piwik no script img

Der 9.November

Vogels Vorschlag für einen neuen Tag der deutschen Einheit  ■ K O M M E N T A R E

Geschichte kann man vergessen - in einem geschichtlichen Moment. Es mag auch eine verzeihliche Sünde sein, für ein paar Tage den Potsdamer Platz als Drehpunkt der Weltgeschichte wahrzunehmen. Aber wer nationale Gedenktage vorschlägt, der muß sich mit der Geschichte auseinandersetzen. Mehr noch, dessen Geschichtsbewußtsein steht zur Debatte. Jochen Vogel hat den 9.November als neuen Tag der deutschen Einheit vorgeschlagen. Er selbst hat dabei noch auf das „Problem“ hingewiesen, daß dieser Vorschlag mit dem anderen 9.November, mit der Pogromnacht kollidiere! Ein Problem? Wie stellt sich eigentlich Vogel diesen Tag vor? Feier eines großen Tages mit der Unterabteilung „Betroffenheit und Besinnung“?

Gerade weil die glücklichen Erinnerungen eher rar in der Geschichte der Deutschen sind, ist die Erinnerung an die Judenverfolgung und an das Massenfest auf dem Kudamm unvereinbar. Beides zusammen zu einem womöglich besinnlichen Feiertag zu verschmelzen, wäre wahrlich pervers. Es wird ein aberwitziger geschichtlicher Zusammenhang konstruiert: Der Beginn der Vernichtung der deutschen Juden wird aufgelöst im Fest der deutschen Einheit - als ob die Einheit das Telos des nationalsozialistischen Massenmordes gewesen sei. Faktisch würden in diesem Einheitsfestbrei die deutschen Juden wieder von der deutschen Geschichte ausgeschlossen. Sie dürften ihrer Opfer im kleinen Kreis selbstverständlich unter Beteiligung prominenter Politiker gedenken. Vormittags am besten.

Nein. Die Erinnerung an den 9.November 1938 muß bewahrt werden. Dieses Ereignis und das, was dann folgte, kann nicht wiedergutgemacht werden. Die Erinnerung verlangt, daß dieser Tag des Wiedersehens der Deutschen eben nicht begangen, nicht gefeiert werden kann. Aber das wird ein hilfloses Plädoyer sein. Es ist zu befürchten, daß Vogels Vorschlag nicht mehr zurückzunehmen sein wird. Was dann entsteht, wird auf die Urheber zurückfallen. Aber das ist kein Trost.

Klaus Hartung

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen