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Ein sterblicher, sündiger Mensch

■ Das Begräbnis der letzten Kaiserin von Österreich

Martina Kirfel

Der Zeremonienmeister klopft an das Portal der Kapuzinergruft. „Wer begehrt Einlaß?“ ruft von drinnen ein Mönch. „Ihre Majestät, Zita, Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn, Königin von Böhmen, Dalmatien, Kroatien, Slavonien, Galizien...“ Der Mönch antwortet: „Ich kenne sie nicht.“ Wieder klopft der Zeremonienmeister. - „Wer begehrt Einlaß?“ Zeremonienmeister: „Zita, Ihre Majestät die Kaiserin und Königin“, lautet wieder die Antwort. Ein drittes Mal wird geklopft. „Wer begehrt Einlaß?“ - „Zita, ein sterblicher, sündiger Mensch.“ Der Kapuziner öffnet weit die Flügeltüren: „So komme sie herein.“

Wir sitzen vor dem Fernseher. Das jahrhundertealte Zeremoniell, nach dem fast alle HerrscherInnen des Hauses Habsburg-Lothringen begraben wurden, flimmert über den Bildschirm. Einer meiner Gäste wischt sich die Tränen aus den Augen. Seit dem Roman Die Kapuzinergruft von Josef Roth ist diese Gruft der Habsburger zur Metapher vergangener Macht und verblichenen Glanzes geworden. „Mein Lieblingsbuch“, sagt einer der vier jungen Leute. Ich habe sie klatschnaß auf dem Stefansplatz aufgelesen, wo sie Stunden frierend ausgeharrt hatten. „Jetzt hätt‘ ich auch fast geweint“, sagt einer. Alle vier in Jeans, aber zur Feier des Tages mit Krawatte, gehen in der Wiener Neustadt in dieselbe Klasse und machen im Juni Matura.

Kardinal König erscheint auf dem Bildschirm und spricht das „Gegrüßet seist du Maria“. Die Burschen in meinem Wohnzimmer beten laut mit. Jetzt sieht man die Salutkanone auf der Albrechtsrampe. Der Sarg der letzten Kaiserin wird in der Gruft auf seinen Platz gerollt. Schnitt: „Feuer!“ Ein Offizier der Artilleriekompanie zündet. „Einundzwanzig Salutschüsse sind es, ich brauch‘ gar nicht zu zählen“, sagt einer meister Gäste tief gerührt. Mit dabei sind übrigens die Fernsehzuschauer in fast ganz Europa, in den USA, in Japan, Chile und der Volksrepublik China. Ein größerer Erfolg für den österreichischen Fremdenverkehr als der Papstbesuch, heißt es in der Presse.

Österreichs show-inistische Voyeure erleben noch einmal einen Hauch des alten Glanzes, noch einmal wähnen sie sich im Mittelpunkt des Weltinteresses. Alte Gefühle, alte Ängste, neue Hoffnungen werden wach. Da beschwört der als links geltende Universitätsprofessor Anton Pelinka die Donaumonarchie, „die gewiß kein Völkerkerker war“. „Denn es gibt gute Gründe dafür, der verlorenen Chance der Vereinigten Staaten Großösterreichs nachzutrauern.“ Das Pontifikalrequiem wird in den Sprachen der ehemaligen Kronländer gehalten. Es beginnt auf ungarisch. So wird die Illusion einer multikulturellen Gesellschaft erzeugt. Da dämmert manch einem Demokraten die Vision eines ost-west -europäischen Föderalismus unter demokratischen Vorzeichen. Die Familie Habsburg mit ihrer Sympathie für das Apartheidregime in Südafrika hat allerdings andere Vorstellungen: Sie träumt von einer antiautoritären Paneuropa-Union.

Eine Welle der Sentimentalität schwappt durch die Republik. Trauerschleiferln, Trauerannoncen, Memorabilia... Professionelle Matadore des „pompe funäber“ haben ein „Jahrhundertbegräbnis“ ausgerichtet, eine „schöne Leich“ mit Mozartrequiem, mit Kaiserhymne, in die Tausende einstimmen, mit k.u.k.-Hofleichenwagen, der 2,5 Tonnen wog und von sechs Kaltblutrappen gezogen wurde. 150.000 haben sich in den letzten Tagen in die Kondolenzbücher der Habsburger eingetragen.

Für einen Tag herrschte das Haus Habsburg in Wien. Das ambivalente Verhältnis der österreichischen Republik zur untergegangenen Monarchie zeigte sich auch an dem lavierenden Verhalten des sozialistischen Kanzlers. Vranitzky wagte weder direkt zu- noch abzusagen. Er entschied sich für eine diplomatische Ausflucht und verreiste nach Portugal. Vorher hatte er jedoch eine Abordnung des Bundesheeres für den Trauerkondukt abkommandiert. Auch der Republikanische Club, eine Versammlung linker und liberaler Demokraten Österreichs, konnte sich nicht zur Aktion aufraffen. Sie machte das politische Problem zu einem kulinarischen Ereignis und traf sich in aller Stille zum Leichenschmaus mit Kaiserschmarrn. Protestiert haben acht Personen. Sie wurden festgenommen. Begründung: Störung der Totenruhe.

Doch das demokratische Österreich hat nicht ganz so mitgespielt, wie es die Habsburger erwartet hatten. Statt der mehreren hunderttausend, die Otto Habsburg angekündigt hatte, kamen bloß einige zwanzigtausend. Nur an die 180 der angekündigten 500 Busse aus Ungarn wurden voll - eine peinliche Schlappe für die ehemalige Trägerin der ungarischen Stefanskrone. Kaum war Zita beerdigt, strömten am Montag Zehntausende Ungarn über die Grenze. Ihr Ziel war nicht die Kapuzinergruft, sondern die Mariahilferstraße mit ihren Hi-Fi-Discounts. Die österreichisch-ungarische Monarchie ist tot, der österreichisch-ungarische Markt blüht. Damit haben sich die Habsburger ein weiteres Mal in der Geschichte des 20.Jahrhunderts hübsch verrechnet. Denn schon Karl, der Gatte Zitas, war 1921 vom Schweizer Exil aus zwei Mal bei Nacht und Nebel nach Ungarn gereist, um einen Restaurationsversuch zu unternehmen. Beide Versuche waren ein Flop, es mangelte an Anhängerschaft. In den dreißiger Jahren verkalkulierte sich als nächster Otto, der mit dem Austrofaschisten Schuschnigg über eine Rückkehr der Habsburger nach Österreich verhandelte. Daraus wurde ebenfalls nichts. „Noch nicht einmal ignorieren“ wird sich auch diesmal mancheR ÖsterreicherIn, mancheR UngarIn gesagt haben und ist zu Hause geblieben.

Im Trauerkondukt hat sich die alte Donaumonarchie zu einem letzten Defilee zusammengerafft. Da zeigt sich der ehemalige Vielvölkerstaat in barockem Gepränge, in farbenfrohen Trachten, in düsteren Mönchskutten, Südtiroler, Friauler, Triester, Slowenen, Kroaten, Ungarn, Siebenbürger marschieren einträchtig hintereinander, dann kommen die Vertriebenenverbände. Dazu dröhnt die Pummerin im Stefansdom. Tiroler präsentieren vor dem kaiserlichen Sarg das Gewehr und senken die Fahnen. Es gibt zwar keine ernstzunehmende monarchistische Bewegung in Österreich. K.u.k.-Folklore tragen hier die reaktionären bis rechtsradikalen Gruppen, die im Trauerzug der Zita plötzlich für Fernsehbilder, die um die ganze Welt flimmern, attraktiv werden. Der Spuk ist länger als einen halben Kilometer, aber er dauert nur wenige Stunden.

Vor dem Stefansdom welken indes Zitas Totenkränze. In tiefer Trauer grüßen auf den bedruckten Schleifen die Queen of England, der bayerische Ministerpräsident, die sudetendeutsche Landsmannschaft, Andre Heller, der Graf von Mezey, die Vereinigung österreichischer Monarchisten... Wien hat seine letzte Kaiserin begraben. Und der letzte Kaiser? Er ruht noch im Exil. Aber nicht mehr lange. Denn der Vatikan bearbeitet gerade einen Antrag auf seine Seligsprechung. Ist das Verfahren erst einmal durch, wird er als „Karl der Selige“ zu Zita, zu Franz Joseph, zu Sissi, zu Maria Theresia und den anderen in die Kapuzinergruft kommen.

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