piwik no script img

Lehrverpflichtung zum Nulltarif

■ Ein Sonderfall des wissenschaftlichen Mittelbaus: Privatdozenten / Zwei Drittel der Habilitierten sind ohne Anstellung / Jahrelanges Hoffen auf eine Professur

Was stellt man sich gemeinhin unter einem Privatdozenten vor? Zum Beispiel den wohlsituierten Chefarzt, der „nebenbei“ ein paar Vorlesungen an der Uni hält? Oder den Politiker mit fünfstelligem Monatseinkommen, der sich in jungen Jahren einige wissenschaftliche Sporen verdienen konnte und von Zeit zu Zeit den Dialog mit den Studenten sucht?

Im wirklichen Leben sieht die Situation der meisten Privatdozenten bedrückend aus. 70Prozent der in der Bundesrepublik und West-Berlin seit Beginn der 80er Jahre Habilitierten sind nach einer Studie des Hochschulverbandes entweder arbeitslos oder davon bedroht. Schuld daran ist eine verfehlte Stellenpolitik Anfang der 70er Jahre. Mit dem Trend zur Massenuniversität wurden die Professorenstellen großzügig vermehrt und übermäßig mit Hochschullehrerneiner Altersgruppe besetzt. Die Folge: Jetzt nachrückende Wissenschaftler haben erst frühestens Ende der 90er Jahre eine Chance auf eine Festanstellung als Professor.

Für den 48jährigen Doktor K., Dozent für Indogermanistik an der FU, kann es dann schon zu spät sein. Obwohl das Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) keine Altersgrenze für die Berufung zum Professor vorschreibt, wird in der Praxis jedoch auch in Berlin der im Bundesgebiet üblichen Regelung gefolgt, nur Bewerber zu berufen, die das 52.Lebensjahr noch nicht überschritten haben.

In der Hoffnung, doch noch irgendwann aus dem Loch zwischen Habilitation und Professur heraus eine feste Stelle zu erklimmen, überwintern die meisten Privatdozenten oft jahrelang in sozial ungesicherten Nebenjobs oder als Empfänger von Arbeitslosengeld. (Dann lernen sie mal das richtige Leben kennen und nicht nur die Theorie übers Leben - d.S.)

Das heißt nicht etwa, daß sie in diesem Wartestand die Hände in den Schoß legen könnten. Damit Lehr- und Prüfungsbefugnis nicht verfallen, müssen Privatdozenten mindestens zwei Semesterwochenstunden im Jahr in der Lehre tätig sein. Honorar für ein zweistündiges Seminar: 300Mark pro Semester. Daneben müssen Prüfungen abgenommen und Diplomarbeiten betreut werden. Einer Verpflichtung, der man sich zwar formal, aber, „um im Geschäft zu bleiben“, nicht real entziehen kann, wie Doktor K. aus Erfahrung weiß.

Die Verpflichtung zu nahezu unbezahlter Arbeit „ist in der Geschichte der deutschen Hochschule einmalig“, lautet denn auch die Kritik einer Dozenteninitiative an der FU, die ein Papier mit Forderungen an das neue BerlHG vorgelegt hat. Kernpunkte sind die unbefristete Festanstellung aller Habilitierten, der Fortfall der Altersgrenzen bei Berufungen sowie das Recht auf aktive Mitwirkung an den Selbstverwaltungsorganen der Hochschule. Mittlerweile haben sich TU und FU zwei weitere Initiativen gebildet.

Auch der neue Senat hat für die Misere der Privatdozenten ein Ohr. Derzeit sei man jedoch mit den Hochschulen „im Gespräch“ über die Schaffung eines zusätzlichen Stellenkontingents aus dem Haushalt der Hochschulen.

bes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen