piwik no script img

Das Auto als „Ich-Prothese“

Der Sozialwissenschaftler Wolfgang Sachs über Tempolimit, Kastrationsängste und die neue Gemächlichkeit / „Geschwindigkeitsbegrenzung ist für viele Enteignung“ / Die Technik dem Menschen anpassen: Autos mit weniger PS  ■ I N T E R V I E W

taz: Warum wehren sich viele Autofahrer so verbissen gegen Tempobegrenzungen? Gibt es da auch verborgene, psychologisch erklärbare Motive?

Wolfgang Sachs: Wir verfügen über kein anderes technisches Instrument, das so stark mit Machtgefühlen und Machtwünschen aufgeladen ist wie das Auto. Man muß nur den Fußballen ein wenig bewegen und kann damit Kräfte auslösen, die viel größer sind als man selbst. Wegen dieser Inkongruenz bietet sich das Auto geradezu an, um Stärke zu spüren, um Macht auszuüben. Das Auto ist eine Art Ich-Prothese.

Ein Tempolimit würde diese Machtausübung reduzieren. Sie haben da von Kastrationsängsten der Autofahrer geschrieben.

Der Autofahrer hat Angst, seine Potenz zu verlieren, seine Herrschaftsausübung. Alle, die sich angewöhnt haben, die Nase vorn zu haben, jemand anderem ein Schnippchen zu schlagen und diese Wünsche aufs Auto verlagert haben, die wollen natürlich kein Tempolimit. Das ist für die eine Enteignung.

Die Deutschen tun sich mit Tempolimits besonders schwer. Wir sind zum Beispiel das einzige Land ohne Tempobegrenzung auf der Autobahn. Gibt es dafür eine Erklärung?

Das Auto hatte in Deutschland immer eine starke Symbolkraft. In den 50er und 60er Jahren war der Aufstieg der deutschen Wirtschaft und damit die nach dem Dritten Reich so wichtige Anerkennung in der Welt stark mit dem Auto verbunden. Es war fast ein nationaler Triumph, als die Exportziffern von „Volkswagen“ die Inland-Nachfrage überstiegen. Mit dem Auto waren in Deutschland immer mehr Gefühle verknüpft als in anderen Ländern.

Langsameres Fahren verlangt gelassene Menschen und Gefallen an Gemächlichkeit. Steht das nicht im Widerspruch zum Lebensrhythmus dieser Gesellschaft? Wir leben doch viel schneller heutzutage, warum sollten wir langsamer fahren?

Wir glauben, daß wir schnellere Menschen geworden sind. Aber wir sind auch verstocktere Menschen geworden. Es wird auf jeden Fall Aufgabe einer befriedeten Gesellschaft sein, zur Zeit ein gelasseneres Verhältnis zu finden. Den von Ihnen formulierten Widerspruch würde ich kämpferisch verstehen, als Herausforderung: Wir müssen die Perioden von mehr Ruhe und Gelassenheit ausweiten, genauso wie wir in den Städten diejenigen Zonen ausweiten müssen, die durch Verkehrsberuhigung von den Geschossen der Autos befreit sind. Autofahrer betrachten es gemeinhin als ihr Grundrecht, jeden Raum zu durchdringen, egal ob dort Leute wohnen, schlafen, Kinder spielen. Verkehrsbefriedete Zonen werden sie zu der Einsicht einladen, daß man nicht in jeden Lebensraum schnell und ohne Hindernisse eindringen kann.

Könnte ein derart gebändigter Verkehr auch auf andere Lebensbereiche ausstrahlen?

Das wird jeder bestätigen, der seinen Lebensrhythmus so eingerichtet hat, daß er auf die schneinbaren Zeitvorteile des Autos verzichtet. Ich selbst bin in Zeiten, in denen ich Auto fahre, immer nervöser.

Ist die Fixierung auf das Tempolimit als Möglichkeit zur Bändigung des Autos eigentlich der richtige Ansatz? Die Autos sind immer hochgerüsteter und damit schneller geworden. Auf deutsch: Wieso soll ich mit 30 kriechen, wenn ich eine Kiste mit 200 PS unterm Arsch habe. Muß man nicht bei der Autotechnik ansetzen?

Der Widerspruch zwischen PS-Zahlen und erlaubter Geschwindigkeit ist sicherlich ein wichtiger Grund für den Widerstand von vielen Leuten gegen langsameres Fahren. Das Tempolimit macht mit einem Schlag die ganze Absurdität deutlich. Es ist ja schon fast eine Kunst, eines der heutigen Hochgeschwindigkeitsautos so zu zügeln, daß es nur 30 fährt. Eine Möglichkeit wäre sicherlich, Schalter einzubauen, die ein Auto auf 30 km/h halten. Das ist technisch kein Problem. Weitergehender wäre es, die Technik dem Menschen anzupassen, also Autos zu bauen, bei denen die Geschwindigkeitsbeschränkung schon im Motor eingebaut ist, weil die Leistung viel niedriger ist.

Gibt es heute schon einen Markt für solch ein „Öko-Mobil“ mit 25 PS?

Ich hoffe, daß wir dahinkommen. Das würde auch die Antriebsmittel wieder in die Diskussion bringen. Der elektrische Antrieb ist vor allem wegen der hohen Geschwindigkeiten ausgeschieden.

Wolfgang Sachs hat u.a. den Rowohlt-Band „Die Liebe zum Automobil“ geschrieben. Er ist derzeit Gastprofessor für Technik und Gesellschaft in Pennsylvania, USA.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen