: Mordfall Schmücker - Der VS taucht auf
Wie der Student Ulrich Schmücker in die militante Szene eintaucht / Der Berliner Verfassungsschutz nimmt ihn an die Leine / Aus der Provinz nimmt Ilse Bongartz Kontakt nach Berlin auf / Der Verfassungsschutz beobachtet jeden Schritt und versucht verzweifelt, an die „Bewegung 2.Juni“ heranzukommen ■ Von Jerry Cotton
Außer großen Eifer hat Schmücker noch etwas mitgebracht: Einen Sprengstoff-Lieferanten. Über die Universität ist er in Kontakt zu einem arabischen Studenten gekommen, der sich ihm gegenüber als Sympathisant der PLO zu erkennen gegeben hat. Sprengstoff könne er besorgen, allerdings für Geld. Mit 5.000 Mark, die er von der Gruppe erhält, macht sich Schmücker am 2.Mai 1972 auf konspirativen Umwegen zum Sprengstoffkauf auf den Weg nach Braunschweig. Mit drei Zündkapseln und 500 Gramm Plastiksprengstoff inklusive eines Schnellkurses im Bombenbasteln durch den Araber, kehrt Schmücker einen Tag später nach Berlin zurück. Eile ist geboten, denn die Gruppe will erneut zur Tat schreiten.
Am 3.Mai richtet das türkische Militärregime drei linke Studenten in Ankara hin. Das ist der Gruppe Anlaß, den neu erworbenen Sprengstoff sogleich auszuprobieren. Man beschließt, vor dem türkischen Generalkonsulat im Bezirk Charlottenburg eine Bombe zur Explosion zu bringen. Nachdem die ganze Truppe das Terrain um das Konsulat herum ausbaldowert hat, bastelt Schmücker vor den Augen seiner Genossen den Sprengsatz. Zusammen mit den Gruppenmitgliedern Wolfgang Knupe und Sommerfeld macht er sich kurz nach Mitternacht auf den Weg zum Einsatz. Schmücker selbst schärft die Bombe und deponiert sie direkt unter der Treppe vor dem Konsulat. Doch eine Explosion erfolgte nicht. Nicht nur das, weder bringen das Fernsehen noch die Presse anderntags auch nur irgendeine Meldung über den fehlgeschlagenen Anschlag. Das verblüfft die Gruppe derart, daß sie nachträglich noch eine Kommandoerklärung schreibt und diese bei der 'Deutschen Presseagentur‘ (dpa) am Savignyplatz unter der Tür durchschiebt. Aber auch darauf erfolgte nichts.
Die Bombe liegt im Kofferraum
Später behauptet dann Sommerfeld, die Bombe habe es gar nicht gegeben und das Kommunique sei nur erstellt worden, um überhaupt etwas zu machen. Schmücker allerdings ist bei seiner Version geblieben, die Bombe dort eigenhändig deponiert zu haben.
Soviel Ignoranz der Medien verärgert die Gruppe heftig, so daß man beschließt, unverzüglich nach Bonn zu reisen und erneut eine Bombe zu deponieren. Diesmal soll die türkische Botschaft selbst das Ziel sein.
Im Fiat 124 machen sich also vier Gruppenmitglieder am 6.Mai 1972 auf den Weg in die Bundeshauptstadt. Im Auto: Inge Viet, Knupe und Sommerfeld, am Steuer Schmücker. In der Nähe von Braunschweig übernachtet man bei Genossen und fährt am späten Vormittag des nächsten Tages weiter in Richtung Bonn. Irgendwo im Ruhrgebiet versuchen die Vier dann noch, ein Auto zu klauen, was allerdings mißlingt. Müde und erschöpft kommt man in Bad Neuenahr an, dort, wo Schmückers Eltern lebten. Bis Tagesanbruch sind es noch ein paar Stunden, und man beschließt, auf einem Parkplatz den kommenden Tag abzuwarten. Um 6 Uhr fallen die schlafenden Vier einem Streifenwagen auf, der sie mitsamt dem Kofferraum kontrolliert. Fein säuberlich liegt da jene Bombe, die der türkischen Botschaft zugedacht ist. Widerstandslos lassen sie sich festnehmen - Schmückers Karriere im Untergrund ist nach nur zwei Monaten beendet.
Der VS besucht Schmücker im Knast
Der noch nicht 21jährige Student Schmücker verschwindet in Isolationshaft in der Strafanstalt Koblenz. Ende Mai bekommt Schmücker Besuch: Der Agentenführer des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, Oberamtsrat Michael Grünhagen, alias Peter Rühl oder Petersen, bietet Schmücker einen Deal an: Komplette Aussagen über alles, was Schmücker über den Berliner Untergrund weiß, im Tausch gegen ein mildes Urteil. Nach dem dritten Besuch von Rühl willigt Schmücker ein: Bei weiteren zwölf Besuchen Rühls erzählt der gescheiterte Bombenleger dem Verfassungsschützer alles, was er weiß.
Aber Schmücker kommt ohnehin zu spät: Bereits kurz vor seiner Geständnisbereitschaft hat sich der Kampfgenosse Harald Sommerfeld zu umfassenden Aussagen vor Staatsanwalt, Polizei und Verfassungsschutz entschieden. In einem Protokoll, das Schmücker für sich parallel zu den Aussagen gegenüber Rühl anfertigte, notiert er sich dazu: „Ich begann also meine Aussage am 13.Juli 1972 mit der Niederschrift meines umfassenden Geständnis. Rühl sagte mir, wie ich die Aussage zu gliedern hätte, wo ich anfangen und wo ich die Entwicklung darstellen sollte. An Stellen, an denen ich nicht weiter wußte, las er mir an diesem wie auch an den anderen Tagen die Aussagen von Sommerfeld vor. Gerade an diesem Tag gab Rühl mir recht genaue Anweisungen über das, was ich zu schreiben hatte, und formulierte zum Teil ganze Sätze. Ansonsten sagte er, ich solle alles schreiben, was ich ihm erzählt hätte. Das tat ich auch.“
Rühl will von Schmücker allerdings mehr als dessen Aussagen. Schmücker soll nach seiner Haftentlassung wieder Anschluß an Anarchokreise suchen und ihm, Rühl, seine Erkenntnisse zukommen lassen. Und erneut kokettiert Schmücker mit dem Abenteuer und spinnt sich aus, er könne in einem doppelten Spiel am Ende den Verfassungsschutz aufs Kreuz legen. Ohne sich direkt festzulegen, entscheidet er, auch nach der Haft „mit Rühl in Verbindung zu bleiben“.
Ilse B. ist bald republikweit bekannt
Aufgrund der Aussagen von Sommerfeld und Schmücker werden in Berlin die Reste dieses Teils der „Bewegung 2.Juni“ aufgerollt. In Haft wandern Verena Becker und das Ehepaar Mahn.
Das Urteil gegen Schmücker fällt tatsächlich milde aus, wie es der VS versprochen hatte: Am 7.Februar 1973 wird Schmücker zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und sofort auf freien Fuß gesetzt. Nach nur neun Monaten Haft ist Schücker damit wieder in Freiheit.
Einen Monat vor der Festnahme des Berliner Quartetts in Bad Neuenahr, im April 1972, verurteilt des Landgericht Hildesheim mehrere junge Leute, die in Wolfsburg ähnlich chaotisch gezündelt und gebombt haben wie die Berliner, zu Haftstrafen bis zu drei Jahren. Diese Strafe bekommt auch die älteste der Angeklagten, die damals 36jährige Ilse Bongartz, verheiratet mit einem VW-Arbeiter und Mutter von vier Kindern. Ilse Bongartz schreibt viel in ihrer Haftzeit, vor allem an andere, ebenfalls inhaftierte Genossen, und an die „Roten Hilfen“ quer durch die Republik. Damals gibt es nahezu in jeder Stadt der Republik sogenannte „Rote“ und „Schwarze Hilfen“, die sich um die Betreuung der politischen Gefangenen kümmern und zuweilen auch mal deren Briefe in ihren Info-Blättchen veröffentlichen. Die Wolfsburgerin Ilse B. ist bald republikweit bekannt.
Hilfe bei der Rehabilitierung gesucht
Am 30.Oktober 1973 wird sie wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen. Sie zieht in die Kommune in der Wolfsbuger Bäckergasse. Ihre vier Mitbewohner in der Bäckergasse sind allesamt halb so alt wie sie. Die eifrige Briefschreiberin Ilse B. hat auch Kontakt nach Berlin, zu Götz Tilgner beispielsweise. Der Bundeswehr-Deserteur Tilgner bewohnt seit einer Weile eine Ladenwohnung in der Kreuzberger Cuvrystraße und ist gelegentlicher Mitarbeiter der „Roten Hilfe West-Berlin“. Er ist auch mit Schmücker befreundet. Im April 1973 hatten sich die beiden beim Mahler -Prozeß zufällig im Moabiter Gericht getroffen. Schmücker erzählt Tilgner schon bald, wie er dem Verfassungsschutz in die Hände gefallen ist und daß er seine Kooperation mit dieser Behörde aufs heftigste bereue. Von Tilgner erwartet Schmücker, daß er ihm bei der Rehabilitierung in der Berliner Anarcho-Szene behilflich ist. Tilgner verspricht dem „armen Schwein Schmücker“, daß er ihm helfen wird. Zunächst verschafft er ieine falschen Paß auf den Namen „Bernd Laurisch“ und bringt ihn anschließend gleich in einer Wohngemeinschaft in der Kreuzberger Zeughofstraße unter.
Keiner der Mitbewohner ahnt, daß Laurisch in Wahrheit der „Verräter“ Schmücker ist. Im Herbst des gleichen Jahres bekommen die Mitbewohner allerdings raus, wer da unter ihnen wohnt, und fordern Schmücker auf, sich unverzüglich eine andere Bleibe zu suchen. Schmücker zieht völlig deprimiert in die Neuköllner Lahnstraße. Der einzige, der trotzdem weiter zu ihm hält, ist Götz Tilgner.
Schmücker, das „arme Schwein“
Eine Woche nach ihrer Haftentlassung erhält Ilse Besuch von ihrem Briefpartner Tilgner aus Berlin. Der sauch den Fall Schmücker an und ist mit Ilse einer Meinung, daß er ein armes Schwein ist, den man einfach nicht hängen lassen sollte. Später besucht Schmücker zusammen mit Tilgner die Wolfsburger Kommune, und jedermann ist freundlich zu ihm. Bei Stipvisiten der Wolfsburger in Berlin besucht man auch Schmücker und schmiedet zusammen Pläne für gemeinsame Aktionen.
Immer wieder drängt Schmücker seinen Freund Tilgner, er möge doch versuchen, einen Kontakt zu seiner ehemaligen Kampfgenossin Inge Viet herzustellen. Inge Viet war im Juli 1973 mit Hilfe einer Eisensäge aus der Berliner Strafanstalt für Frauen ausgebrochen. Ihr gegenüber wolle er sich erklären, nur durch sie könne er voll rehabilitiert werden, erklärt Schmücker gegenüber Tilgner. Nebenbei trifft sich Schmücker in unregelmäßigen Abständen mit Rühl und berichtet dem VS- Agenten, wie weit seine Bemühungen um Rehabilitierung in der linken Szene mittlerweile gediehen sind. Durch Vermittlung von Rühl bekommt Schmücker, der sein Studium erst einmal sausen läßt, auch einen Job als Hilfsportier in einem Hotel an der Berliner Clayallee, zwei Häuser neben der Berliner VS-Zentrale. Nachdem er im Oktober 1973 seinen Meldeauflagen nicht nachkommt, wird er zwar wieder auf die Fahndungsliste gesetzt, aber offenbar haben weder der VS noch der Staatsschutz ein Interesse daran, ihren Lockvogel aus dem Verkehr zu ziehen. Im Gegenteil: Das erneute Erscheinen Schmückers auf den Fahndungslisten, so das Kalkül, soll Schmücker vielmehr zu neuem Prestigegewinn in der Anarchoszene verhelfen.
In Wolfsburg taucht in den ersten Monaten des Jahres 1974 ein weiterer Brieffreund aus Ilse Bongartz Knastzeit auf, ein aktiver Genosse der „Schwarzen Hilfe Köln-Porz“, der 21jährige Jürgen Bodeux. Bodeux gewinnt sogleich das Vertrauen und die Zuneigung der Kommunemutter Ilse in dem Maße, wie Götz Tilgner sie verliert. Bodeux will den „Imperalismus militant angreifen“ und drängt zum Aufbau militanter Strukturen. Um diese Zeit läßt sich auch ab und zu Ilses alter Freund Christian Hain in der Wolfsburger Bäckergasse sehen.
Ilse kennt Hain, der aus Salzgitter kommt und seit 1972 in Berlin lebt, aus der Zeit vor ihrer Verhaftung. Damals hat auch Hain dieses Schicksal ereilt. Er hatte sich 1971 zusammen mit seinem Freund Paul Glombig entschlossen, in Hildesheim eine Bank zu überfallen. Noch während der Vorbereitungen dazu sind beide verhaftet worden - kein Wunder, Paul Glombig ist ein Informant des Verfassungsschutzes. Nur kurz in Haft ist Hain wegen des „freiwilligen Rücktritts vom Versuch“ (des Bankraubes) wieder freigekommen. Im Herbst 1972 nimmt er dann in Berlin das Studium der Jurisprudenz auf und verschafft sich zugleich zusammen mit seinem Freund Uwe Keil eine Taxikonssession.
Endlich Kontakt zur „Bewegung 2. Juni“
Unterdessen mangelt es in der Wolfsburger Kommune nicht nur an politischer Klarheit, sondern vor allem auch ständig am Geld. Wann immer die Truppe nach Berlin kommt, versucht sie, Geld aufzutreiben, um den drohenden Rauswurf aus der Bäckergasse abwenden zu können. Mal hilft der Genosse Götz Tilgner, mal dessen Freund, Volker Weingraber Edler von Grodeck, mit ein paar Scheinen der bedrängten Ilse aus der Misere. Volker Weingraber ist Kellner in Tilgners Stammlokal, dem in der Köpenicker Straße in Kreuzberg gelegenen Szene-Lokal „Tarantel“.
In einem der späteren sogenannten „Schmücker-Prozesse“, sagt Jürgen Bodeux aus, er sei sich mit den Wolfsburgern und den Berlinern Tilgner und Weingraber vor allen in einem Punkt einig gewesen: Anschluß an die Stadtguerilla zu bekommen oder eben selbst eine Untergrundgruppe aufzubauen.
Im März 1974 bekommt Ilse endlich Kontakt zur Kerngruppe der „Bewegung 2.Juni“ in Berlin. Bei einem konspirativen Treffen mit Ralf Reinders und Inge Viet hagelte es erst einmal herbe Kritik ob ihrer Kontakte zu dem VS- Agenten Schmücker und dem unsicheren Kantonisten Tilgner.
(Fortsetzung folgt)
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