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ISLAND IN THE SUN

■ Auf der Karibikinsel Aruba baut und boomt die Tourismusindustrie

Steil ragen die Kräne in den postkartenblauen Himmel. Auf dem kargen Grund, wo bislang nur dürres Gebüsch und gewaltige Kakteen wucherten, werden die Fundamente für einen weiteren Hotelpalast gelegt. Hier, im Nordwesten der Insel, reiht sich eine Baugrube an die andere. Allein am Palm-Beach sind derzeit vier Großprojekte internationaler Hotelkonzerne geplant. Aruba baut - und boomt. „Aruba - one happy Island“. Sogar die Nummernschilder der Autos vermitteln die Botschaft vom zukunftsfrohen Optimismus. Mit dem bedingungslosen Setzen auf den Tourismus versucht sich das Eiland als Vorbild- und Trendinsel der Karibik zu etablieren.

Dabei hatten die Zukunftsaussichten für die nördlich von Venezuela gelegene Insel vor drei Jahren noch recht düster ausgesehen. Zwar konnte sich Aruba 1986 endlich aus dem ungeliebten Inselverband der Niederländischen Antillen lösen, und innerhalb des Königreichs der Niederlande einen unabhängigen Status erlangen. Doch schienen die wirtschaftlichen Aussichten für den 60.000-Seelen-Staat vernichtend. Hatte doch keine zwei Jahre zuvor der wichtigste Arbeitgeber der Insel, die Lago-Raffinerie, für immer seine Tore geschlossen. Die Arbeitslosigkeit schnellte auf 30 Prozent. 6.000 Arubaner verließen die Insel. Zur Linderung der ärgsten Nöte wurde auf alle Löhne eine „Solidaritätssteuer“ von acht Prozent erhoben.

Im Tourismus allein sahen die Arubaner eine Möglichkeit, das tiefe Tal der Krise schnellstmöglich zu verlassen. Mit einem forcierten Ausbau der Hotelkapazität sollte nicht nur dem Bausektor neue Impulse gegeben werden, sondern auch die Voraussetzung für einen Touristenstrom von gigantischen Dimensionen geschaffen werden.

Die Zielvorgabe, die Anzahl der Hotelzimmer von 1986 bis 1991 von rund 2.000 auf 7.000 zu erhöhen, scheinen die Arubaner mühelos zu erreichen. Mit aggressivem Marketing sorgt die „Arubian Hotel and Tourism Association“ (AHATA) für deren Auslastung und für stetig steigende Touristenziffern. Von 1986 bis '87 schnellte die Zahl der sonnenhungrigen Besucher von 180.000 auf 230.000. 1988 zeichnet sich ein Touristenzuwachs von über 40 Prozent ab, und das Wirtschaftswachstum wird auf stattliche 16 Prozent beziffert.

Das 20 Kilometer lange Eiland kann vor allem seine Strände vorweisen, die mit ihrem glasklaren Wasser und farbenprächtigen Korallenriffen zu den schönsten der Karibik zählen. Die meist amerikanischen Touristen schätzen zudem die höfliche, touristenfreundliche („service-minded“) Mentalität der freundlichen Inselbewohner. An Rucksacktouristen, so die arubanischen Touristikstrategen, habe man auf dem „Happy Island“ kein Interesse. Abgesehen davon, daß diese die gepfefferten Hotelpreise sowieso nicht bezahlen könnten, sehen die Arubaner in dem begüterten Touristen einen Gast, der sich auch in ökonomisch schlechten Zeiten eine Reise auf das exklusive Touristenmekka erlauben kann.

Mit dieser Erwartung hatten die Arubaner jedoch schon einmal auf das falsche Pferd gesetzt. Als 1984 die venezuelanische Währung als Folge des Ölpreisverfalls drastisch abgewertet wurde, sackte der Besucherstrom, aus Venezuela auf Null. Die venezuelanischen Touristen galten als besonders ausgabefreudig und sorgten damals für 30 Prozent der arubanischen Tourismuseinnahmen. So heißt das Zauberwort auf Aruba inzwischen Diversifikation. Schon im letzten Jahr konnte der Anteil der amerikanischen Besucher am touristischen Gesamtaufkommen von 80 auf 70 Prozent gedrückt werden. Dagegen steigt der bisher noch recht bescheidene Prozentsatz europäischer Besucher kontinuierlich. Besonders Reisende aus den Niederlanden und den deutschsprachigen Ländern finden zunehmend Gefallen an der Trendinsel. Die geschäftstüchtigen Insulaner sind sich sicher: Mit einer direkten Flugverbindung und einer zweiten Startbahn könnte auch auf dem europäischen Markt der entscheidende Durchbruch gelingen.

Allein in den ersten neun Monaten des letzten Jahres sorgten 1.629 Besucher aus der Bundesrepublik für eine 120prozentige Steigerung des bundesdeutschen Beitrags am arubanischen Touristenwunder. In Aruba sieht man darin erst den Beginn einer wahren Germaneninvasion: Das einheimische Hotelpersonal soll nun in den „Genuß“ von neunwöchigen Deutschkursen kommen. Im Dezember bekamen die ersten 40 Absolventen ihr Sprachzertifikat in die Hand gedrückt.

Doch der Touristikboom bringt Probleme mit sich. Allmählich werden im kleinen Aruba die Fachkräfte im Bau- und Hotelgewerbe rar. In Umschulungskursen werden Hausfrauen und Arbeitslose zu Zimmermädchen, Köchen und Maurern ausgebildet. Die Arbeitslosenquote nähert sich inzwischen der Null-Prozent-Marke. Ausländische Arbeitnehmer wollen die Arubaner jedoch nur ungern ins Land holen: Man fürchtet, daß diese gegenüber den Touristen weit weniger dienstbar auftreten könnten als die „echten“ Einheimischen. Auf Drängen der AHATA tingelte darum im letzten Herbst der Premier der Insel durch die Niederlande, um einst emigrierte Landsleute wieder in die Heimat zu locken. Diese scheinen dem Wachstumsbraten jedoch nicht so recht zu trauen: Gerade 60 Familien folgten dem Ruf ihres Landesvaters.

Vollkommen unerwartet verlor dieser im Januar die Wahlen zum arubanischen Parlament. Trotz Vollbeschäftigung und Wirtschaftswunder fanden die Warnungen der Opposition vor einer wirtschaftlichen Überhitzung und einer einseitigen Abhängigkeit vom Tourismus beim Wahlvolk Gehör. In ihren Werbefilmen war ein großer Ballon zu sehen, der wächst und wächst - bis er plötzlich platzt.

Die Inselpolitiker sind sich denn auch einig, dem Hotelneubau ab 1991 ein vorläufiges Ende zu setzen; bei 500 bis 600.000 Touristen pro Jahr sei die Sättigungsgrenze erreicht. Mrs. Arends, amerikanische Generalmanagerin der AHATA, sieht das anders: „Die Tourismusindustrie ist immer auf Wachstum ausgelegt.“

Besorgte Arubaner fragen sich, was bei der prognostizierten Touristenflut noch von Aruba und der inseleigenen Kultur übrig bleiben wird. Schon heute sind in dem kleinen Staatsgebiet Dollars als Zahlungsmittel weit gebräuchlicher als arubanische Gulden. Von „Burgerking“ bis „Pizza-Hut“ ist auf der Insel alles vertreten, was auch in der amerikanischen Fast-food-Szene Rang und Namen hat. Einen Hauch von Las Vegas verbreiten sechs Kasinos, in denen spielwütige Gäste rund um die Uhr ihre Portemonnaies erleichtern können. Oranjestad, die gesichtslose Metropole der Insel, wird zur Zeit mit altholländischen Fassaden aufgepeppt. Man wolle auf Aruba aber kein „Dutch Disneyland“ aufbauen, weiß Herr van Trikt vom Wirtschaftsministerium zu beschwichtigen. Das sei eine Maßnahme privater Geschäftsleute, die eben glauben würden, daß dies dem amerikanischen Touristen gefalle. Die Gewerkschaften fordern inzwischen einen stärkeren Schutz der eigenen Kultur. „Was ist die arubanische Kultur?“ fragt sich hingegen van Trikt. „Die Entwicklung geht weiter, alles verändert sich. Manche sagen, wir werden zum 52.Staat der Vereinigten Staaten, doch liegt die ganze Karibik in der Einflußsphäre der USA!“

Thomas Roser

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