: Wunder und Wirklichkeiten
■ Internationale Kindertheater-Fachtagung in Bremen: Was ist ein Theaterpädagoge?
Die ASSITEJ ist eine Tagung internationale Vereinigung des Kinder-und Jugendtheaters und ein Kind der 60er Jahre einer Zeit also, in der das Sandmännchen als Gegenspieler von Lassieflipper tv-streuen lernte, in der Kindern nach der bundeseinheitlichen Musterbauordnung 2,16 qm Spielraum zustand, in der James Krüsse und Jim Knopfs den Deutschen Kinder-und Jugendliteraturpreis, gestiftet 1955 vom Familienminister Würmeling, wie ein Erbrecht erhielten, in der das erste Opernhaus für Kinder in Moskau gegründet wurde, in der sich die deutsche Plattenindustrie weigerte, Kinderschallplatten zu prämiieren, in der Kinder ihre Comics immer noch (im Gegensatz zu ihren Lehrern) unter der Bettdecke lesen mußten, in der abgekühlte Krieger das besonders warme „Herz für Kinder“ entdeckten, in der das Westberliner „Reichskabarett“ (Gripsvorläufer) für Kinder zu spielen begann, während die SU 41 Kinder-und Jugendtheater vorweisen konnte. Zwischen den bundesdeutschen Kindern und ihrem Kulturgut saß ein hermetisch seelenrettendes Damen-und Hochschulpädagogenkränzchen, das die endgültigen Kriterien von wunderbar, zauberhaft und gutesbuch festklebte, den Verkehrs-und Karieskasper der städtischen Sparkasse lobend, als wäre er ein Stück von
ihnen und vom freien Westen ein Vorhütchen. Und weil in den 60ern die Theater sich leerten, wurde das unbekannte Kind zum Publikumswesen. Ach, wie gut, daß alle wußten, daß das Kindertheater Weihnachtsmärchen hieß! Als dann das GRIPS -Theater
Ende der 60er Peterchen auf seinem Mond verschimmeln ließ, joviale Salamander und Hasen in ihren Puffärmeln ignorierte und dem Kindertümlichen (Lehrerwort anno 1902) den theatralischen Kampf ansagte, wurde Kindheit plötzlich auch etwas,
das mit dem eigenen inneren Schweinehund zu tun hatte und ein soziales Gebilde war mit unpittoresken Problemen. Das GRIPS-Theater wollte kein Beeindruckungstheater mehr sein, sondern „Gebrauchsartikel“. Begleitet wurde dies von der Pädagogisierung des Alltags und der ASSITEJ. Und was ist heute? In unseren Tagen, genauer am vergangenen Wochenende, traf sich die bundesdeutsche ASSITEJ-Sektion in Bremen. Thema: Theaterpädagogen. Was, zum Spielteufel, ist ein Theaterpädagoge? Es hat den Anschein, als wüßten die Tagungsteilnehmer auch nicht recht. Ursula Menck, Dramaturgin und Leiterin des Bremer MOKS-Theaters, das Mitspielstücke für Kinder erarbeitet, „ist auch nicht ganz klar“, wer als Theaterpädagoge durchgeht. Sie hat auf der Tagung davon berichtet, was Mitspieltheater leisten kann und soll: die Nähe zwischen Schauspieler und Kind herstellen, eine direkte Kommunikation erschaffen, den Kindern Chancen geben, in Rollen zu schlüpfen, wo z.B. auch Außenseiter mal Helden spielen können. Kindertheater ist heute wie damals aber immer noch ein Ort, dem von „Lehrern die Pädagogik zugeschoben wird“, und „die erwarten was für ihren Unterricht“, sagt Jörg Richard, zweiter Vorsitzender der deutschen ASSITEJ-Sektion und Bremer Kulturwissenschaftler mit theatralischem Schwerpunkt. Ein echter Theaterpädagoge, der auch weiß, was das ist. Anno '72 hat er im GRIPS-Theater pädagogische Nachbereitung geleistet, ein Vermittler zwischen Stückeschreiber und auf's Maul ge
schautem Kind. Ein Zwiespalt ist vorhanden: die Lehrer als Hin-und HeranführerInnen der Kinder zum Theater einerseits, und andererseits als Lernzielerwartungshaltende. Die Erziehungsberechtigten scheinen mit ihren Zöglingen lieber in's staatsgetragene „Beeindruckungstheater“ zu gehen. Könnte nicht auch realistisches Kindertheater beeindrucken? Doch! Die Amsterdamer „Theatergroep Wederzijds“ hat es an einem Abend der Tagung gezeigt, an ihrem neuen Stück „Die Ballade von Garuma“. Die Gruppe ist momentan die Nr.1 des internationalen Kinder-und Jugendtheaters, und läßt Frau Menck und Herrn Richard in's Schwärmen geraten, wie schön Theater sein kann: sinnlich, erotisch, verzaubernd, traurig, schaurig, musikalisch - und trotzdem realistisch.
Dem ist wohl nicht mit Konzepten oder Curriculi beizukommen, wissen auch die deutschen Theatermacher. Denn alle, so resümiert Jörg Richard, waren sich einig, daß Theaterpädagogen keine arbeitslosen Lehrer sein dürfen, und wenn doch, müssen sie danach sofort andere werden.
Die schnöde andere Wirklichkeit des Theaters ist seine konkrete Wirkstätte. Ab Mittwoch, also ab morgen, steht das Inventar des MOKS-Theaters verpackt in einem Bremer Keller und wartet auf neue Räume, vielleicht im Bremer Theater, vielleicht auch nicht. Realistisch und beeindruckend. Ist die Spiel-Medien-Kultur-Freizeit-Museums-Theaterpädagogik nicht die eigentliche Revolutionsgewinnlerin? Claudia Kohlhas
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