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Die letzte Plünderung Roms

Italiens Fußball-WM unter Ausschluß der Öffentlichkeit? Schildbürgerstreiche und umweltferne Planung bringen WM in Gefahr  ■  Aus Rom Werner Raith

Bruno Zevi, Nestor der italienischen Architektengilde und Städteplaner, brachte die Sache auf den Punkt: „Natürlich kann man die Stätten für die Fußballweltmeisterschaft 1990 noch fertigstellen“, sagte er in der Sendung Greenpeace zur Moderatorin Silvia Zamboni auf deren Frage nach der allseits angstheischenden Verspätung der Bauten, „wir brauchen dazu nur noch genau 403 Arbeitstage.“ Dann, mit unbewegtem Gesicht: „Das Schöne daran ist: Wir haben nur noch 240 Tage bis zum Anpfiff.“

Er meint es wirklich so: „Das Schöne daran.“ Denn nach Meinung des kritischsten aller italienischen Urbanistiker ist „alles, was in diesem Zusammenhang nicht geschieht, schon etwas sehr Positives“. Das, was geschieht, ist für Zevi „die wahrscheinlich letzte Plünderung Roms und anderer Städte - danach wird kaum mehr etwas übrig sein, was man, außer Beton und Smog, noch plündern kann“.

Ruinen der Gigantomanie

Weit von der Realität entfernt ist er mit dieser Meinung nicht. Der Umweltschützer und Parlamentsabgeordnete Antonio Cederna hat ausgerechnet, daß 83 Prozent der ausgeschütteten umgerechnet gut acht Milliarden Mark „in reinen Beton umgewandelt werden“. Und der kann, so eine Berechnung der Greenpeace-Redaktion, nach den Spielen „allenfalls zu 25 bis 30 Prozent anderer Nutzung zugeführt werden“ - der programmierte Aufbau von Ruinen der Gigantomanie.

Freilich teilt bisher nur eine Minderheit der Italiener solche Bedenken - der Rest sorgt sich vorwiegend um das Gegenteil: daß man tatsächlich nicht rechtzeitig zur WM fertig wird. Und dafür bestehen alle Aussichten. „Die Chancen, erstmals eine Weltmeisterschaft unter Ausschluß der Öffentlichkeit auszutragen, stehen nicht schlecht“, sagt Zevi; und er sagt es nicht ohne Hoffnung.

In zehn der zwölf übers ganze Land zwischen Mailand und Palermo verteilten Wettkampfstädte sind die Bauarbeiten so im Rückstand, daß die einschlägigen Kommissionen nach Ansicht des Oberleiters der Wettspiele Luca di Montezemolo „vor allem mit dem Zusammenstreichen der Planung, aber längst nicht mehr mit dem Vorantreiben der Fertigstellung“ beschäftigt sind.

In Rom zum Beispiel wird es keine Schnellverbindung zwischen dem Stadion und der elektronischen Welt -Übermittlungszentrale geben, in Turin und in Mailand haben sie soeben die U-Bahnausbauten wegen Zeitmangels anulliert, in Neapel, Bari und Palermo sind die mit großem Pomp projektierten „flankierenden“ Erholungs- und Spielparks dem Rotstift zum Opfer gefallen. Mit teils absurden Konsequenzen: In Palermo beispielsweise, dessen Verein in der dritten Liga spielt und derzeit das kommunale 18.000 -Zuschauer-Rund kaum zur Hälfte füllt, wird nun mitten im heruntergekommensten Stadtviertel (dem berüchtigten ZEN) ein Stadion für 50.000 Zuschauer stehen, ohne daß der Zone auch nur eine einzige der verheißenen Sanierungsmaßnahmen (Abräumen von Bauschutt noch aus dem Krieg, Straßenbau, elektrische Leitungen, Abwasserkanäle) zugutekommen wird.

In Apulien ist das Stadion so weit außerhalb der Regionalhauptstadt Bari entstanden, daß es die Baresen bereits „Wüstenstadion“ nennen; es ist füllbar mit fast 60.000 Zuschauern - für ein Totaleinzugsgebiet von nicht einmal einer halben Million Menschen (Babies mitgerechnet), und dabei spielt Bari nur in der zweiten Liga, der Aufstieg ist keineswegs sicher. Selbst wenn die versprochenen Spiel und Erholungsstätten realisiert werden, müssen die Städter an die 50 Kilometer Anfahrt und Abfahrt einrechnen, wollen sie das Angebot wahrnehmen.

Stadion für Blinde

Schildbürgerstreiche auch anderswo: In Genua zum Beispiel, wo man noch bis vor kurzem meinte, termingemäß fertigzustellen, glaubte Luca di Montezemolo bei einer zunächst erfreuten Besichtigung des Rohbaus, „seinen Augen nicht trauen zu dürfen“: Von gut einem Drittel der Plätze aus konnte man das Spielfeld überhaupt nicht sehen. Das Bauwerk trägt seither den Namen „erstes Stadion für Blinde“. So wird wieder gebuddelt - die Fläche wird um einen Meter tiefer gelegt, ob der Rasen noch zusammenwächst, ist fraglich.

In Turin, wo man ebenfalls auf eine plangerechte Arbeitsausführung hoffte, hat die ausführende Firma mit der in Italien üblichen Methode versucht, mehr Geld herauszuholen - sie weigert sich plötzlich weiterzubauen, wenn nicht umgerechnet 150 Millionen DM draufgelegt werden. Die Stadt sperrte sich zunächst, die Bauarbeiten ruhten, vergangenen Samstag kam es dann doch noch zur Einigung, eine Stunde, bevor der nationale Fußballverband Turin von der WM ausschließen wollte.

Champion in weltfremder Projektierung und traumtänzerischer Selbstberuhigung allerdings ist und bleibt Rom - die Stadt, die neben den Gruppenspielen der heimischen Mannschaft auch das Endspiel sehen soll. Obwohl man den Zuschlag für die WM seit 1984 in der Tasche hat, geschah vier Jahre lang faktisch nichts, was einer realistischen Planung einigermaßen ähnlich sieht. Vier nationale Regierungen und drei Bürgermeister gingen ins Land (derzeit sucht man nach dem Rücktritt des aktuellen Mannes wegen Korruptionsverdachtes schon wieder nach einem neuen Stadtoberhaupt).

Die WM-Projektierer übten sich vor allem im Hahnenkampf gegeneinander und im Einander-Überbieten an protzigen und absurden Vorschlägen. Mal sollte ein ganz neues, ganz riesiges, hypermodernes Sportzentrum im Osten entstehen als ob man nach den Olympischen Spielen 1960 nicht schon genug nicht einmal annähernd genutzte Stätten hätte. Dann entschloß man sich zum Ausbau des vorhandenen Olympiastadions nahe den Mussolinibauten des Foro italico und dem Außenministerium - dafür aber wollten sich die Stadtväter vom WM-Brocken ein nagelneues, super-postmodernes Regierungsviertel im östlichen Altstadtkern abschneiden (mit einer nicht weniger als hundert Meter breiten Asphaltschneise durch die gewachsenen Viertel hindurch) was aber glücklicherweise dann doch am Geld scheiterte.

Kein Geld zur Zerstörung

der Via Apia

Doch auch „kleinere Brötchen“ gerieten so klumpig, daß man sie schnell in den Müll werfen muß: Die anvisierte Schnellverbindung zwischen Stadion und Elektronikzentrum, 14 Kilometer Luftlinie, sollte die letzten einigermaßen intakten archäologischen Zonen an Roms berühmtester antiker Straße, der Via Appia, zerschneiden, unterkellern (und damit die darunterliegenden prähistorischen Stätten zerstören) oder abgasreich überqueren. Das scheiterte glücklicherweise letztendlich auch an den Kosten, und man beließ es schließlich beim Stadionausbau und dem - bisher noch nicht vorhandenen - Anschluß des Flughafens Fiumicino an das staatliche Bahnnetz (bisher rumpelt man die 30 Kilometer vom Bahnhof bis zum Airport per Bus über ständig verstopfte Straßen und muß stets mehr als eine Stunde Fahrzeit einkalkulieren).

Aber auch der Stadionausbau hat erst in diesen Tagen begonnen: Zunächst hatten die Pläneschmiede einmal großzügig sämtliche geltenden Bebauungspläne mißachtet und damit den gesammelten Zorn der Grünen hervorgerufen. Das hatte die WM -Architekten zunächst nicht sonderlich gejuckt, Sport geht schließlich vor Umweltschutz. Doch dann mußten sie erschreckt erkennen, daß sich just über den abzugrabenden Fußenden des Montemario Roms Nobelviertel befindet und sich die dort residierende Geld- und Blutaristokratie bedroht fühlte - was selbstverständlich zum sofortigen Baustopp führte.

Inzwischen hat man die überdachten Teile des Stadions mehrere Male herumgedreht, und kein Mensch weiß mehr, ob das Dach am Ende irgendjemanden wirklich den notwendigen Schatten spenden wird.

Ungelöst weiterhin: der Verkehr, der sich auf der westlichen Tiberseite an nur einer einzigen Zubringerallee entlängquälen muß (hinter dem Stadion blockt der steile Montemario, gegenüber der Tiber, südwestlich beginnt das Straßengewirr um den Vatikan und Trastevere). Die naheliegende Lösung von Großparkplätzen außerhalb der Stadt ist aber auch nicht praktikabel - es mangelt an öffentlichen Verkehrsmitteln, die die Besucher schnell zum Stadion und von dort wieder wegbringen können: Die Busse sind allesamt veraltet und kaum mehr vorzeigbar, die U-Bahn hat ihre Endhaltestelle gut eineinhalb Kilometer vor dem Stadion.

Unverhüllt fröhlich zeigen sich bisher lediglich die Eintrittskartenverkäufer - längst haben die offiziellen Verkaufsstellen ihre 2,6 Millionen Vorab-Tickets abgesetzt. Und darum ist auch noch eine zweite Spezies sehr zufrieden: die Unterwelt-Kartendrucker der Camorra von Neapel, die unverzüglich eingestiegen sind und mittlerweile nach Polizeierkenntnissen auch gut eine halbe Million gefälschter Billets für die Superspiele abgesetzt haben.

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