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What about the Holocaust?

■ Das „Jewish German Dance Theater“ war auf Deutschland-Tournee

Steine schlagen aneinander. Das präzise rhythmische Klacken dringt aus allen Winkeln des abgedunkelten Raumes. Bei zunehmender Geschwindigkeit formiert es sich zu immer neuen harten akustischen Figuren und verdichtet sich schließlich zu einer schneidenden, bedrohlichen Klage.

Was hier „wachgeklopft“ werden soll, ist die Erinnerung an die Toten. Einen Stein auf ein Grabmal zu legen ist jüdischer Brauch - ein Zeichen der Trauer, der Ehrfurcht und des persönlichen Verbundenseins. Sich jenen Toten zu nähern, denen man nicht auf stillen Friedhöfen nach-denken kann, die, verscharrt, verbrannt und „industriell verwertet“, im Abstraktum einer Sechs-Millionen-Schuld begraben sind, ist das Anliegen eines ungewöhnlichen Projektes. But what about the Holocaust? fragte das „Jewish German Dance Theater“ erneut auf seiner zweiten DeutschlandTournee. 1985 in Philadelphia als eine Kooperative von amerikanisch -jüdischen und deutschen Künstlern gegründet, entschloß sich das Ensemble im Rahmen des 50. Gedenktages der Reichspogromnacht im Herbst letzten Jahes zu seiner ersten Gastspielreise durch die BRD und West-Berlin. Die große Resonanz ermöglichte jetzt eine Wiederholung der Aufführungen in Kommunen und Kirchengemeinden, erstmals erfolgte auch eine Einladung in die DDR.

Lisa Green tritt unvermittelt hart an die Bühnenrampe. „The problem is“, ruft sie ins Publikum, „I'm afraid of you - and you're afraid of me.“ Lisa ist Jüdin - für viele nachgeborene Zuschauer die erste, der sie begegnen. „I am a Jew“, sagt auch Sheila Zagar und deutet auf sich, als wär's ein Affront. „Ich bin jüdisch. Look at me!“ Es ist ein Affront. Das Jewish German Dance Theater sucht nicht die falsche Voreiligkeit schöner Versöhnungsgesten, sondern die Konfrontation. Ihre Strategie läßt Kontakte zwischen Tanzenden und Zuschauern nur punktuell und prägnant plaziert zu. Selbst das sparsam eingesetzte Raumtheater gehorcht einer verhaltenen Choreographie der Distanz, in der Isolation, Angst und Argwohn gegenwärtig sind.

Der primären Ausdrucksstärke von Bewegung, Sprache und Rhythmus Raum gebend, ist das Bühnenbild karg, Requisiten werden kaum verwendet. In 16 narrativen, parabolischen und auch kabarettistischen Szenen präsentieren vier Tänzerinnen und zwei Tänzer - die Hälfte von ihnen erfahrene Profis ein „Theater der zweiten Generation“, das die personelle Zusammensetzung der Gruppe synchron mitreflektiert. Konfrontation auch hier: Allein, die oft streng fugal komponierte Zweisprachigkeit der Aufführung - die größtenteils auch in den USA beibehalten wird - läßt nicht vergessen, welche Kluft die amerikanisch-jüdischen und die deutschen Künstler voneinander trennt. Zitate aus Tagebucheintragungen Goebbels‘ bleiben unübersetzt: deutsch. Ebenfalls allein in deutscher Sprache wird, freundlich daherkommend, die Anekdote von „Schnäpschen“ erzählt - dem schrulligen Juden, der als Hausierer regelmäßig kindliche Neugierden weckte. Nachhaltig verfolgen die szenischen Umsetzungen die Korrespondenzen zwischen Vorurteilsgeschichte(n), peinlich-ignoranten Liberalismen und KZ-Realität. „Der Jude“ ist in jedem Fall ein Prototyp.

Metapher der Sprachlosigkeit ist die stumme, tänzerische Gestaltung der Opfer- und Täterfiguren. Beeinflußt von verschiedenen Stilen des Modern Dance und des Kreativen Tanzes, von Ballett und Akrobatik, stehen der verzweifelten, dennoch weichen Körpersprache des Schmerzes, der Qual und der Suche nach Trost die kantigen Erektionen faschistischen Herrschaftsgebarens entgegen: „SA marschiert“. Raumgreifende Armbewegungen erstarren zu Hakenkreuzen.

Daß ein deutscher Tänzer in die Figur eines todgeweihten Juden schlüpft, daß jüdische Tänzerinnen das Vaterunser beten, das im unerbittlichen Crescendo das Kiddush (Segnung des Weins an heiligen Tagen) verschlingt, oder in Nazi -Kolonnen marschieren, kann dem Publikum nicht entgehen. Die Identitäten liegen offen, als trügen die einen den Davidstern und die anderen nicht. „I am a Jew“, rief Sheila. Björn Krondorfer, Mitbegründer des Tanztheaters, bekennt, daß es „gefährlich ist, Rollen zu tauschen“. Dennoch ist der Rollenwechsel ein grundlegendes Element der gemeinsamen Arbeit: Das Bewußtsein, nicht im üblichen Sinne zu „schau -spielern“, prägt die Auseinandersetzung mit Part und Gegenpart als Belastung und Chance zugleich.

Nach jeder Vorstellung sucht das Ensemble das Gespräch mit den Zuschauern. Das Interesse ist groß, viele sehen das Stück zum zweiten oder, an unterschiedlichen Spielorten, zum dritten Mal. Dennoch bleibt die Diskussion oft einer hilflosen „Betroffenheit“ verhaftet. Auch ungeteilte Zustimmung findet das Jewish German Dance Theater bei weitem nicht immer. Ungewohnte Kost ist es besonders für nicht -großstädtische Gemeinden, das Christentum dem Vorwurf antisemitischer Traditionen ausgesetzt zu sehen. Auch daß Jesus Jude war, weiß längst nicht jeder Kirchgänger.

Inzwischen sind die meisten Gruppenmitglieder in die USA zurückgeflogen. Eine Einladung von Aktion Sühnezeichen, 1990 durch die DDR und Polen auf Tournee zu gehen, liegt bereits vor. Auch Israel und Pennsylvania stehen auf dem Programm. Und die BRD? Nachfragen sind erwünscht. Die Arbeit an dem über Jahre immer wieder variierten Stück But what about the Holocaust? soll abgeschlossen werden, doch der Themenkreis jüdisch-deutscher „Begegnung und Erinnerung“ wird weiter die Zusammenarbeit bestimmen. Überlegungen richten sich auf die jüdische Kultur im vorfaschistischen Deutschland, vielleicht auch auf die Inszenierung einer jüdischen Biographie. Mehr ist vorerst nicht zu erfahren.

Esther Röhr

Interessenten wenden sich an:

Jewish German Dance Theater c/oBrigitte Heusinger von Waldegge, Fechenheimer Str.13, 6000 Frankfurt 60

Tel.069/495740

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