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Industrielle Force de Frappe

■ In Frankreich wird das Netz der Großunternehmen neu geknüpft, um in die Übernahmeoffensive gehen zu können

Teil 11: Alexander Smoltczyk

Konfusion in der Pariser Rue de Rivoli, wo seit 1875 Frankreichs Finanz- und Wirtschaftsminister residieren: Nicht genug, daß ein Herr Ieoh Ming Pei den Francisten eine gläserne Pyramide vor die goldenen Nasen setzte, nicht genug, daß in den Boutiquen rund ums Palais Royal fließend japanisch gesprochen wird - nun klopfte am 22.März auch noch die „Dai Ichi Kangyu Bank“ an die Tür und begehrte Einlaß an der Pariser Börse.

Dai Ichi - nie gehört? Die finanzkräftigste Bank der Welt. Neben ihrer Bilanzsumme von circa 500 Milliarden DM macht sich die Deutsche Bank AG (165 Milliarden DM) wie ein Sparverein. Die Dai Ichi Bank bildet das Herz von Japans größtem finanzindustriellen Komplex Sankin Kai, zu dem 47 Konzerne gehören (wie Hitachi und Kawasaki) und der 15 Prozent des japanischen Bruttosozialprodukts kontrolliert. Dieser unternehmungslustige Dinosaurier klopft jetzt also an die Tür des Binnenmarkts und möchte mitspielen, wenn die Karten neu verteilt werden. Nach einer ersten Filiale in London ist jetzt Paris an der Reihe, zum Brückenkopf des massiven Einstiegs der japanischen Bank in das europäische Finanzdienstleistungsgeschäft zu werden. Und weshalb gerade Paris?

Blenden wir zurück. 1945 hatten die Erben der Restistance die vier großen Depotbanken nationalisiert, weil die Grande Nation nicht mehr von den „200 großen Bankiersfamilien“ ausgehalten werden, sondern sich ihr ehrgeiziges Modernisierungsprogramm selbst finanzieren wollte. Mit der Bankenverstaatlichung verfügte der Staat über eine schlagkräftige finanzielle „Force de Frappe“, denn in keinem industrialisierten Land war der Bankensektor derart konzentriert wie in Frankreich: 70 Prozent der Einlagen wurden bei den vier Großbanken gesammelt. Damit nicht zufrieden, nationalisierte 1982 die Linksregierung Mitterrands 36 weitere Privatbanken und dazu die beiden größten Finanzholdings Suez und Paribas, die Herzstücke des französischen Finanzkapitalismus. Ziel der kostspieligen Übung war es, die Finanzen weiter zu konzentrieren, um Frankreichs prämoderne Betriebe mit billigen Krediten auf Weltmarktniveau zu hieven. Mit anderen Worten: Was im Binnenmarkt wildwüchsig geschehen soll, versuchte Frankreich ein letztes Mal mit den Mitteln nationalstaatlicher Intervention: die Konzentration der industriellen und finanziellen Ressourcen auf wenige Pole, um weltmarktfähig zu bleiben.

Die Erben Saint-Simons

Dies geschah ganz im Sinne von Altmeister Saint-Simon. Jener aristokratische Sproß der Großen Revolution hatte schon Anfang des 19.Jahrhunderts den Stamokap gepredigt und sah in zentralen, von effizienten Technokraten gelenkten Staatsmonopolen die Verschwendung beseitigt und damit das Wohl der Nation (also unser aller) maximiert. Ein solch industrieller Katechismus trieb 1858 Monsieur de Lesseps dazu, einen Kanal vom Mittel- zum Roten Meer zu finanzieren und die „Compagnie de Suez“ zu gründen.

Nachdem Ägyptens Präsident Nasser den Kanal 1956 enteignet hatte, kamen also 1981 die sozialistischen Erben Saint -Simons und nationalisierten die ganze Compagnie, um die Direktoren an die Prinzipien ihres Stammvaters zu erinnern: Hatten sie doch die kurzfristige Rentabilität einer Investition bei der Kreditvergabe zu sehr in den Vordergrund gerückt und die kleinen und mittleren Unternehmen vernachlässigt! So klagte jedenfalls der damalige Chef in der Rue de Rivoli, ein gewisser Jacques Delors, heute Präsident der EG-Kommission. Unter dessen Aufsicht wurde Suez flugs entflochten, ihr Portefeuille neu sortiert, und, damit sie sich ganz dem Mittelstand widmen möge, die „Pariser Kreditbank für den Mittelstand“ ins Körbchen hineinfusioniert.

So weit, so gut, doch ach, es brachen schlechte Zeiten an, und der Zins kletterte in die Höhe. Frankreichs Banken und Finanzholdings konnten ihre Politik des billigen Geldes nicht länger fortsetzen, ohne selbst Verluste zu machen. So wurde Suez erlaubt, sich wieder in gewohnter Weise an zukunftsträchtige Aufkäufe zu machen. Weil der Nation nütze, was Suez nützt, so die neue Parole, bediente sich die Compagnie bei Versicherungen, Immobilien, Finanz- und sonstigen Dienstleistungen und wuchs zwischen 1982 und 1986 von 78 auf 182 Tochtergesellschaften. Gerade, als der Staatskonzern 1986 einen Nettogewinn von 2,4 Milliarden Franc erwirtschaftet hatte und dicke schwarze Zahlen schrieb, wechselte die Regierung die Farbe.

Den liberalen Ministern von Jacques Chirac ging der Aufstieg von Suez noch zu langsam, woran, so folgerten sie, nur der Staat schuld sein könne. Eine Finanzholding, die keine Firmen aufkaufen könne, ohne in den Geruch der stillen Verstaatlichung zu geraten, könne sich nicht ausgehfertig für den Binnenmarkt machen, meinten dann auch die Marktschreier in ihren Leitartikeln (eine umso erstaunlichere Feststellung, als die Staatsbetriebe im vergangenen Jahr ausnahmslos Rekordgewinne einfuhren).

Handverlesene Investoren

So blieb zwar das Ziel, die Konzentration, das gleiche, doch die Taktik wechselte: Suez wurde, ebenso wie die anderen Finanzholding Paribas, privatisiert. Nicht etwa nur, weil das Heil der Nation beim Privatier am besten aufbewahrt sei, sondern weil sich durch die Privatisierungen das industrielle Netz Frankreichs neu knüpfen ließ. Denn - wie auch das britische Beispiel zeigt - müssen Privatisierung und Deregulierung, sprich: Entmonopolisierung, nicht immer Hand in Hand gehen. Als Premierminister Chirac sich daran machte, das größte Privatisierungsprogramm der europäischen Geschichte durchzuführen und sieben Großbanken, zwei Industriekonzerne (Saint-Gobain und CGE), einen Fernsehsender und einen Medienkonzern in die wilde Welt der Börse zu entlassen, blieb auch er dem Geiste Saint-Simons treu: Der Staat ließ dem Markt nicht etwa freie Hand, sondern sorgte für strikte Spielregeln. Um die Kapitalseite zu stabilisieren, wurde ein Teil der Aktien als „golden shares“ an einen „harten Kern“ bewährter Finanziers abgegeben. Diese mußten sich verpflichten, ihre Beteiligungen mindestens zwei Jahre lang zu halten. So sollte Frankreichs Reichtum vor den Raidern aus Tokio, New York und London geschützt werden. Denn die warteten natürlich nur darauf, sich in den bislang streng abgeschirmten Kapitalmarkt in Frankreich einzukaufen. Im Falle von Suez, der eine entscheidende Rolle im attraktiven Versicherungs- und Medienbereich sowie in der Baubranche (Bouyges) spielt, wurde das Stammaktionariat sogar auf 30 Prozent festgesetzt. Nur 15 bis 20 Prozent der Anteile, das hatte sich auch Mitterrand ausbedungen, durften von ausländischen Investoren gekauft werden. Der „harte Kern“ wurde dabei nicht etwa aus den Meistbietenden zusammengestellt, sondern das Schatzamt prüfte jedes Kaufangebot und ließ den gaullistischen Finanzminister Balladur entscheiden. Einige der Glücklichen, wie der Chef von „Marceau-Investissement“, gehören inzwischen auch zum harten Kern der Insider-Affäre um den Aluminiumproduzenten Pechiney.

So entstand, nachdem der Börsenkrach im Oktober 1987 den französischen Privatisierungen ein bitteres Ende gesetzt hatte (die kurz zuvor an die Börse gebrachten Suez-Anteile sanken bei der ersten Notierung um 17 Prozent unter den Ausgabekurs), ein dichter geknüpftes Netz von Industrie- und Finanzunternehmen, eine industrielle Force de Frappe mit drei Sprengköpfen: dem Pol CGE (Elektro, Atom, Telecom) und Societe Generale (Bank), der Paribas (Frankreichs größte Investment Bank, noch vor Suez) und schließlich dem liierten Paar Suez und Saint Gobain (Chemie). Auf diese drei Pole gestützt, fühlte sich Frankreich nun stark genug, um in die Offensive zu gehen, auch wenn die Schonfrist gegenüber ausländischen Aufkaufofferten sich nunmehr dem Ende zuneigt: 1986 erreichten die französischen Übernahmeangebote 62 Milliarden Franc, 90 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor. Und weil Frankreich im europäischen Binnenmarkt nur den Weltmarkt unter falscher Flagge sieht, streckten die Unternehmen ihre Fühler vorzugsweise nach den USA aus: Die CGE beispielsweise kaufte sich den Telefonbereich von ITT, und Thomson (die französische Siemens) schloß ihren Kooperationsvertrag mit General Electric.

Mit dem Ansturm der japanischen Großbanken (für die bei der Privatisierung 1986 noch galt: „Wir müssen draußen warten“) auf die Pariser Börse wird sich zeigen, wie widerstandsfähig das Netz ist, das Verstaatlichungen und Privatisierungen geknüpft haben - zum Wohle der Nation selbstverständlich.

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