: Bonn behauptet: Mehr C-Waffen in Osteuropa
Westliche Geheimdienste behaupten, die UdSSR habe im August 1989 26.700 Tonnen chemischer Kampfstoffe in der DDR, in Polen, CSSR und Ungarn gelagert / CDU und FDP reagierten schnell: Sie lehnten den Abzug der US-C-Waffen aus Rheinland Pfalz ab ■ Von Andreas Zumach
Genf (taz) - Die Bundesregierung geht davon aus, daß chemische Waffen der UdSSR in vier anderen osteuropäischen Staaten gelagert sind - entgegen allen offiziellen Erklärungen der Regierungen in Moskau und den anderen vier Ländern. Entsprechende Informationen verbreitete die Bundesregierung vergangene Woche auf internen Kanälen - zu einem Zeitpunkt, da sich die Regierungen in Washington, Bonn und Mainz zunehmend in Widersprüche verwickeln über Zeitpunkt und Modalitäten des Abzugs der alten US -amerikanischen C-Waffen aus Rheinland-Pfalz sowie über die Produktion neuer binärer C-Waffen.
Auf einer Sitzung, deren TeilnehmerInnen, Zeitpunkt und Ort der taz bekannt sind, erklärten VertreterInnen der Bundesregierung auf der Basis von „gesicherten“ Informationen westlicher Geheimdienste, die UdSSR habe im August 1989 26.700 Tonnen chemischer Kampfstoffe außerhalb ihrer Grenzen gelagert: in neun Depots in der DDR, drei in Polen, zwei in der CSSR und einer Lagerstätte in Ungarn. An 71 weiteren Orten in den vier Staaten seien möglicherweise C -Waffen gelagert.
Der sowjetische Außenminister Schewardnadse hatte bereits vor der internationalen Pariser C-WaffenKonferenz Anfang Januar dieses Jahres wie bei anderen Gelegenheiten seitdem erklärt, die UdSSR habe keine chemischen Waffen außerhalb ihres nationalen Territoriums. Auch seien derartige Waffen „niemals in irgendeinen anderen Staat transferiert worden“. Die Regierungen der CSSR, Polens, Ungarns und der DDR hatten bereits bis zum 5. Januar 1989 vor der Genfer UNO -Abrüstungskonferenz verbindlich erklärt, daß sich auf ihrem Territorium weder eigene noch fremde C-Waffen befänden. Die Bundesregierung behauptet auch, die von Moskau bislang gemachten Angaben über die Vernichtung alter C-Waffen seien „falsch“. Die UdSSR erforsche außerdem verschiedene neue Typen von C-Waffen. In den USA bereits produzierte binäre Waffen würden in der SU zwar noch nicht hergestellt, doch sei die UdSSR dazu in der Lage. Bislang hatte die Bundesregierung die Angaben der osteuropäischen Regierungen nicht in Zweifel gezogen. Auch die jetzt von ihr intern verbreiteten „Erkenntnisse“ will sie zwecks Vermeidung einer Auseinandersetzung mit diesen Regierungen nicht öffentlich machen. Statt dessen werde auf internen und bilateralen Wegen versucht, die vier Bündnisländer der SU zu einer Problemlösung des Problems zu bewegen.
Intern haben die vermeintlich neuen geheimdienstlichen Erkenntnisse jedoch bereits zu Konsequenzen geführt. CDU/FDP lehnten mit ihrer Mehrheit im Verteidigungsausschuß letzte Woche einen Antrag der Opposition ab, die US-amerikanischen C-Waffen aus Rheinland-Pfalz ersatzlos abzuziehen und anders als in einer Vereinbarung zwischen Kohl und Bush -Vorgänger Reagan als Möglichkeit ausdrücklich festgelegt auch „im Krisenfall“ keine neuen Binärwaffen in der BRD zu stationieren. Der Landtag in Mainz hatte Anfang 1989 einen wortgleichen Antrag mit CDU/FDP-Mehrheit beschlossen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Uehlhoff begründete sein Stimmverhalten im Verteidigungsausschuß damit, daß der Landtag in Mainz für diese Frage nicht zuständig sei. Uehlhoff und sein Fraktionskollege Wilz bestätigten in einer im Pressedienst der CDU/CSU-Bundestagsfraktion veröffentlichten Erklärung die taz-Meldung vom 18.10., wonach Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung am 27. April die Unwahrheit gesagt hat. Kohl hatte behauptet, die Bundesregierung habe eine Zusage der Bush-Administration für den Abzug aller C-Waffen aus Rheinland-Pfalz „bis Ende 1990“. Wilz und Uehlhoff schrieben jetzt, die USA würden „1990 mit dem Abzug beginnen“. Ein Datum für die Beendigung des Abzugs nannten sie jedoch genauso wenig, wie das Verteidigungsministerium in einer umfangreichen Mitteilung zum C-Waffenabzug. Die Bundesregierung mußte ebenfalls vergangene Woche ihre Behauptung zurückziehen, sie habe grünes Licht gegeben für die zwischen Moskau und Washington Ende September in Wyoming vereinbarten Inspektionen und den Datenaustausch, soweit diese die Giftgasvorräte in der Pfalz betreffen. Eine angebliche schriftliche Vereinbarung mit Washington existiert nicht. Jetzt heißt es in Bonn, eine Zustimmung sei gar nicht notwendig gewesen, weil in Rheinland-Pfalz weniger als zwei Prozent aller US-Vorräte liegen. Genau diese Größenordnung ist jedoch in der sowjetisch-amerikanischen Vereinbarung zunächst einmal vom Datenaustausch und Inspektionen ausgenommen. Der Rechnungshof des US-Kongresses hatte allerdings Ende September die Bestände in Rheinland-Pfalz noch mit 6,6 Prozent der gesamten US-Vorräte angegeben. Unter zunehmenden Druck gerät die Bundesregierung auch angesichts der Forderungen von SPD-, Grünen-und FDP-Abgeordneten im Bundestag wie Mainzer Landtag, die C-Waffendepots in Fischbach in der Pfalz besichtigen zu dürfen.
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