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Schabowskis „ungeklärte Fälle“

Aufklärung der Übergriffe sollte manipuliert werden  ■  D O K U M E N T A T I O N

Tonbandmitschnitte aus der Sitzung der SED-Parteigruppe in der Volkskammer kurz vor der Wahl Egon Krenz‘ zum Staatsratsvorsitzenden, die der taz zugespielt wurden.

Schabowski:Genossen!

Zu der Information, die Genosse Herger hier gegeben hat. Ich glaube, daß das eine ganz aktuelle politische Dimension hat, auch im Zusammenhang mit der Wahl des Staatsratsvorsitzenden. Wenn wir in dieser Frage nicht schnellstens Klarheit schaffen, auch gegenüber der Bevölkerung. Es geht darum, daß wir klare Antworten für die Bevölkerung haben, denn wir wollen ja mit dieser heutigen Wahl weiter voran ziehen. Wir wollen ja, daß die Autorität der Partei sich stärkt und daß von der Bevölkerung die politische Konzeption der neunten Tagung des ZK besser und tiefer verstanden wird. Das kommt darauf an, wie überzeugend können wir diese Wahl auch draußen vertreten. (...) Wir machen Politik und keine Selbstbestätigung hier. Wir haben also politische Überlegungen anzustellen, und insofern muß ich zu der Erklärung vom Genossen Herger folgendes sagen. Die unterscheidet sich für meine Begriffe erheblich von dem Interview, wo der Generalstaatsanwalt vor einiger Zeit im Fernsehen gegeben hat. Und zwar insofern, als du deutlich, Wolfgang, zum Schluß deiner Bemerkung gesagt hast, daß es Übergriffe gegeben hat und daß diese Übergriffe geahndet werden. Und ich bin der Meinung, wir haben uns in Berlin darüber unterhalten, betrifft ja auch die politische Situation in Berlin. Und das ist eine Frage, die überall eine Rolle spielt. Und wir müssen verhindern, daß der Mann, den wir gewählt haben, an die Spitze unserer Partei, nicht systematisch demontiert wird. (Beifall)

Also, persönliche Loyalitätserklärungen für Genossen Egon Krenz nützen niemandem, wenn man sich darauf beschränken wollte. Ich habe deshalb mit dem Oberbürgermeister, gestern und den Leuten, die diese Demontage bis zu einem bestimmten Maße zu betreiben versuchen, ein sehr intensives Gespräch geführt, nämlich mit den Vertretern der Landeskirche Berlin -Brandenburg und Bischof Forck, den ja manche hier kennen, Werner kennt ihn beispielsweise sehr gut, ist natürlich ein Mann der verbindlich in der Form, aber eisenhart in der Sache ist. Und er hatte dort, also, weitere Unterlagen, also, mit diesem, sag‘ ich mal, belastenden Material, ich hatte schon am Vortage zu verhindern versucht, durch ein Gespräch mit Stolpe, daß es zu dieser Pressekonferenz kommt, die dann doch stattfand, weil klar war, hier wurde versucht, am Vorabend dieser Volkskammersitzung irgendeinen Eklat zu fabrizieren, um also Schatten zu werfen, auf diese Wahl. Und Stolpe hat mir zugesagt, daß er alles unternimmt, um diese Pressekonferenz zu verhindern. Ich sage, Genossen, das ist Politik, ja Politik, und statt dessen die Sachen so gemacht wird. Uns wird Material übergeben, also, keine Show, haben wir ihm gesagt. Bitteschön, wenn Sie um Kooperation bemüht sind, die Sie ja dem Generalsekretär versichert haben, bei einem Gespräch, jetzt haben Sie die Gelegenheit, also, zu zeigen, wie ehrlich Sie die Kooperation meinen. Resultat ist, die Pressekonferenz hat doch stattgefunden. ich habe ihn daraufhin wieder angerufen und gesagt, ich halte das fast für einen Vertrauensbruch. Daraufhin sagt er, tut ihm furchtbar leid. Der Arm war doch zu kurz. Ich sag, dann müssen wir das künftig in Rechnung stellen. Wenn der Arm der Kirche so kurz ist, dann bedeutet das natürlich auch eine bestimmte Bewertung oder Umbewertung der Rolle, die die Kirche spielen kann in diesem Land. Ich weiß, daß auch das eine rhetorische Bewertung ist, letztlich ja, aber man muß ja solche Dinge schließlich auch aussprechen. Also jetzt komm‘ ich zum eigentlichen Anliegen meiner Bemerkung. Es ist ja ein Jammerspiel, daß sich seit dem 7.Oktober bis heute diese Ermittlungen hinziehen und alles, was wir zu bieten haben, ist immer wieder zu vertrösten auf morgen oder übermorgen. Also, daß entweder heute abend - das Timing muß man überlegen, heute ist die Wahl des Staatsratsvorsitzenden, vielleicht ist es besser morgen abend - der Generalstaatsanwalt von Berlin meinetwegen eine Erklärung abgibt darüber, daß die Ermittlungen vorläufig abgeschlossen sind. Und daß im Ergebnis dieser vorläufig abgeschlossenen Ermittlungen mitgeteilt werden kann, daß in hundert oder weiß ich wieviel Fällen, also, oder weniger oder achtzig Fällen oder siebzig Fällen, die uns bekannt geworden sind, also Aussprachen geführt wurden mit den Betreffenden, bei denen sich herausgestellt hat, daß die Sache entweder gegenstandslos ist oder die Leute, die das betrifft selbst, also, zurückgezogen haben. Daß in einigen Fällen, exakt soundsoviel festgestellt wurde, was du gesagt hast, Wolfgang, und daß in diesem Falle die entsprechenden juristischen, strafrechtlichen oder sonstwelchen Konsequenzen, also gezogen werden oder eingeleitet worden sind. Es bleibt ein Kreis von noch nicht geklärten Fällen, meinetwegen fünf oder acht, exakt. Das ist der Stand der Dinge. Und es wurde ein Vorschlag gemacht, daß das Ergebnis dieser Untersuchung der Generalstaatsanwaltschaft, also, zu einer Prüfung übergeben werden dem Staats-, dem Rechts- und wie heißt der Ausschuß?

Verfassungsausschuß!

Verfassungs- und Rechtsausschuß der Volkskammer. Ich glaube damit bewegen wir uns absolut im Rahmen unserer Verfassungsorgane und können in diesem besonderen Falle, der ja, das kann man alles in der Erklärung sagen, das müßten wir dann mit den Genossen besprechen, in der Tat einen einzigen Fall betrifft, den Anfang einer ungemein komplizierten Entwicklung, wenn man so will, und daß dem zugrundeliegt, also allen, was in diesen Punkten sozusagen zu machen war und wie zu verfahren war, eindeutige Entscheidung, die diese Sachen ausschließen, d.h. wir reden wirklich, und die Untersuchung ist wirklich nur geführt worden über - ich sag‘ das immer so - nicht beabsichtigte Abweichungen in begrenzter Zahl, von den verfassungsmäßigen Normen, um nicht mehr. Und dabei kann man selbstverständlich, ich habe jetzt nicht darüber gesprochen, genauso auch die anderen Dinge nochmal erwähnen, daß also nicht der Eindruck entsteht, darin besteht die politische Klugheit, daß wir mit einer Anhäufung der anderen Dinge, also, nur auf eines zielen, die Dinge wegzudrücken. (...)

Abgeordnete aus Leipzig:

Ich bin und bleibe Kommunistin. In jeder Situation. Egal, was uns auch in Leipzig noch bevorsteht. Und das, was gestern war, war sicher noch längst nicht das letzte. Ich habe hier so ein Büchlein mit, und das hat mich und meine Kinder geprägt. Ich komme hier aus einem Verlag, lebe mit Literatur. Da heißt es: Egon setzt sich durch. Ich weiß nicht, wer das noch gelesen hat, 1962 im Kinderbuchverlag verlegt, dann lange, lange nicht mehr. Es gibt sicher Gründe dafür.

Ja. Also das ist 'ne ganz klasse Sache. Hinter dieser Losung steh ich noch heute, und dieses Buch müßte jetzt wieder aufgelegt werden.(...)

Abgeordneter aus Schwerin: (...) Ich bin etwas verwirrt durch die Stellungnahmen von Staatsanwälten und von dem stellvertretenden Polizeipräsidenten von Berlin. Ich weiß nicht, ich war nicht in Berlin, aber ich habe im Fernsehen gesehen, daß die Volkspolizei durch Mikrophon wiederholt aufgerufen hat, alle, die nicht zu den Randalierern gehören, solln sich zurückziehen. Der Platz wird geräumt. Wer dann unter die Räder kommt, ist selber schuld. (...) Und wir müssen auch unseren Schutz- und Sicherheitsorganen in unserer DDR soviel Sicherheit geben, daß wenn ein einzelner inmitten einer Masse steht, Soll er sich totschlagen lassen? Oder soll er dann die Waffe ziehen? (...) Da sind wir uns doch...

Ich einmal von den Towarisch eine Pistole bekommen zur ..., wie ich drei Tage in Güstrow war. So viel Vertrauen hatten die zu mir. Ich hab sie nie gebraucht. Ich mußte sie einmal gebrauchen, wie die ganzen Bauern aus Hagenow, aus Schönberg, aus Ludwigslust zu Reparationsführen im Bezirk Neubrandenburg in eine Sägerei in ... waren. Das wurde März und die wollten natürlich zurück und die Felder bestellen. Konnte man verstehen. Ich habe gesprochen, aber die Bauern sind laufend auf mich zugekommen. Haben gerufen: ..., dich hängen wir auf. Dann hab‘ ich das Ding gezogen und hab‘ in die Luft geschossen und sie sind zurückgegangen. Erst hab ich gesagt: Zurück! Dann hab ich in die Luft geschossen. Wenn der andere noch gekommen wär, hätte ich geschossen. Ich laß mich nicht totschlagen. Ein Kommunist von einem Konterrevolutionär! (Beifall!)

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