: Der zweite Markt
■ Anläßlich des unabhängigen Kulturkongresses in Warschau entdeckt Polens offizielle Presse den Samizdat
Grzegorz Boguta, Leiter des größten und traditionsreichsten polnischen Untergrundverlags, hätte es sich noch vor fünf Monaten nicht träumen lassen, was sich am Samstag in der Warschauer Universität abspielte. Dort drängte sich zwischen Ständen mit den neuesten Erzeugnissen des polnischen Samizdat nahezu alles, was Rang und Namen hat in Polens Geistesleben. Angefangen von Regisseur Andrzej Wajda, über Jan Jozef Szczepanski, den Vorsitzenden des '83 aufgelösten Schriftstellerverbandes, und Stefan Bratkowski, den Präses des ebenfalls 1983 aufgelösten Journalistenverbandes, bis zu Vertretern des polnischen Pen-Klubs. Selbst Nobelpreisträger Czeslaw Milosz und der Regisseur Tadeusz Kantor hatten Grußtelegramme geschickt.
Das „unabhängige Kulturforum“, das in den Hallen der Warschauer Universität stattfand, sollte sozusagen die Fortsetzung jenes „Kongresses der polnischen Kultur“ sein, der exakt am 13.Dezember 1981 dem Kriegsrecht zum Opfer gefallen war. Hinterher hatten die Behörden behauptet, der Kongreß habe der Vorbereitung eines Putsches gegen die Staatsmacht gedient, acht Jahr später hegt offenbar niemand mehr solchen Verdacht. Zwar waren Vertreter regierungsnaher Vereinigungen wie des offiziellen Schriftsteller- und Journalistenverbandes nicht erschienen, doch hatten die Behörden dem Vorhaben der Organisatoren auch keine Hindernisse in den Weg gelegt. Und so konnten sich in den Gängen des Hauptgebäudes der Uni Warschau Untergrundverleger, Schriftsteller, Oppositionelle, Musiker und Dichter ein Stelldichein geben.
Der Schriftsteller Jacek Bochenski rief noch einmal die Anfänge der polnischen Samizdat-Bewegung in Erinnerung. 1976 hatte alles angefangen, als nach den Arbeiterunruhen von Ursus und Radon aus dem „Komitee zur Verteidigung der Arbeiter“ der erste Untergrundverlag entstanden war. Nowa, so heißt er, existiert bis heute, sämtliche politischen Veränderungen, Verfolgungen, Beschlagnahmungen und Internierungen haben ihm nichts anhaben können. Heute sitzt Verlagschef Boguta gar als Oppositionsvertreter am runden Tisch. Die Staatsmacht wirft den ungeliebten Verlegern, derer sie häufig trotz Kriegsrecht und jahrelanger Verfolgung nicht habhaft werden konnte, gerne vor, sie produzierten überwiegend antikommunistische Propaganda und Pamphlete ohne jeden künstlerischen Wert. Jacek Bochenski verhehlt nicht, daß sich unter dem Mantel des Samizdat auch manch Abstoßendes verbirgt: von antisemitischen Pamphleten bis zu stumpfsinniger Agitation. „Der Samizdat ist ein Spiel unseres Lebens“, meint er schlicht.
Dies registriert in letzter Zeit offenbar auch die Gegenseite. Vor zwei Wochen etwa widmete die Parteiwochenzeitung 'Polityka‘ dem polnischen Samizdat eine ausführliche, mehrseitige und nach Ansicht vieler Betroffener auch ziemlich objektive Reportage. Und längst hat auch die 'Trybuna Ludu‘ die Konkurrenz vom sogenannten „zweiten Markt“ zur Kenntnis genommen, und sei es auch nur, um polemisieren zu können.
Jenen „zweiten Markt“ zu übergehen, ist in Warschau in der Tat immer schwieriger geworden. Täglich verkaufen Studenten vor dem Uni-Gebäude in Warschau die immer noch verbotenen Bücher unter den Augen der dort stets patrouillierenden Polizeibeamten. Selbst in der Nähe des ZK-Gebäudes und im Eingang des Gebäudes der polnischen Presseagentur 'pap‘ wurden bereits Samizdat-Erzeugnisse verkauft. Von daher ist das Kulturforum auch Ausdruck für das in den letzten Jahren gewachsene Selbstbewußtsein der Untergrundverleger. Deren Beitrag zur polnischen Kultur war denn auch auf dem Forum unbestritten, um so mehr, als viele der anwesenden Schriftsteller ohne die Samizdat-Verlage oft jahrelang hätten überhaupt nicht produzieren können. Der Schriftsteller Gustaw Holoubek warnte allerdings davor, in Selbstbeweihräucherungen und Märtyrerposen zu verfallen. Was sich nicht alle Redner zu Herzen nahmen.
Zwar ist der „zweite Markt“, wie es Grzegorz Boguta ausdrückte, inzwischen zu einem mächtigen Industriezweig geworden - pro Jahr erscheinen landesweit circa 400 neue Buch- und Zeitschriftentitel - doch sieht die Zukunft vor allem für die kleineren Verlage eher schwarz aus. Und dies, so berichtet ein Kolporteur eines Untergrundverlags, vor allem der Liberalisierung der Zensur wegen. Damit werden die Erzeugnisse des „ersten Marktes“ immer attraktiver, und den Untergrundverlagen kommt der Reiz des Verbotenen abhanden: Gefragt sind dann immer mehr Qualität, Ausstattung, günstige Preise und schnelle Veröffentlichung. Gerade hier sind die großen Verlage wie Nowa und Rytm selbst den staatlichen Betrieben unterlegen. Gerade letzterer hat als erster die polnische Ausgabe von Lech Walesas Memoiren vorgelegt, in einer Ausstattung, die selbst das französische Original übertrifft. Solche Verlage werden eine Gesundschrumpfung, wie sie von manchen vorausgesagt wird, leicht überstehen. Für die anderen, kleineren, weniger konkurrenzfähigen Verlage ist das Erreichen ihres ursprünglichen Ziels, die Zurückdrängung der Zensur, hingegen die größte Gefahr fürs Überleben.
Klaus Bachmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen