: „Es beginnt das Abenteuer DDR“
■ Es tut sich was im DDR-Fernsehen und -Kino
Frank Beyers Fernsehfilm Geschlossene Gesellschaft, der vor zehn Jahren lediglich einmal nachts ohne Ankündigung nach Programmschluß gesendet wurde, soll demnächst im Hauptprogramm des DDR-Fernsehens gezeigt werden. Am 17. Dezember wird außerdem der neue Fernsehfilm von Bernd Böhlich zu sehen sein: Gestundete Zeit handelt von einem jungen Mann, der bei einer Rentnerin einzieht, die in den Westen übersiedelt. Die Wohnung ist schon fast leergeräumt, in den letzten Wochen vor der Abreise entsteht eine Art Notgemeinschaft. Der Fernseh-Chefdramaturg lehnte das Drehbuch zunächst ab, dann durfte Böhlich doch drehen, mußte aber hinterher Schnitte in Kauf nehmen, die aber jetzt wieder rückgängig gemacht wurden. In einem Interview mit der 'Berliner Zeitung‘ (Ausgabe vom 18.11.) berichtet Böhlich außerdem von seinem nächsten Film, der fast abgedreht ist: „Kein Ort von Einsamkeit schrieb ich nach einem Hörspiel von Torsten Enders, die Geschichte von zwei Leuten, die sich über eine Briefwechselannonce kennenlernen. Die Frau berichtet von ihrem arbeitsreichen Alltag, der Mann, daß er Lokführer für weite Strecken sei. In Wirklichkeit sitzt sie im Rollstuhl, und er ist Rentner, fuhr früher den Nahverkehr. Jeder teilt dem anderen ein erlogenes Leben mit. Am Ende beginnt jeder, seine und die Identität des anderen zu akzeptieren. Die Hauptrollen spielen Franticek Piecka (Polen) und Monika Lennartz.“ Böhlich berichtet außerdem, daß er zur Zeit Jurek Beckers Schlaflose Nächte liest, der Roman soll demnächst verfilmt werden. Böhlich hatte vor einiger Zeit auch versucht, die Erlaubnis für die Verfilmung von Beckers Bronsteins Kinder zu bekommen, aber die zuständige Fernsehabteilung war strikt dagegen. „Inzwischen hat Becker“, so Böhlich, „die Rechte an eine bundesdeutsche Firma gegeben, wo es der Pole Jerzy Kawalerowicz verfilmt. Der Stoff, der unbedingt hierher gehört hätte, ist weg.“
Zur Situation des DDR-Fernsehspiels in den letzten Jahren meint Böhlich selbstkritisch: „Unsere Abteilung hieß ursprünglich 'Dramatische Kunst‘, vor Jahren wurde sie in 'Fernsehdramatik‘ umbenannt. (...) Gute Autoren wurden verärgert, Verbindungen aufgegeben. Wer schrieb denn noch fürs Fernsehen? Die dritte und vierte Garnitur. (...) Aber ich wehre mich dagegen, daß wir die Schuld an der Situation allein auf die Leitung abladen. In diesem Bereich arbeiten 50 Fernsehregisseure. Wir hätten die Chefs mit guten Stoffen unter Druck setzen müssen. Auch wir haben das Mittelmaß bedient.“
Und zum Thema Nachwuchsregisseure: „Vielleicht sind wir Jüngeren zu sehr mit dem Gedanken groß geworden, daß Konflikte ein Makel der Gesellschaft wären... Die Gründe für mangelhafte Ware aus der Fernsehfabrik Adlershof liegen nicht nur in Verboten und administrativen Entscheidungen. Viele der Debüts im Fernsehen, wie bei der DEFA auch, sind seicht, unauffällig, uninteressant. Filme der Vätergeneration, Arbeiten also von Carow, Beyer, Gräf, Warneke regen viel mehr auf.“
Seit zwei Wochen läuft im „International“, einem der größten Ostberliner Kinos, der erste DEFA-Schwulenfilm Coming out von Heiner Carow. „Ich hab‘ noch nie einen Film so allein gemacht - ohne daß jemand etwas kontrollieren wollte“, kommentierte der Regisseur (Die Legende von Paul und Paula) die Dreharbeiten. Die Vorführungen sind ausverkauft, zur Premiere erscheinen zahlreiche Artikel in verschiedenen DDR-Medien, im Foyer wurde diskutiert. Coming out wird offizieller Wettbewerbsbeitrag der DDR bei der Berlinale im kommenden Februar.
Auf der letzten Berlinale war im Rahmen des Forums Helke Misselwitz‘ Dokumentarfilm über den Frauenalltag in der DDR Winter ade zu sehen, der Film hatte auf den Leipziger Dokumentarfilmtagen 1988 die Silberne Taube gewonnen. Allerdings, so berichtet die DDR-Nachrichtenagentur 'adn‘ jetzt, sei Winter ade im vergangenen Jahr „die berühmte Schwalbe“ gewesen, „die noch keinen Sommer macht“. Damals galt es auch als unmöglich, daß Misselwitz‘ Film je im DDR -Fernsehen zu sehen sein könnte: vor einer Woche war er auf DDR 2 zur besten Sendezeit ausgestrahlt worden, einen Tag, bevor die Regisseurin mit dem Konrad-Wolf-Preis der Akadamie der Künste der DDR ausgezeichnet wurde.
Letzte Woche kursierte es noch als Gerücht, nun steht es fest: Roland Steiners Dokumentarfilm über Rechtsradikale und Skinheads in der DDR, Unsere Kinder, wird tatsächlich auf den Leipziger Dokumentarfilmtagen (24.-30. November) zu sehen sein. Laut 'adn‘ gehen in Leipzig auch immer mehr Filme ein, die sich mit Ökolgie beschäftigen. Ansonsten seien die Filmtage weniger Thema in den DDR-Medien als sonst, denn „die sächsische Metropole nimmt in diesen Tagen vor allem für sich in Anspruch, einer der Hauptschauplätze der in der DDR angebrochenen Revolution für eine demokratische Erneuerung, für einen besseren Sozialismus zu sein“. Dies sei auch „Stoff für viele Filmkilometer Dokumentarfilm, der Geschichte festhalen will“. Kommentar des Rektors der Potsdamer Filmhochschule Lothar Bisky: „Es beginnt das Abenteuer DDR.“
taz/dpa
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