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Die Japan-AG auf der Anklagebank

Der Recruit-Skandal offenbart die Funktionsweise des japanischen Systems / Ohne Milliarden-Yen-Beträge aus Industrie und Handel kann kein Politiker seine WählerInnen halten / Die größten Schmiergelder steckt die seit 40 Jahren regierende Liberal-Demokratische Partei ein / Takeshitas Rücktritt ändert nichts daran  ■  Von Jürgen Kremb

Als letzte Woche der japanische Premier Noboru Takeshita das Handtuch warf, sah das für viele Beobachter nach Reue aus. Der Hauptverantwortliche des Recruit-Skandals war über die größte Finanzaffäre der japanischen Nachkriegszeit gestolpert und zurückgetreten - wenn auch nach langem Gezetere. Mit dem Austritt von Ex-Premier Nakasone aus der alleinregierenden Liberal-Demokratischen Partei (LDP), wurde die Partei vor weiterem Gesichtsverlust bewahrt. Denn er hatte offensichtlich den ganzen Insiderdeal organisiert. Der neue Ministerpräsidenten Sosuke Uno soll nun als Saubermann den Eindruck erwecken, als solle die Geldpolitik in derJapan AG ein Ende haben.

Reine Augenwischerei - denn mit oder ohne Recruit -Bestechungsskandal wäre der Rücktritt Takeshitas bald fällig gewesen. Denn er ist nur einer von mehreren Fraktionschefs innerhalb der LDP. Turnusgemäß rotieren sie alle zwei Jahre, um eine andere Gruppe auf die fetten Weiden der politischen Macht zu führen. So war es immer, seit die Partei 1955 das Ruder Nippons in die Hand nahm.

Hatten die japanischen WählerInnen das in der Vergangenheit hingenommen, so sind jetzt viele schockiert. Erst durch den Recruit-Skandal erfuhren viele JapanerInnen, daß nicht nur Politiker, sondern auch Konzernbosse, Beamte und Journalisten korrupt bis auf die Knochen sind: Politik in der japanischen Gesellschaft funktioniert seit Jahren nur noch gut geschmiert; mit Milliarden-Yen-Beträgen aus Industrie und Handel. Auf der Anklagebank sitzen nur Politiker, Beamte und Industriekapitäne. Doch die Schuld für diese Vorgänge sind zu einem Großteil in dem System der japanischen Parteienfinanzierung zu suchen, ob es reformiert werden kann, bezweifeln die meisten Beobachter.

Bestes Beispiel dafür ist der Nachwuchspolitiker Asahiko Mihara (41). Er vertritt heute einen der fünf Sitze der Präfektur Fukuoka auf der südjapanischen Insel Kyushu. Miharas Vater war früher Verteidigungsminister und gilt als enger Freund des Premiers Takeshita. 1986 hat der Sohn den Parlamentssitz des Vaters quasi geerbt. Seitdem, gestand er unlängst dem Hongkonger 'Far Eastern Economic Review‘, hat er ständig Geldsorgen. Denn die Ausgaben für sein Büro belaufen sich auf etwa 110 Millionen Yen (etwa 1,5 Millionen Mark). Sein Salär als Mitglied des japanischen Unterhauses beträgt aber nur ein Elftel davon: zehn Millionen Yen. Da ist guter Rat teuer.

Asahiko Mihara ist kein Prahlhans, sondern ein ganz durchschnittlicher Abgeordneter im japanischen Unterhaus. Von Ex-Premier Takeshita wird vermutet, daß er mehrere Milliarden Yen pro Jahr benötigte. Was die Politiker in Japan so teuer zu stehen kommt, sind ihre eigenen WählerInnen. Da in einem Wahlkreis jeweils bis zu fünf Sitze für das Unterhaus zu vergeben sind, kommen nur Abgeordnete mit großen Spendierhosen zum Zuge. Als größten Gegner empfindet denn auch Mihara nicht die Politiker von der sozialistischen oder sozialdemokratischen Partei, sondern den Mitbewerber von der LDP, der sich ebenfalls um einen Sitz in der Präfektur des 41jährigen balgt. Da gilt es nicht nur Hochzeiten, Familienfeiern und Beerdigungen zu besuchen und gefüllte Umschläge zu hinterlassen. Auch wenn ein Sprößling eines lokalen Unternehmers an einer Tokioter Universität studieren will, kann ein Anruf oder ein Geschenk von Mihara an den Bürokraten in der Hauptstadt weiterhelfen. Allein für die Basketball-Mannschaft seiner alten Schule ließ der Hinterbänkler 1988 500.000 Yen (etwa 7.100 Mark) springen. All das geht jährlich in die Millionen. Allein für „Tee und Kuchen“ gab er 2,5 Millionen Yen und für Repräsentation vier Millionen aus.

Ein Taschengeld vom Staat

Die 750.000 Yen, die er monatlich als steuerfreie Pauschale vom Staat erhält, reichen gerade um Fahrkosten, Telefon und Porto zu decken. Denn bis zu zehnmal muß er pro Monat in die Wahlkreise fliegen. Nicht selten begleitet ihn einer seiner mehr als zehn Sekretäre. Da ist es eher ein Tropfen auf den heißen Stein, daß die LDP jährlich zwölf Millionen zuschießt. Denn gleichzeitig ist Mihara Mitglied in 80 parlamentarischen Studierzirkeln, die dazu dienen, den Südstaatler in seiner Partei und innerhalb der Seilschaften zu festigen. All das summiert sich auf 90 Millionen Yen im Jahr. Daß der junge Abgeordnete dennoch nicht am Bettelstab geht, hat er seinem „Unterstützer-Club“ zu verdanken. Die 300 Mitglieder (bei Ex-Premier Takeshita 5.000) aus lokalem Gewerbe und Industrie tragen mehr als 50 Millionen Yen pro Jahr zusammen. Da dies immer noch nicht reicht, verkaufen die Sekretäre der Politiker die Visitenkarte des Chefs für 250 Mark. Das ganz große Geld bringen die Spenden-Parties. Sie werden von Hinterbänklern einmal pro Jahr, von den Größen der Politik bis zu dreimal pro Jahr organisiert. Die Eintrittskarten kosten zwischen 20.000 und 30.000 Yen. Große Firmen kaufen sie gleich dutzendweise. Mehr als die Hälfte kann der Politiker als Reingewinn verbuchen.

Nach der sogenannten „Geldwahl“ von 1974, bei der Ex -Premier Kakuei Tanaka ins Amt kam, wurde zwar ein Wahlkampfgesetz verabschiedet. Doch das hat sich weitgehend als nutzlos erwiesen. Denn darin wurde nur die Einzelsumme reglementiert, die von einer privaten Firma an die Parteien gezahlt werden darf. Doch immer häufiger wenden sich die Unternehmer direkt an die Politiker. Sekretäre von japanischen Politikern sind mittlerweile geübt im Ausstellen von ganzen Blocks mit Spendenquittungen. So werden die gesetzlich geforderten Höchstsummen nicht überschritten. Wie sich beim Recruit-Skandal offenbarte, ist es immer mehr in Mode gekommen, daß Unternehmen den Politikern Vorzugsaktien anbieten, bevor diese an der Börse notiert werden. In der Regel sind dann beim Verkauf fette Gewinne einzustreichen. In erster Linie ist die Politik des Geldes ein Problem der LDP, klagen die anderen Parteien. Doch das ist zu blauäugig. Denn Korruption hat mittlerweile weite Teile der japanischen Gesellschaft erfaßt. Selbst Lehrer einer Tokioer Hochschule fanden nichts dabei, sich von den Eltern ihrer Studenten aushalten zu lassen und Darlehen anzunehmen, offenbarten jetzt Tokioer Zeitungen.

Die geforderte Reform des Wahlgesetzes wird in der Gesellschaft daran gar nichts und in der Politik nur wenig ändern. Im Gegenteil: Wenn die Wahlkreise zusammengestrichen werden, könnte es der LDP in zweierlei Hinsicht nutzen, schlug Zenmei Matsumoto Alarm. Der Vorsitzende der Japanischen Kommunistischen Partei (JKP) befürchtet, daß damit die LDP im Parlament eine Zweidrittelmehrheit erhalten könne. Denn auch nach der Reform würden die Wahlen im hochindustrialisierten Nippon auf dem Land gewonnen, wo die LDP ihr größtes Wählerpotential hat.

Andere Beobachter sind da skeptischer. Denn Meinungsumfragen zufolge ist die Popularität der LDP noch nie so niedrig gewesen wie dieser Tage. Ginge es jetzt zu den Wahlurnen, kämen die Liberalen nicht mehr auf 30 Prozent, heißt es. Selbst wenn Takeshita jetzt seinen Hut genommen hat, wird sich seine Partei vor Unterhauswahlen hüten wie der Teufel vorm Weihwasser. Denn auch Konzernbosse haben schon vor einem Führungswechsel in der florierenden Japan AG gewarnt. Gehofft wird statt dessen auf das Kurzzeitgedächtnis des Wählers.

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