCKWs. Diese Gase beeinflussen stark den Treibhauseffekt. Dieser Effekt wird durch natürliche Wetter-Phänomene überlagert. Wann die auf menschliche Aktivitäten zurückgehenden Anteile von den natürlichen unterscheidbar sein werden, diese Frage kann Ihnen zur Zeit niemand genau beantworten. Aber es ist wirklich nicht die entscheidende Fragestellung. Viel wichtiger ist die Frage, wie wir den Anstieg der Treibhausgase abbremsen können.

Die Klima-Diskussion wird häufig viel zu vordergründig geführt. Es geht dabei auch nicht allein um den Temperaturanstieg. Damit eng verbunden sind Veränderungen in der gesamten atmosphärischen Zirkulation. Diese verändert wiederum die Niederschlagsverteilung und -intensitäten. Und eine weitere Konsequenz ist die Zunahme von Klima-Extremen, also mehr Dürren, mehr Überschwemmungen, mehr Stürme.

Die hatten wir bereits im vergangenen Jahr. Da gab es den Streit, daß ein Teil Ihrer Kollegen sagte, die Dürre in den USA oder die Stürme im Pazifik seien bereits Signale der Klimaveränderung.

Wir sollten uns hier nicht festbeißen. Klimaphänomene kann man immer nur in einem längeren Zeitraum diskutieren. Klima ist etwas Fließendes, ohne Anfang und ohne Ende. Man kann dabei nicht einfach ein Jahr herauspicken und es isoliert betrachten. Tatsache ist, daß die Treibhausgase wirksam sind und daß sie zunehmen. Und wir müssen alles tun, um sie zu reduzieren.

Sie haben dazu Modellrechnungen durchgeführt. Ist ein Temperaturanstieg von ein bis zwei Grad denn noch zu verhindern?

Die mittlere globale Temperaturerhöhung um ein bis zwei Grad bis zum Jahre 2100 gegenüber dem vorindustriellen Wert stellt eine sorgfältig abgewogene Erwärmungsobergrenze dar. Mit dieser Vorgabe läßt sich durch Klima-Modelle berechnen, um wieviel Millionen Tonnen wir den Output der klimabeeinflussenden Gase - vor allem des CO2 - reduzieren müssen, um diese Erwärmungsobergrenze nicht zu überschreiten. Ob wir unter dieser Grenze bleiben, hängt davon ab, welche Maßnahmen wir ergreifen und wie schnell wir sie durchführen.

Können Sie uns einige Eckdaten nennen? Wie stark müssen wir den Ausstoß an Kohlendioxid drosseln.

Es gibt hier sehr unterschiedliche und leider auch sehr willkürliche Zahlen. Auf der Klimakonferenz in Toronto wurde z.B. gefordert, die CO2-Emissionen bis zum Jahre 2005 um 20 Prozent gegenüber 1986 zu reduzieren. Da hier ein konkreter Bezugspunkt - also analog zu unserer Zielvorgabe von maximal ein bis zwei Grad Erwärmung - fehlt, sind die Zahlen von Toronto rein politische Zahlen und ohne Klimarelevanz. Ähnlich ist es mit den Zahlen in der amerikanischen Gesetzesvorlage zur „Verhinderung einer globalen Erwärmung“. Da werden Prozente und Zahlen proklamiert und niemand weiß, warum und wieso.

Welches sind Ihre Zahlen?

Wir arbeiten mit konkreten Zielvorgaben und Klimamodell -Rechnungen. Unser Ergebnis: Um unter der Erwärmungsgrenze von ein bis zwei Grad Celsius im Jahr 2100 zu bleiben, müssen wir global bis zum Jahr 2000 den CO2-Ausstoß um mindestens 35 Prozent gegenüber dem Wert von 1980 reduzieren. Und bis zum Jahre 2020 müssen wir sogar um 70 Prozent gegenüber 1980 runter, und wenn Sie noch weiter in die Zukunft gehen, dann muß bis zum Jahr 2050 um 90 Prozent reduziert werden. Die Schlußfolgerung aus diesem Ergebnis lautet: Wir müssen bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts fast ganz aus den fossilen Energieträgern ausgestiegen und in eine dauerhafte Energiewirtschaft auf der Basis der effizientesten Energietechniken und der erneuerbaren Energiequellen mit Wasserstoffwirtschaft umgestiegen sein.

Sie haben jetzt die globalen Zahlen genannt. Die einzelnen Länder blasen aber sehr unterschiedliche Mengen an CO2 und anderen Treibhausgasen in die Atmosphäre.

Das ist richtig, und deshalb muß man sich einzelne Länder vorknöpfen und die erforderlichen Emissions-Reduktionszahlen auch auf einzelne Länder beziehen. Wir haben Modellrechnungen, die sehr aufwendig sind, auch für die Bundesrepublik durchgeführt. Die prozentualen Werte für die Bundesrepublik liegen natürlich höher. Denn die Bundesrepublik hat einen sehr viel höheren Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß als die meisten anderen Länder. Sie muß also auch anteilmäßig stärker reduzieren.

Wie hoch ist denn der Anteil der Bundesrepublik am weltweiten CO2-Ausstoß?

Weltweit wurden 1987 laut BP circa 23.000 Millionen Tonnen CO2 emittiert. In der Bundesrepublik waren es 783 Millionen Tonnen, das sind rund dreieinhalb Prozent. Für die Bundesrepublik haben wir nun folgenden Reduktionsfahrplan ermittelt. Bis zum Jahr 2000 muß der CO2-Ausstoß um circa 50 Prozent reduziert werden und bis 2050 um circa 95 Prozent gegenüber 1980.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, diesen Fahrplan auch tatsächlich umzusetzen?

Zunächst ist es wichtig, daß solche Reduktionspläne überhaupt aufgestellt werden. Ich bin kein Freund davon, immer nur den Teufel an die Wand zu malen. Vielmehr geht es mir darum, die Probleme im Vorfeld durch konkrete Maßnahmen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Man muß hier sehr konkret werden, dann hören die Politiker auch wieder hin. Und die Möglichkeiten der Reduzierung von CO2 sind ja beträchtlich.

Können Sie das für unsere Leser einmal aufdröseln, was hier in welchen Bereichen eingespart werden kann?

Zunächst möchte ich noch eine Zahl einführen. Wenn man nämlich die erforderliche Reduktion von CO2 für die Dekade 1990-2000 auf eine jährliche Quote umrechnet, kommt man auf 36 Millionen Tonnen, die in jedem Jahr zu vermeiden sind. Wie ist das zu erreichen: Die wirksamste Strategie ist sicherlich ein rationellerer und sparsamerer Energieeinsatz. Durch Investitionen in effizientere Energietechniken läßt sich fünf bis sieben Mal mehr CO2 vermeiden als durch Investition in die Atomenergie. Das ist übrigens neben dem ungelösten Sicherheits- und Entsorgungsproblem das Hauptargument gegen die Atomenergie. Im übrigen kann jeder selbst nachprüfen, daß trotz des drastischen Ausbaus der Atomenergie in den letzten Jahren der CO2-Ausstoß keineswegs zurückgegangen ist. Die Atomenergie erdrückt durch ihr Überangebot alle Einsparversuche und sie bindet Kapital, das dringend für den Ausbau neuer Energieträger benötigt wird. Fazit: Atomenergieausbau und effizientere Energienutzung sind nicht miteinander vereinbar.

Können Sie noch einige andere konkrete Beispiele nennen, wo CO2 vermieden werden kann?

Der Tempolimit-Großversuch des TÜV hat ergeben, daß durch Tempo 100/80/30 km/h auf Autobahnen, Bundesstraßen und im innerstädtischem Verkehr circa 26 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden können. Damit ist schon beinahe die Quote für ein Jahr von 36 Millionen Tonnen erfüllt. Ein verbesserter Wärmeschutz an Gebäuden würde nach Berechnungen des Umweltbundesamt circa 95 Millionen Tonnen bringen. Die Umstrukturierungen in der Stahl-Industrie könnten rund neun Millionen Tonnen CO2-Emissionen verhindern. Die Liste der Einsparmöglichkeiten ließe sich noch lange fortsetzen.

Von verschiedener Seite, von Eurosolar, aber auch von US -Senatoren, kam der Vorschlag, eine internationale Kohlendioxid-Steuer einzuführen, um den „Ausstieg“ aus den CO2-Emissionen zu beschleunigen.

Eine CO2-Steuer nur für die EG-Länder von 0,5 Cents pro Kilowattstunde fossiler Energieträger könnte schon mehr als 50 Milliarden Dollar im Jahr bringen. Die BRD müßte hier circa 14 Milliarden Dollar zahlen und Frankreich 7,7 Milliarden. Dieses Geld müßte in den Entwicklungsländern investiert werden, um dort die Wald- und Bodenzerstörung einzudämmen, was wiederum das CO2-Klimaproblem entschärfen würde.

Aber die Betreiber der Atomkraftwerke werden sich doch bei einer CO2-Steuer die Hände reiben.

Um überhaupt etwas zu erreichen, sollten wir zunächst mit einer CO2-Abgabe beginnen und diese dann auch auf die anderen Energieträger ausdehnen.

Interview: Manfred Kriener D O K U M E N T A T I O N

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