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DER TRAUM VOM SCHEITERN

■ Die „Neuköllner Oper“ inszeniert Ullmanns „Kaiser von Atlantis“

Es klingt, als sollte das üble Historikerwort bestätigt werden, wonach großes Elend die Bedingung für große Kunst sei: „Zu betonen ist nur, daß ich in meiner musikalischen Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht etwa gehemmt worden bin, daß wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und daß unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war.“ Victor Ullmann, von dem diese Tagebuchnotiz stammt, verbrachte zwei Jahre im Konzentrationslager Theresienstadt. Das Durchgangslager für Transporte in die Gaskammern von Auschwitz, Minsk und Treblinka steht zugleich für den makabersten Zynismus der faschistischen Massenvernichtung, die sogenannte „Freizeitgestaltung“: Meist jüdische KünstlerInnen wurden von der härtesten Lagerarbeit freigestellt, um kulturelle Veranstaltungen vorzubereiten, die das Internationale Rote Kreuz sich dann von Hitlers Schergen als humanistische Propaganda verkaufen ließ. „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ hieß ein Film, in dem die Häftlinge vor der Kamera zur heilen Welt gezwungen wurden.

Ullmann, der bei Schönberg studiert und lange mit Alexander von Zemlinsky zusammengearbeitet hatte, lebte bis 1939 in Prag. 1942 wurde er 44jährig mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert. Dort lernte er den 1919 geborenen jüdischen Maler und Dichter Peter Kien kennen. Der schrieb dort die Legende Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod -Verweigerung, die als Libretto für Ullmanns 1943 komponierte Oper diente. In Theresienstadt konnte sie nur zensiert geprobt werden und wurde nach der Generalprobe verboten. Ullmann und Kien kamen 1944 in Auschwitz um; die Partitur überlebte: ein Mithäftling Ullmanns konnte sie bis zum Kriegsende verstecken.

Kaiser Overall von Atlantis (Frank Ernst) hat den „Krieg aller gegen alle“ ausgerufen. Das machen der Tod, ein abgewrackter Soldat (Bertholt Kogut) und das Leben, ein Harlekin (Bernard Marian) nicht mit. Sie verweigern den Gehorsam, niemand stirbt - allen Hinrichtungsbemühungen zum Trotz - und niemand lebt so richtig. „Der Tod ist tot!“ Der Kaiser versucht nun buchstäblich, den Spieß umzudrehen, um den Gehorsam der Menschen einzutreiben: „Wir, Overall der Einzige, schenken unseren getreuen Untertanen ein Geheimmittel zum ewigen Leben.“ - In Theresienstadt muß die rettende Hoffnung in dem Traum gelegen haben, der Despot möge scheitern und an seiner eigenen Perfidie zugrunde gehen. Nachdem alle menschlichen Ordnungen zusammengebrochen sind, wird Overall vom Umsturz bedroht und läßt sich vom Tod überreden, als erster zu sterben, damit die geschundenen Menschen nicht länger das Unerträgliche ertragen müssen und gleichfalls sterben dürfen. Nichts ist im Ghetto mächtiger, auch nichts erlösender als der Tod. Das „heiligste Gebot“ münzt Kien so auf den Sensenmann: „Du sollst den großen Namen Tod nicht eitel beschwören.“

In das verhängnisvolle Geschehen hinein demonstriert der Librettist Kien vergebliche Menschlichkeit: Ein Soldat und „Bubikopf“, ein Mädchen (Günther Giese und Margrit Dürr) verlieben sich, obwohl sie aufeinander schießen müßten. Sie bilden einen qualvollen Widerspruch gegen den Haß und die Angst der übrigen. Ihre mitleidende Liebe versinnbildlicht die Utopie der besseren Welt. Doch solche Menschlichkeit kann in Theresienstadt nichts ausrichten, sie verdunstet als poetischer Schatten: „Ist's wahr, daß es Landschaften gibt, die nicht von Granattrichtern öd sind?“

Die vorzügliche Aufführung der Neuköllner Oper ist eine Neubearbeitung des Originals durch ihren Leiter Winfried Radeke. Mit akribischer Textkritik hat er in dem Manuskript nach der ältesten Fassung gesucht und auch die Inszenierung selbst übernommen. Die Schlichtheit des Bühnenbildes wirkt so beklemmend wie die Geschichte selbst. Das Brückengestell, eine Rampe davor, das fahle Licht, aus dem die AkteurInnen das historische Gleichnis holen, macht das Publikum einmal mehr zum Voyeur. Den von Ullmann vorgesehenen „Lautsprecher“, der die Funktion des erläuternden Beobachters hat, verteilt Radeke auf vier mit Flüstertüten bewaffnete Spieler: Die autoritäre Staatsmacht ist penetrant allgegenwärtig. Das kleine Orchester - es spielt in der durchweg solistisch besetzten Originalinstrumentation bewältigt die schwierige Komposition hervorragend; der Pianist Ullmann hat die Stimmen für die Orchesterinstrumente manchmal nicht gerade einfühlsam gesetzt. Auch die SängerInnen machen ihre Sache sehr gut: Der frustrierte Harlekin, der den Tod um den Gnadenstoß bittet, beklagt in unsentimentalem Sprechgesang seine Belanglosigkeit; der Kaiser verbeißt sich virtuos in eine selbstherrliche Misanthropie; identitätslos und hölzern wackeln die beiden Trommlerinnen (Silvia Bitschkowski, Cornelia Poser) umher: Sie sind die puppenhafte Sprachrohre des Kaisers, die seine Dekrete herausplärren.

Die Musik macht Ullmann - ähnlich wie Kurt Weill - zum Verstärker des Textes. Nicht nur im Schlußchoral entstellt er ein vertrautes Zitat (Eine feste Burg): Als eine Trommlerin Kinder, Frauen und Männer zum „Heiligen Kampf“ verdonnert, singt sie genial eine kirchentonale Verzerrung des Deutschlandliedes.

Wie oft schon haben Menschen sich in karajanöser Selbstüberschätzung die Unsterblichkeit gewünscht! Doch daß der Tod sich verweigert, ist im Kaiser von Atlantis kein Wunschtraum, sondern die Hölle. Die Menschen sehnen sich nach ihm, und er - der Menschenfreund - weiß das. Auf Freund Hein ist bekanntlich Verlaß.

Christian Vandersee

„Der Kaiser von Atlantis“ nur noch vom 18.-21. und 26.-28. Mai, jeweils um 20 Uhr (Vorbestellung nötig: 687 60 61).

Do., 25. Mai wird um 20 Uhr ein Konzert mit Lieder- und Klavierkompositionen von Ullmann aus Theresienstadt gegeben.

Alle Veranstaltungen in der Neuköllner Oper, Karl-Marx -Straße 131-133, 1-44.

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