: Schweiz: Diamant oder Klunker?
Zweifache Generalmobilmachung: Die Schweizer Armee feiert den 50. Jahrestag des Kriegsausbruchs - der Jubiläumsrummel soll für die Volksabstimmung über die Abschaffung der Armee im Herbst Stimmung machen / PazifistInnen protestieren mit Denkmalsturz ■ Aus Helvetien Thomas Scheuer
Jetzt haben sie den alten „Fritz“ schon wieder umgelegt: In der Nacht auf Donnerstag haben Unbekannte das Soldatendenkmal auf der Passhöhe von Les Rangiers im schweizerischen Jura, einen sechs Meter hohen und acht Tonnen schweren Wachsoldaten aus Granit, mit einem Stahlseil vom Sockel geholt. Kopf und Bajonett des steinernen Gedenk -Fossils, das 1924 zur Erinnerung an die Kriegsmobilmachung 1914 enthüllt wurde, sind verschwunden. Als „Le Fritz“ (der volkstümliche Spitzname geht auf den Namen des Sportlers zurück, der seinerzeit für den Koloß Modell stand) vor fünf Jahren schon einmal gekappt wurde, bekannten sich jurassische Separatisten zu dem Anschlag. Hinter der jüngsten Attacke jedoch werden Gegner der schweizerischen Armee vermutet.
Das Timing jedenfalls stimmt. In den kommenden Wochen feiert die offizielle Schweiz den 50. Jahrestag der zweiten Generalmobilmachung von 1939. Landesweit wird mit patriotischen Festreden, Veteranentreffen, Gedenkmünzen und Wanderausstellungen nicht etwa das Ende, sondern der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zelebriert. Von dem blieb die von den Achsenmächten völlig eingeschlossene Schweiz verschont. Dank den Wehrmännern - so will die nationale Mär glauben machen -, die damals, Karabiner bei Fuß, auf Alpenpässen und Rheinbrücken die Nazi-Übermacht vor dem Einfall in das Alpenländchen abschreckten.
130.000 Ehemalige, so die Statistik des Verteidigungsministeriums, haben sich für die „Diamant„ -Feiern angemeldet. Den hochkarätigen Projektnamen „Diamant“ für ihre Militärfestwochen haben die staatlichen Veranstalter einem Gedicht des Schweizer Poeten Gottfried Keller entnommen. Darin wird der schweizerische Nationalcharakter zum Diamanten verklärt: von „unzerstörlich alldurchdrungener Einheit“ sowie „ungetrübter, strahlender Reinheit“.
Doch zersetzende Bazillen im leuchtenden Volkskörper regen sich bereits: „Dieser Diamant ist falsch geschliffen“, kritisiert etwa der Wirtschaftsprofessor Franz Jaeger, „er verbreitet falsches Licht und falsche Farben.“ Die bevorstehenden Feierlichkeiten findet der Universitätslehrer „schlicht pervers“. Seine Kritik: „Im Zeichen der weltweiten Entspannung und Abrüstung liegen wir völlig quer in der Landschaft, wenn wir den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs feiern. Und genau das tun wir, denn ohne Kriegsausbruch hätte es gar keine Mobilmachung gegeben.“ Selbst die staatstragende 'Neue Zürcher Zeitung‘ mahnt: „In den Augen ausländischer Staaten, die damals schwerste Verluste erleiden mußten, nähme sich eine Schweiz im Mobilmachungstrubel etwas merkwürdig aus.“
Progressive Historiker fordern ohnehin längst eine kritische Reflexion der Rolle ihres Landes während des Krieges. An der nationalen Lebenslüge, nur bodenständiger Wehrwille habe die Schweiz gerettet, nagen zunehmend wissenschaftliche Zweifel. So korrigiert etwa der Basler Historiker Georg Kreis das gängige Geschichtsbild: Weniger ihrer Milizarmee, sondern der aktiven Kollaboration mit Nazi -Deutschland habe die Schweiz ihr Überleben in einem brennenden Europa zu verdanken. So habe die Rüstungsindustrie, als Gegenleistung für dringend benötigte Lebensmittel und Rohstoffe, das Reich massiv mit Kriegsmaterial beliefert. Nur über Schweizer Banken konnten die Nazis ihr Raubgold in harte Devisen umtauschen. Der Nachschub nach Italien passierte per Eisenbahn problemlos die neutrale Schweiz. Fazit: Eine intakte Schweiz war für die Strategen im Führerbunker nützlicher als eine aufwendig eroberte, teilweise zerstörte. Der Historiker Josef Lang stellt die provokante Frage, wie viele Menschen wohl im Zweiten Weltkrieg durch Waffen getötet wurden, die in der Schweiz für die deutsche Wehrmacht vom Band gingen.
Als „Klunker“ (so werden gefälschte Edelsteine genannt) konterkarieren engagierte Armeegegner und Pazifisten den Diamant-Rummel. 'Klunker‘ heißt auch ihre Zeitung, die in einer Auflage von 120.000 Exemplaren ein Gegengewicht zur „offiziellen Kriegsmobilmachungspropaganda“ setzen soll.
Die pazifistische Gegenoffensive rollt seit dem 1. August, dem helvetischen Nationalfeiertag: Mancherorts wurden Kriegerdenkmäler unter dem Motto „Denk mal!“ in Bettlaken eingehüllt. Über das Rohr der dekorativen Kanone vor dem Genfer Rathaus war ein Riesenkondom gestülpt. Hinter dem großangelegten Gedenkmanöver „Diamant“ wittern die Armeegegner eine politische Generalmobilmachung der Regierung aus aktuellem Anlaß. Denn nicht auf dem Schlachtfeld, wie es sich für eine rechte Armee gehört, sondern - welche Schmach - an den Wahlurnen entscheidet sich demnächst das Schicksal des eidgenössischen Milizheeres: Am 26. November stimmen Herr und Frau Schweizer über eine Volksinitiative über die Abschaffung der Armee ab. Geht es nach den Initiatoren, die das Plebiszit durch die Sammlung von 110.000 Unterschriften erzwungen haben, wird in die schweizerische Verfassung neben der Verpflichtung zu einer aktiven Friedenspolitik auch der Satz eingefügt: „Die Schweiz hat keine Armee.“
Zwar bestehen keine Zweifel, daß die Armee den Urnengang überleben wird. Doch eingefleischten Patridioten gilt allein solches Ansinnen schon als Landesverrat. Im Sinne der markigen Losung „Die Schweiz hat keine Armee, sie ist eine Armee“ trifft die Initiative mitten ins Zentralnervensystem helvetischer Kommißköpfe.
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