: „Lex Gladbeck“ für den Grenzschutz
Gesetzentwurf soll Bundesbeamten den „finalen Rettungsschuß“ erlauben / Bonn prescht vor ■ Von Gast und Gaserow
Berlin (taz) - Der sogenannte „finale Rettungsschuß“ soll nach dem Willen des Bundesregierung für Vollzugsbeamte des Bundes gesetzlich absichert werden. Ein entsprechender Entwurf zur Änderung des „Gesetzes über den unmittelbaren Zwang“ (UZwG) ist, wie der taz jetzt bekannt wurde, im Bonner Innenministerium bereits erstellt und dem Bundeskabinett zur Beschlußfassung zugeleitet worden.
Nach den Bonner Plänen soll der Schußwaffengebrauch künftig nicht nur erlaubt sein, um Strafttäter „agriffs- oder fluchtunfähig“ zu machen, erlaubt wird auch ein „Schuß, der mit an Sicherheit grenzender Warscheinlichkeit tödlich wirkt“. Dieser „finale Rettungsschuß“ soll den Beamten ausdrücklich befohlen werden können. Bisher hatten Polizeibeamte eine Entscheidung über Schußwaffengebrauch nur im Rahmen des Nothilferechtes und in eigener Verantwortung treffen können. Wird der Entwurf verabschiedet, werden auch die Rechte möglicher Geiseln beschnitten. Sie konnten bisher eine gewaltsame Befreiung gegen ihren Willen, etwa durch Zuruf, untersagen.
Bei der jetzt angepeilten Regelung wären die Behörden in die Lage versetzt, im Sinne „übergeordneter Interessen“ den Schußwaffengebrauch trotzdem anzuordnen. Einen Hinweis auf „höherrangige Interessen“ gibt es bereits in der nicht veröffentlichten Polizeidienst Fortsetzung Seite 2
Kommentar und Dokumentation Seite 8
vorschrift 132: „Bei einem übergeordneten Interesse kann im Einzelfall eine erhöhte Gefährdung der Geiseln unumgänglich sein.“
Das Ziel sei, die „Rechtssicherheit beim Schußwaffengebrauch in besonderen Situationen, insbesondere bei Geiselnahmen, zu erhöhen und damit gleichzeitig die Fähigkeit der Polizei zur Bewältigung solcher Situationen zu verbessern“, heißt es in der zehnseitigen Begründung. In Anlehnung an den Musterentwurf für ein einheitliches Polizeirecht soll dann in Paragraph 12 des UZwG festgelegt werden: „Schußwaffen dürfen nur gegen Personen gebraucht werden, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Ein Schuß, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr ei
ner schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist.“ Unter der Vorraussetzung daß der vorsätzliche Todesschuß „das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr ist“, wäre er auch dann zulässig, wenn Unbeteiligte „mit hoher Warscheinlichkeit gefährdet werden“.
Obwohl in dem Gesetzentwurf ständig von der Polizei die Rede ist, gelten die Bonner Pläne nur für Polizeibeamte der Bundes, nicht für die der Länderpolizeien. Den Freibrief zum gezielten Todesschuß hätten damit insbesondere Beamte des Bundesgrenzschutzes, des Bundeskriminalamtes und der Sicherungsgruppe Bonn. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf übernimmt wortwörtlich die heftig umstrittenen Passagen aus dem Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz, das aber schon in den 70er Jahren von der Mehrheit der Bundesländer strikt abgelehnt worden war.
Den „finalen Todesschuß“ haben nur die CDU-Länder Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz in ihre Polizeigesetzte übernommen. Die übrigen haben Länder haben bis
her eine Übernahme des gesetzlich sanktionierten Todesschusses abgelehnt. Eine Notwendigkeit, die geltenden Polizeigesetzte zu ändern, sehen sie nicht. Mit Einführung der gesetzlichen Grundlage zum gezielten Todesschuß befürchteten nun die saarländischen Sicherheitsexperten eine „Signalwirkung“, die die Hemmschwelle beim Schußwaffeneinsatz generell heruntersetzt.
Der frühere Düsseldorfer Polizeidirektor Kurt Gintzel hällt den Plänen, die nach dem Gladbecker Geiseldrama vor allem von der CDU/CSU wiederholt auf die Tagesordnung wurden, entgegen: „Für eine am Opferschutz orientierte polizeiliche Vorgehensweise in Situationen von Geiselnahme bleibt es völlig irrelevant, ob im Polizeirecht des jeweiligen Landes der vorsätzliche Todesschuß als hoheitliche Handlung verrechtlicht ist oder nicht“. Auch Falco Werkentin, jahrelanger Beobachter für die polizeikritische Zeitschrift „Cilip“ den Bereich seit Jahren verfolgt, wertet den Entwurf in erster Linie als „politisch-symbolische Geschichte, der empirisch kein so große Bedeutung zukommt“.
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