: Jetzt auch in Budapest: Der runde Tisch steht
Seit dem 13. Juni sitzen sie nach polnischem Vorbild zusammen, die ungarischen Kommunisten und ihre Opposition. Über allen schwebt die Frage, wie eine zukünftige repräsentative Demokratie in Ungarn zu gestalten ist.
Bis mit den Gesprächen begonnen werden konnte, hatten beide Seiten noch einige Forderungen aufgestellt. Die Opposition versuchte die Teilnahme der regierungsnahen Massenorganisationen wie der Einheitsgewerkschaft und der Patriotischen Volksfront zu verhindern.
Die KP ihrerseits wollte getrennte Gespräche mit den verschiedenen oppositionellen Gruppen durchsetzen, während die - jedenfalls die acht größten - Gruppen sich bereits im Mai auf eine gemeinsame Strategie geeinigt hatten, und zwar das nationalkonservative Ungarische Demokratische Forum, die bürgerliche Kleinbauernpartei, die Sozialdemokratische Partei, die linksbäuerliche Volkspartei, der westlich orientierte Bund der freien Demokraten (SZDSZ), die radikalen Jungen Demokraten (FIDESZ), der Freundeskreis des antifaschistischen Widerständlers Bajcsy-Zsilinsky und die Demokratische Liga der unabhängigen Gewerkschaften.
Gemeinsam kritisierten sie die Gesetze, die die Regierung in den letzten Monaten erlassen hatte. Vor allem sprachen sie der Nationalversammlung jegliche Kompetenz ab, fundamentale Gesetze zur Demokratisierung des Landes zu verabschieden. Sie verfüge schließlich über keinerlei demokratische Legitimation.
Die Opposition wußte um ihre Stärke: Immerhin schoben bei einer Meinungsumfrage Ende Mai über 45 Prozent die Schuld für die Verzögerung der Gespräche der Regierung zu, nur rund ein Drittel machte die Oppositionellen verantwortlich.
Anfang Juni kam es schließlich zur Einigung: Die Kommunisten ließen ihre Forderung fallen, die oppositionellen Gruppen getrennt an den runden Tisch zu laden. Im Gegenzug erklärten die sich bereit, neben der USAP ein kunterbuntes Gemisch verschiedenster nichtoppositioneller Organisationen als Gegenüber zu akzeptieren. Da ist die stalinistische Ferenc-Münnich -Gesellschaft ebenso vertreten wie die Einheitsgewerkschaft und die Volksfront.
Die USAP wiederum wies die Parlamentsabgeordneten an, solange keine fundamentalen Demokratisierungsgesetze mehr zu behandeln, bis man sich am runden Tisch geeinigt habe. Die schon vorbereiteten Gesetze über den Verfassungsgerichtshof, das Amt des Staatspräsidenten, die Wahlordnung sowie ein Gesetz über die Finanzierung der neuen Parteien müssen erst einmal in der Schublade bleiben.
Das wiederum hat einige Parlamentsabgeordnete auf den Plan gerufen. Entscheidende Machtbefugnisse, so diese Stimmen, gelangten nun an einen runden Tisch, der ebensowenig von der Bevölkerung legitimiert ist wie das Parlament. Imre Konya, ein Sprecher der Opposition, brachte sogar eine „Regierung der Konzentration“ ins Gespräch. Er versprach aber auch, vor allgemeinen und freien Wahlen werde die Opposition allen Umarmungsversuchen durch die USAP widerstehen.
Gute Ausgangsposition
für Pozsgay
Bei den Eröffnungsreden rund um den Tisch haben die Redner der USAP einen starken Staatspräsidenten gefordert. Ein Amt, das für den machtbewußten Reformkommunisten Imre Pozsgay maßgeschneidert wäre. Und da Anhänger des klug taktierenden Staatsministers in allen drei Gruppierungen am runden Tisch sitzen, hat Pozsgay gute Karten: Die USAP unterstützt sein Verlangen ebenso wie die Führung der Volksfront.
Bei der Opposition liebäugelt sogar ein Teil des Demokratischen Forums mit Pozsgay für das Amt des Staatspräsidenten. Und auch die Parteien der Kleinbauern und die Sozialdemokraten, die zwar über eine große historische Tradition verfügen, aber nur wenig schlagkräftig organisiert sind, könnten den Umarmungsversuchen der Kommunistischen Partei erliegen. Schon sprechen manche von einer sich abzeichnenden Koalition zwischen diesen Parteien.
Bela Rasky, Wien
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