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The heavy sound of freedom

Senat streicht Flüge - Bundesregierung geht in die Luft  ■ K O M M E N T A R

Man muß schon ehrlich froh sein, daß West-Berlin immer noch eine besetzte Stadt ist. Baut die Regierung Mist, dann gibt es immer noch die Alliierten, die das wieder grade bügeln können. Lobenswert, daß es mutige Politiker wie Heinrich Lummer und Friedrich Zimmermann gibt, die sich nicht scheuen, die Besatzungsmächte an diese ihre demokratische Verantwortung zu erinnern. Die erfahrenen Militärs müssen, wie sich das in unreifen Demokratien gehört, „die Notbremse ziehen“, da hat Lummer recht. Gut auch, daß es eine Bundesregierung in Bonn gibt, die sofort den Finger tadelnd erhebt, wenn die dumme, kleine Berliner Regierung mal wieder über die Stränge schlägt.

Will dieser Senat doch 36 Flüge streichen und damit den Luftraum über Berlin kampflos der Aeroflot überlassen! Vernachlässigt er doch glatt - die Bundesregierung hat das Gott sei Dank gleich erkannt - die „speziellen Interessen Berlins“! Obwohl die Bundesregierung von den Berlinern gar nicht gewählt wurde, und obwohl die Bonner Politiker weiß Gott genug anderes zu tun haben, kümmern sie sich nebenbei dennoch selbstlos um die Bewohner der Halbstadt. So soll Deutschlandpolitik sein. In Bonn hat das sehr spezielle Interesse der Berliner, mit konstanten Dezibelzahlen das mahnende Gedenken an die Luftbrücke aufrechtzuerhalten, jedenfalls echte Anwälte. That's the sound of freedom!

Wo kommen wir hin, wenn eine kleine Minderheit von nicht mal hunderttausend Fluglärmgeschädigten ihre arglosen Mitmenschen terrorisieren und sie zwingen darf, zehn Minuten länger auf den nächsten Flug nach Frankfurt zu warten? Kommen die Berliner überhaupt noch irgendwo hin oder müssen sie nicht befürchten, in ihrer schmutzigen, kleinen Stadt hängenzubleiben, weil die Fluggesellschaften in ihrem gerechten Zorn beschließen, nun den Berlin-Flugverkehr ganz einzustellen? Zu verdenken wäre ihnen das nicht. Wagt es doch der im Verfassungsrecht sehr unbewanderte Berliner Senat, seine Kompetenzen kraß zu überschreiten und in die „Freiheit von Wirtschaftsunternehmen“ einzugreifen! Verkehrsminister Zimmermann, der dies in Sorge um Berlin anprangerte, kann jetzt trotzdem wieder ruhig schlafen: Er ist sicher, daß die Alliierten souverän den kindischen Vorstoß des Senats zurückweisen werden.

Die demokratisch immer noch sehr unzuverlässigen Berliner haben die Parteien gewählt, die diesen rot-grünen Senat bilden, das läßt sich nicht leugnen. Wenn sie ihn jetzt nicht selber bald stürzen, dann bleibt wohl nur eins: Eine neue Luftbrücke, die massenhaft echte Demokraten vom Schlage Zimmermanns einfliegt.

Hans-Martin Tillack

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