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Der „Führer“ und der König

Rumänien: Eine schaurige Insel in Osteuropa  ■ G A S T K O M M E N T A R E

Hinter hermetisch abgeriegelten Grenzen, unter den umfassendsten und strengsten Sicherheitsmaßnahmen, die es in Rumänien je gegeben hat, fand vor einiger Zeit der Parteitag der Kommunistischen Partei Rumäniens statt. Nach drei Tagen, die ausschließlich dazu genutzt wurden, dem „Führer“ zu danken und zu huldigen, wurde er in offener Abstimmung einstimmig wiedergewählt. Dann brachen die Delegierten in Ovationen aus. Wieder hatte man sich vergewissert, im „goldenen Zeitalter“ der rumänischen Geschichte zu leben, das „leuchtende Vorbild für die Zukunft der gesamten Menschheit“ zu sein. Diese Funktion macht Rumänien und seinem Diktator nun kein europäischer Staat mehr streitig.

Eine skrupellose Familiendiktatur, die sämtliche Machtpositionen im Staat usurpiert hat und sich von einem allgegenwärtigen Geheimdienst schützen läßt; Feind ist jeder, der nicht zur eigenen Sippe gehört - dies hat mit Ideologie nichts mehr zu tun, dafür um so mehr mit primitivem Denken. Gnadenlos beutet diese Familie und ihr mafiotischer Clan das Land aus; wo das Geld hinfließt - in die Schweiz, nach Südafrika, Nordkorea oder in die Innere Mongolei - kein Mensch weiß es, sehen wird man es daran, wo nach dem Tode des Diktators seine Gang hinflüchtet. Der Geheimdienst mordet, foltert, erpreßt und kassiert Kopfgelder. Ganz Diener seines Herrn, soll ihm recht sein, was der herrschenden Familie billig: Gesetze gibt es für diesen Teil der „arbeitenden Bevölkerung“ keine. Die tatsächlich arbeitende Bevölkerung hungert, friert, entbehrt jeder gesundheitlichen Fürsorge, übt sich in Galgenhumor und verroht - wehe den Herrschenden, wenn dieses extrem leidensfähige Volk tatsächlich rebelliert, wenn die Brutalisierung des Lebens ein erstes Ventil findet... Weil man in oppositionellen Kreisen Angst hat vor dem drohenden Blutbad, denkt man mittlerweile an die befriedende Rolle der Bruderarmeen. Die aber haben schon lange keine Truppen mehr in Rumänien stationiert und seit kürzerem auch eine neue Doktrin.

Da bleiben einige aufrechte Intellektuelle als Symbole nationaler Würde: Mircea Dinescu, der Lyriker, der seit April 1989 unter Hausarrest steht, der Schriftsteller und Publizist Dan Petrescu, Hausarrest seit April 1988, die Lyrikerin Mariana Marin und die Romanistin Doina Cornea, die sich im Hungerstreik befinden. Wenige Unbestechliche, die einem Volk das Gefühl vermitteln, politisch über den Winter zu kommen.

König Michael von Rumänien, so ist zu hören, soll in seinem Schweizer Exil Todesdrohungen empfangen haben; der König hatte nach Jahrzehnten des Schweigens vor einiger Zeit öffentlich auf die Misere in Rumänien hingewiesen; er muß dem „Führer“ zu nahe getreten sein.

Ernest Wichner

Der Autor ist in Rumänien geboren und lebt seit 1975 in West-Berlin.

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