: WENN KATZEN VON WOLKENKRATZERN FALLEN...
... dann haben sie gute Chancen, den Fall zu überleben. Nichts Neues für unsereins. Aber wer wußte schon, daß die Überlebenschance einer Katze größer wird, je tiefer sie fällt? Tiermediziner in New York, wo ein Fall vom Fensterbrett meistens ein tiefer Fall ist, und in Los Angeles, wo Erdbeben des öfteren Katzen vom Dach schütteln, trugen ihre Erfahrungen mit den gefallenen Vierbeinern zusammen und kamen zu dem verblüffenden Ergebnis: Für Katzen gilt: je tiefer der Fall, desto besser. Neunzig Prozent der Katzen, die aus dem zweiten bis sechsten Stockwerk auf Asphalt fielen, überlebten. Aber 95 Prozent der Katzen, die nach einem Fall aus dem neunten oder einem höheren Stockwerk auf ebenso hartem Pflaster landeten, kamen mit dem Schrecken davon. Die legendäre Meisterin des Katzenfalls ist „Sabrina“, die bei einem Sturz aus dem 32. Stockwerk eines New Yorker Wolkenkratzers nur leichte Verletzungen erlitt. Nasenbluten und gesplitterte Zähne und zuweilen gebrochene Rippen waren die häufigsten Verletzungen der Vierbeiner. Menschen hingegen haben nur eine fünfzigprozentige Chance, einen Fall aus 15 Metern zu überleben. Sie brechen oft die Beine, erleiden schwere Schädelverletzungen oder brechen sich das Rückgrat.
Zum Teil lassen sich die Unterschiede zwischen fallenden Katzen und Menschen physikalisch erklären. Je größer die Masse eines Objeks im Vergleich zu seiner Oberfläche ist, desto härter der Aufprall. Auf Katze und Mensch angewandt heißt das: Weil das Verhältnis Masse zur Oberfläche beim Menschen höher ist als bei Katzen, prallt der Mensch mit erheblich mehr Kraft pro Quadratzentimeter auf den Asphalt auf als Katzen - auch wenn Katze und Mensch in der gleichen Position landen würden, was sie nicht tun. Das unterschiedliche Masse/Oberfläche-Verhältnis sorgt dafür, daß Katzen nach einem Fall über fünf Stockwerke mit 90 und Menschen mit 180 Stundenkilometer gen Erde sausen. Das alles erklärt aber nicht, warum Katzen einen Fall aus dem neunten Stockwerk eher überleben als aus dem siebten. Das, theoretisieren die Pesemetologen (die Katzenfall -Wissenschaftler, von pesema, griechisch, der Fall), läßt sich durch Vergleiche zu Fallschirmspringern erklären. Ein fallender Körper erreicht nach einiger Zeit, abhängig von seiner Masse und Oberfläche, eine maximale Geschwindigkeit (bei der sich Schwerkraft und Luftwiderstand die Waage halten), die unverändert bleibt. Nun ist die Masse eines Körpers konstant, aber Menschen oder Tiere können die Oberfläche, die sie der vorbeirauschenden Luft präsentieren, ändern. Fallschirmspringer im freien Fall verkleinern ihre Oberfläche und vergrößern die Fallgeschwindigkeit, wenn sie ihre Arme und Beine anlegen. Umgekehrt bremsen sie ab, wenn sie Arme und Beine ausstrecken. Katzen verhalten sich wie geübte Fallschirmspringer. Solange ihre Fallgeschwindigkeit zunimmt, strecken sie ihre Beine instinktiv nach unten aus, um den Aufprall abzufedern. Dabei kommt es oft zu Knochenbrüchen in den Beinen. Bei einem längeren Fall wird die maximale Fallgeschwindigkeit erreicht. Sobald sie keine Beschleunigung mehr spürt, entspannt sich die Katze, streckt - ähnlich wie ein fliegendes Eichhörnchen - alle vier Beine zur Seite weg und bremst damit die Geschwindigkeit. Der Aufprall wird leichter, weil der ganze Körper und nicht nur vier Beine abfedern. Ein Vergleich der Art von Verletzungen belegt die Theorie. Fast alle Katzen, die sieben oder acht Stockwerke fielen, aber nur eine von 13 Katzen, die aus einer Höhe von mehr als neun Stockwerken fielen, erlitten Knochenbrüche.
Und warum diese vorzügliche Anpassung der Katzen an den Fall vom Wolkenkratzer, fragten sich die Pesemetologen. Katzen sind in ihrer Entwicklungsgeschichte immer von Bäumen gesprungen und gefallen. Wenn eine Katze beim Sprung vom Baum auf ihr Opfer die Beine bricht, kann sie nicht überleben. Sie kommt nicht zur Fortpflanzung, gibt ihre Gene nicht an Nachfahren weiter. Deshalb, so die Darwinisten, hatten Katzen mit „Fallschirmspringer„-Genen einen entscheidenden Selektionsvorteil, der ihnen heute im Großstadtdschungel zugute kommt. Allerdings, es muß gesagt werden, daß dies alles graue Theorie ist. Einer harten Überprüfung der Statistiker würde diese Studie der Pesemetologen wohl kaum Stand halten. Zunächst stellt sich die Frage: Was ist mit jenen gefallenen Vierbeinern, die den Tierärzten keinen Besuch abstatteten, weil sie mausetot waren? Wissenschaftlich einwandfrei wird die Forschung erst, wenn Katzen in großer Zahl aus den verschiedensten Höhen von Wolkenkratzern in die Tiefe befördert werden - ein Versuch, der bei den modernen Tierschützern unangenehm auffallen könnte.
Natural History
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