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Jahrgang 1914, Geburtsort Kassel

■ Ein Porträt der Londoner Galeristin Annely Juda

Lore Kleinert

Ich bin wahrscheinlich sehr dickköpfig. Man selbst ist sich gar nicht so klar, man macht einfach so vor sich hin. Und dann ist es eine Lebensweise geworden.“ Dickköpfig wirkt sie zunächst gar nicht - der erste Eindruck: eine kleine, flinke Frau, weites Wollkleid. Aber sie ist sich ihrer „Lebensweise“ sicher: Wenn sie Gästen ihrer Galerie Kaffee anbietet, dann tut sie das als Hausherrin - nicht als guter Geist, sondern als souveräne Kennerin und Liebhaberin jedes einzelnen Kunstobjekts in ihren Räumen. Ihre Galerie zu finden, ist nicht leicht - eine kleine Gasse mitten in London, irgendwo zwischen Oxfordstreet und Fernmeldeturm.

Als Annely Juda erstmals bewußt wurde, daß sie aus ihrem Kunstinteresse einen Beruf machen wollte, bekam sie zu hören, sie werde nie eine Galerie haben. Man bot ihr an, erst Sekretärin und dann Mädchen für alles in einer Galerie zu spielen; sie nahm an, und zwei Jahre später leitete sie die Moulton-Galerie. Arnold Bode, Erfinder und erster Organisator der Kasseler Documenta und ein alter Freund ihrer Mutter, schenkte ihr die Einrichtung. Das war 1960, und Annely Juda war 46 Jahre alt.

Sie lernte: Von Anfang an spezialisierte sie sich auf abstrakte englische Kunst und Künstler, die für die Entwicklung der modernen Malerei wichtig waren. „Ich war immer mehr an abstrakten, Minimal- und Avantgardekünstlern interessiert als an denen, die normale Leute vorziehen. Ich habe immer auch versucht zu mischen, habe zum Beispiel eine große Paul-Klee-Ausstellung gemacht, weil mir von Anfang an klar war, daß man nur mit jungen Künstlern allein zu wenig Geld verdient.“

1963 übernahm sie die Leitung der Hamilton-Galerie, weil die Besitzer ihr größeren finanziellen Spielraum boten. Sie lernte zum Beispiel, daß Besitzer, die eine Galerie vor allem zu Abschreibungszwecken betreiben, nicht bereit sind, finanzielle Risiken für die Kunst einzugehen. Als die Galerie geschlossen wurde, hatte sie das Know-how und viele Freunde: „Alle Künstler, die ich damals hatte, haben gesagt, sie würden auf Geld verzichten; sie wollten, daß ich weitermachte, wollten alle helfen.“ Sie machte weiter, zuerst in ihrer Wohnung, bis sie in der 11 Tottenham Mews „ihr“ Haus entdeckte. „Ich fragte: 'Haben Sie keinen Platz im Haus?‘ Oben war ein Raum frei - den nahm ich sofort. Meine Kinder haben mir geholfen: Wir haben tausend Nägel aus der Decke gezogen, weil das vorher ein Kleiderfabrikant war. Überall in diesen Hinterhäusern sind noch richtige Sweatshops, meist aus Zypern, wo 20, 30 Leute in einem Zimmer sitzen und wie die Wahnsinnigen nähen und bügeln und billige Kleider machen. Ich fand es wunderbar, viel schöner als um die Bondstreet (Londons Galeriezentrum) herum. Wir haben eine sehr schöne Eröffnungsausstellung gemacht.“ Jetzt, 1968, war Annely Juda 54 Jahre alt. Ein weiter Weg.

„Ich komme ursprünglich aus Kassel, und meine Eltern hatten immer ein kultiviertes, kunstinteressiertes Haus. Meine Mutter war Malerin, dadurch wurde mein Interesse früh geweckt. Aber die Ereignisse haben das natürlich vollkommen überschattet, so daß ich weder Kunstgeschichte noch irgend etwas anderes studieren konnte.“ Die Ereignisse: Kassel war schon vor 1933 eine Hochburg der Nazis. Annelys Vater Kurt Brauer war von Berlin dorthin gezogen, weil er Chemiker war und ein Laboratorium kaufte, das ursprünglich einem Freund Goethes gehört hatte. Kurt und seine Frau Margarete Brauer waren Juden; sie verstanden sich als liberal und emanzipiert, Hebräisch sprachen sie nicht. Im April 1933 wurde er verhaftet. Nachdem Karl aus der „Schutzhaft“ entlassen worden war, verließ er Deutschland sofort. „Ich bin ihm im Juni 1934 nach Palästina gefolgt. Ich war die Älteste, damals 19 Jahre, kurz vor dem Abitur, aber sie haben mir zu verstehen gegeben, daß sie mich durchfallen lassen werden. Das Vergnügen wollte ich ihnen nicht machen, so habe ich die Schule verlassen. Es war vielleicht auch ein bißchen Abenteuerlust dabei - wenn man jung ist, übersieht man das nicht so genau. Wir haben in Palästina eine Fabrik für Puddingpulver gegründet, während meine Mutter versuchte, das Laboratorium zu verkaufen, was sehr schwierig war. Zum Schluß ist es gelungen, für wenig Geld zwar, aber genug, um das Zertifikat für die Einwanderung zu bekommen.“

Die Mutter ihres Vaters, die in Berlin ein Antiquitätengeschäft hatte, weigerte sich, zu flüchten. Annely erinnert sich an sie: berühmt war sie, selbstbewußter Mittelpunkt vieler Künstler und Intellektueller, eine schöne Frau mit roten Haaren. Als sie deportiert werden sollte, brachte sie sich um. Annelys andere Großmutter starb in Theresienstadt im Lager.

Palästina bot jüdischen Flüchtlingen Zuflucht, und das hieß: harte Arbeit, eine fremde Sprache. Annely half Puddingpulver herstellen, verpackte es und trug es aus, und als sie nahe daran war, alle Träume zu begraben, entschloß sie sich fortzugehen, nach England. 1937 kam sie dort an, mit einem Pfund in der Tasche, und ein Pfund pro Woche brachten ihr verschiedene Schwarzjobs ein: zum Beispiel als Babysitterin, Haustochter, Serviererin bei Bekannten ihrer Familie. Endlich konnte sie studieren: Sie belegte Kurse für Modedesign an der Reimann-Schule, der vor 1933 berühmtesten Schule für Mode in Berlin - emigriert wie sie selbst. Nach Ausbruch des Krieges war es vorbei, die Schule wurde geschlossen. Schluß war auch mit Modedesign: Im Dezember 1939 heiratete Annely den Jurastudenten Paul Juda; auch er war Sohn einer Emigrantenfamilie. Er konnte sein Studium nicht beenden, wurde Geschäftsmann. 1942 wurde die erste Tochter geboren. „Wir wohnten in Richmond; dort ist ein großer Park, und wenn wir hörten, daß wieder interniert wurde, sind wir entweder ins Kino gegangen oder in den Park. So überstanden wir die Zeit, ohne abgeholt zu werden. Deutsche waren 'feindliche Ausländer‘, und es gab in England sehr viel Angst vor Infiltration.“

Nach Kriegsende ging Paul Juda nach Deutschland zurück, nach Köln, um verlorenen Familienbesitz wiederzuerlangen. Annely Juda ging mit, widerwillig und nur weil sie glaubte, es werde nicht lange dauern. „Ich habe das sehr ungern getan. Ich fühlte mich völlig fremd, und 1955 bin ich mit meinen Kindern - ich hatte inzwischen drei Kinder - allein wieder hierher zurückgegangen.“ Mit 41 Jahren begann sie ihr Leben als unabhängige Frau. Es war schwer, trotz der deutschen Kinderfrau, die mitgekommen war und bis heute bei ihr geblieben ist, und obwohl ihre Mutter für eine Zeitlang aus Israel kam und ihr half. Die eigene Galerie in 11 Tottenham Mews, 13 Jahre später, erreichte sie ohne Ausbildung und Studium, ohne Geld, mit wenigen guten Freunden.

Auch Glück war dabei. „Durch einen Zufall wurden uns 1970 ein Dutzend Malewitsch-Zeichnungen und Manuskripte angeboten, die wir dann gekauft haben. Das brachte mich auf die Idee der 'Non-Objective-World‘ (die gegenstandslose Welt), nach dem Titel eines Aufsatzes von Malewitsch, den ich verwenden durfte. Das war unsere erste sehr erfolgreiche Sommerausstellung, und das wurde dann jeden Sommer zur Regel. Wir kämpften immer wieder. Finanziell ist nicht immer alles leicht gewesen, wir haben große Risiken übernommen, Dinge gekauft und dann überlegen müssen, wie wir sie eigentlich bezahlen. Aber dadurch hatte ich oft wunderbare Bilder, und das war das Wichtigste.“

Wunderbare Bilder hat sie noch immer: Im Obergeschoß der Galerie - sie hat inzwischen das ganze Haus gekauft - hängen ihre Lieblinge, die russischen Konstruktivisten und Suprematisten wie El Lissitzky, Tatlin oder Gontscharowa neben Picasso, Klee, Leger oder Christo, zu viele, um sie alle zu nennen. In den beiden großen Räumen unten zeigt sie nach wie vor junge Künstler. Sie auszustellen heißt sie so zu betreuen, daß sie eine wirkliche Chance auf dem Kunstmarkt haben, mit Ausstellungen auch im Ausland, der Beteiligung an Kunstmessen und mit guten Katalogen. Daran hängt ihr Herz, und sie zeigt sie gern und mit Stolz.

Den Kunstboom, der auch in London kleine Galerien wie Pilze aus dem Boden schießen ließ, beurteilt Annely Juda skeptisch: „Jeden Tag machen neue Galerien auf; das allein ist immer noch kein Kunststück, wenn sie nur Miete und Licht zahlen müssen. Aber es gibt zweierlei Galerien: die, die ihre eigenen Bilder haben, davon gibt es nicht mehr viele auf der Welt, und die mit den wechselnden Ausstellungen, die nur Bilder auf die Wände hängen. Das ist ein Risiko, und man muß sich im klaren sein, daß Geldverdienen sehr schwer geworden ist. Auch war es in den letzten Jahren schwierig, wirklich gute Künstler zu finden, wo man das Gefühl hatte, daß sie sich weiterentwickeln und es nicht eine Modesache ist. Selbst unsere - jetzt, nach vielen Jahren verdienen sie alle gut, und uns bleibt genug, um Kataloge zu machen, zu reisen, aber reich kann man da nicht werden. Die Prozente sind nie hoch genug, in den USA bekommen wir zum Beispiel nur zehn Prozent, zahlen aber den halben Transport, die Versicherungskosten sind riesig und Angestellte nicht billig. Wenn man es richtig macht, ist es ein teurer Apparat.“

Es „richtig“ zu machen, das ist heute noch unabdingbar für die Galeristin Annely Juda. Margaret Thatchers Kulturpolitik, die an öffentlicher Kulturförderung spart und Institutionen wie den Arts Council bedroht und einschränkt, ist ihr ein Dorn im Auge, weil sie weiß, wieviel dabei auf der Strecke bleibt. Sie betont, daß Kunstförderung ohne große Firmen als Sponsoren nicht mehr auskommt; sie selbst hat einen Raum der Deutschen Bank in Frankfurt mit Bildern japanischer Maler ausgestattet, und in den VIP-Lounges der British Airways zeigt sie Bilder britischer Künstler aus ihrer Galerie. „British Airways will mehr machen. Ich habe ihnen gesagt, sie müssen überall ständig Kunst haben, nicht nur in ihren VIP-Lounges. Alle Museen, alle großen Ausstellungen müssen jetzt von Firmen unterstützt werden, weil die öffentlichen Gelder knapp werden.“

Annely Juda ist heute 75 Jahre alt. Denkt sie daran, aufzuhören? Das würde ihrer Vorstellung, etwas 'richtig‘ zu machen, zu sehr widersprechen und könnte sie von der Kunst entfernen. Aber damit verbindet sie eine Liebesbeziehung, die, wie jede Liebe, eine sehr irdische, praktische Seite hat. Das geht nicht zu Ende, nur wegen der vielen Jahre. Seit 1968 arbeitet sie mit ihrem Sohn zusammen, aber das Haus in 11 Tottenham Mews ist ihre Galerie geblieben. „Er ist auf der Geschäftsseite viel tüchtiger als ich - als Frau habe ich immer doppelt zu kämpfen, das war so, und das ist es auch heute noch. Ich habe mehr Phantasie und bin ständig mit neuen Ausstellungen und vor allem der historischen Seite beschäftigt. 29 Jahre als Galeristin - das ist eine lange Zeit. Ich selbst habe gar nicht gemerkt, daß das schon so lange her ist, es ist irgendwie doch sehr schnell gegangen.“ Sie lächelt, ohne Bitterkeit, ohne Bedauern, mit Würde. „Man lernt ja auch dauernd dazu. Das hört nie auf.“

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