: Ost-Westliche Eintracht in Paris
Auf dem ersten Menschenrechtstreffen der KSZE-Konferenz, das am Sonntag zu Ende geht, herrschte diplomatische Eintracht / Wichtige Entscheidungen wurden bis zur Folgekonferenz in Moskau 1991 vertagt ■ Aus Paris Georg Blume
Dem Journalisten sind Diplomaten auf internationalen Konferenzen oftmals leichte Gesprächspartner. Sie übertreiben nicht wie Politiker, sind aber trotzdem, wenn auch ohne Namen, zitierfähig. In Paris aber, auf dem ersten Menschenrechtstreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), sprachen Diplomaten aus 35 Teilnehmerstaaten nahezu einmütig eine Sprache, die eigentlich Politikern ansteht: Sie schwärmten und schwelgten. Da konnte auch der eiserne Vorhang, der Rumänien von Ungarn trennen soll, die Sicht nicht mehr verdunkeln.
Das vierwöchige Treffen über die „menschliche Dimension“, das gestern zu Ende ging, markierte einen KSZE-Meilenstein. Zwar gerieten KSZE-Konferenzen während der achtziger Jahre immer wieder zu westlichen Klageveranstaltungen gegen Menschenrechtsverletzungen im Osten, doch war das offiziell so nicht vorgesehen und manchem auch im Westen insgeheim nie ganz recht. „Es müssen nicht alle sozialistischen Länder so sein wie China“, gestattete sich der US-Delegationsleiter bei seinem Abschlußbericht. Der bundesdeutsche Delegationsleiter beschrieb die „zunehmende Gemeinsamkeit der Interessen“, auf deren Boden man „neue Brücken geschlagen“ habe. Frankreichs Außenminister Roland Dumas, der gestern die Abschlußerklärung seines Landes vortrug, spürte auf der Konferenz „den immer größer werdenen Drang nach Demokratie und Solidarität“. Die französischen Gastgeber hatten vielleicht am meisten Grund zur Zufriedenheit: Gemeinsam mit der Sowjetunion hatten sie vergangene Woche einen aufsehenerregenden Vorschlag vorgelegt, der die „Errichtung einer gemeinsamen Rechtsgrundlage in einem Europa der Rechtsstaaten“ zum langfristigen KSZE-Ziel erklärt. Aufsehenerregend jedoch nicht so sehr deshalb, weil damit der herbeigewünschte „einheitliche Rechtsraum Europa“ (Genscher) um ein entscheidendes Stück nähergerückt wäre, sondern weil ein gemeinsamer Vorschlag aus Ost und West in Sachen Menschenrechte für die Arbeitsweise auf KSZE-Treffen durchaus revolutionär ist.
Der sowjetisch-französische Vorstoß wurde zudem später von der Bundesrepublik, Österreich und Ungarn mitgetragen. Die neue diplomatische Eintracht fiel freilich auch deshalb leicht, weil niemand konkrete Ergebnisse erwartet hatte. Vier Monate nach Abschluß der Wiener KSZE-Verhandlungen wollte keine Delegation neue Ansprüche stellen. Es ging vielmehr darum, den in Wien beschlossenen sogenannten „Mechanismus“ zur Überprüfung von Menschenrechtsverletzungen auszuprobieren und einige neue Ideen für die KSZE-Zukunft zu sammeln. Kein Wunder also, wenn kaum jemand daran Anstoß nahm, daß die rumänische Delegation während der letzten Konferenztage die Verabschiedung einer gemeinsamen Schlußerklärung der Teilnehmerstaaten erfolgreich verhinderte. Etwas Neues gab es nicht zu sagen. Die Vorschläge, wie etwa der französisch-sowjetische, bedürfen der weiteren Diskussion auf den Folgekonferenzen.
Angesetzt sind diese für 1990 in Kopenhagen und 1991 in Moskau. „Wir fassen sehr wichtige Entscheidungen 1991 in Moskau ins Auge“, bemerkte der sowjetische Delegationsleiter Kaschlev. Daran wurde auf westlicher Seite kein Anstoß genommen. Immerhin war Moskau noch vor wenigen Monaten als KSZE-Menschenrechtskonferenzort heftig umstritten.
Bis Moskau ist also Zeit. Doch sowohl die Vertreibung der türkischen Minderheit aus Bulgarien als auch der neue rumänische Grenzwall setzten Zeichen, wieviel auf dem Weg dorthin noch geschehen kann. Daß diese Ereignisse in Paris dennoch nicht die Stimmung verdarben, machte deutlich, wie stark bereits die Eigendynamik diplomatischer Begeisterung in den Ost-West-Beziehungen wirken kann. Um nicht als Spielverderber zu gelten, befand Gorbatschow-Sprecher Kaschlev: „Einen solchen Zaun würden wir nicht bauen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen