: „Vernetzt euch, bevor ihr vernetzt werdet“
Die Computerisierung der Gesellschaft produziert auch bei kritischen Experten Ratlosigkeit / Was sind die Alternativen: Vermeiden, abrüsten, begrenzen, gestalten? Das Institut für Informations- und Kommunikationsökologie (IKÖ) nährt die Verwirrung / Wer entscheidet, was sozialverträglich ist? / Frauen sind nur Randfiguren ■ Von Martin Fischer
Über 90 Prozent der gesamten wissenschaftlichen und technischen Informationen unseres Planeten wurden im 20. Jahrhundert produziert, mehr als zwei Drittel davon erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Untersuchungen nennen eine Wachstumsrate von derzeit 13 Prozent - Tendenz steigend. Alle fünfeinhalb Jahre verdoppelt sich die industrielle Wissensproduktion.
In einer Welt, in der alles als herstellbar gilt, hat Günther Anders bereits in den 50er Jahren geschrieben, fehlt die Vorstellung von allem. Der Begriff Fortschritt, sagt der prominente Computerkritiker Joseph Weizenbaum, beinhaltet doch nur, daß wir von hier „wegschreiten“ wollen, „über das Wohin verrät er doch zunächst gar nichts“.
Doch der Sog der Technokirche reißt auch die mit, die es eigentlich besser wissen müßten. Soziale Fortschrittskonzeptionen haben viel mehr an gesellschaftlicher Attraktivität verloren als technizistische Fortschrittsszenarien. Der Technisierung von Herrschaft und Kontrolle ohne eigene High-Tech-Vernetzung nicht wirksam entgegentreten zu können, meinen zunehmend auch Teile der Ökologiebewegung. Während die Computerisierung der „Politszene“ seit jeher ein Anliegen der reformistischen Linken war (der SPD-nahe Sozialistische Computerclub feiert in diesen Tagen seinen fünften Geburtstag), kommt nun auch grüne Computerbegeisterung in Schwung.
Jetzt sind die Kritiker
das Problem
Jetzt verfügt auch die Bundesgeschäftsstelle der Grünen über eine eigene Mailbox. Die „Dienstleistung für Interessierte aus Bürgerinitiativen, für Friedens-, Soli-, Frauen-, Umwelt - und soziale Gruppen“ informiert auch „über die Arbeit der Grünen“. Das grüne SysOp-Team - die neuen PressesprecherInnen Anne Nilges und Norbert Franck, Jürgen Reents (Linkes Forum) vom Bundesvorstand sowie der selbsterklärte Liebhaber des Computer-Porno-Spiels „Larry“ und Bundesgeschäftsführer Eberhard Walde - hat sich mit Unterstützung des bundesweiten „Zerberus„-Computernetzes gegen die grüne Bundesarbeitsgemeinschaft Computer und Medien durchgesetzt. In der Diskussion über die zunehmende Computervernetzung der Grünen sind plötzlich die kritischen ExpertInnen das eigentliche Problem. Ihnen wird nun unterstellt, aus Angst vor dem Verlust von „Herrschaftswissen“ vor den Gefahren der Computerisierung zu warnen.
Für die alternativen Technofreaks ist die Lösung ganz einfach: „Vernetzt euch, bevor ihr vernetzt werdet!“ Nur „wer es heute mit den neuen Techniken schafft, funktionable Kommunikationsstrukturen aufzubauen“, schreibt ein Thomas Vogler in einem Brett der grünen Mailbox, „hilft mit, die Chancen eines 'Großen Bruders‘ nachhaltig zu verschlechtern“. Weil nach dem „Reaktorunfall von TschernoWhyl“ die traditionellen Kommunikationskanäle überhaupt nicht funktionierten, hätten sich die Zerberus -Leute an das „Mega-Projekt Vernetzung“ gemacht. Voglers Engagement ist verständlich: „Wir sind der Laden, der mit der offiziellen Vermarktung von Zerberus beauftragt ist.“
„Die Zukunft ist nicht
vorhersehbar“
Als Schwarz-Schilling, Minister für Post und neuerdings auch Telekommunikation, am 11.März auf der Hannoveraner Computermesse CeBIT das „dienstintegrierende digitale Fernmeldenetz“ offiziell eröffnete, stellte sich gleichsam nebenan das Institut für Informationsökologie (IKÖ) der Presse vor, um den euphorischen Digitalisierern Bundespost und Industrie die bundesweite ExpertInnenkritik entgegenzusetzen. Acht Monate später, Mitte Oktober, eröffnet der Wende-Reformer die Münchner Computermesse „Systems“ vollmundig: „ISDN ist weit mehr als nur ein großtechnologisches Konzept“. Der „strategische Ansatz für die neue Infrastukturaufgabe der digitalen Telekommunikationsversorgung“, so der Minister weiter, führe zu Realeinkommenszuwächsen und Wohlfahrtsgewinnen. Schwarz -Schilling ortet, genervt vom landesweiten positiven Echo auf die Gründung des KritikerInneninstituts, das „technologiepolitische Problem der Bundesrepublik in der Gefahr, jede technologiepolitische Entscheidung als Grundsatzentscheidung treffen zu wollen“. Im Rahmen einer „historischen Analyse der Vorhersagen über die Verwendung des Telefons und seiner sozialen Auswirkungen aus den Gründerjahren dieses Mediums“ kommt Schwarz-Schilling zur Schlußfolgerung, „daß die Zukunft zu einem großen Teil aus grundsätzlich nicht Vorhersehbarem“ bestünde und „auch durch sorgfältige Prognosen daran nur sehr wenig änderbar ist“.
Die erste und bisher einzige IKÖ-Aktion - „Nach der Volkszählung die Kommunikationszählung“ - hat aber auch eine der beiden Herstellerfirmen digitaler Vermittlungstechnik besorgt reagieren lassen. Der Musterbrief, in dem an den Auskunfts- und Löschungsansprüchen des Bundesdatenschutzgesetzes angeknüpft wird, um Auskunft über die Speicherung und Weitergabe der Rufnummer als Zielnummer beim neueingeführten Einzelgebührennachweis und bei ISDN zu verlangen, wurde mittlerweile von mehr als 300 Bürgern an den Postminister gesandt. Auf Betreiben der Firma SEL beschäftigt sich seither eine Runde von Siemens, SEL, Bundespost und Bonner Abgeordneten mit der Würdigung der rechtlichen Problematik und der Suche nach technischen Alternativen.
Männliches Starren auf das
Faszinosum High-Tech
Das IKÖ selbst, seit seiner Gründung auf die dreifache Mitgliederzahl angewachsen, ist erst dabei, inhaltliches Selbstverständnis zu entwickeln. Das bundesweite IKÖ-Treffen Ende November in Dortmund hat gezeigt, daß für das vom Freiburger Öko-Institut inspirierte hochschullastige High-Tech-Kontroll-Institut zunächst nicht mehr spricht als die wachstumsorientierte Technologiepolitik der Bundesregierung und die expansiven Strategien der Konzerne.
Obwohl das IKÖ nur der institutionelle Rahmen sein will, in dem sich „Korrektur-, Reparatur- und Gestaltungswissen bezüglich Technik und Lebenswelt“ entwickeln kann, insbesondere durch eine Zusammenarbeit „quer durch die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und politischen und sozialen Gruppierungen“, ist die Basis des ungeklärten Realo-Fundi-Bündnisses von GestalterInnen kaum tragfähig genug, um über die noch ausstehende Politisierung der Diskussion klare Handlungsansätze zu entwickeln, deren Glaubwürdigkeit weder durch individuelle Technikfeindlichkeit noch durch männliches Starren auf das Faszinosum High-Tech erschüttert werden wird.
Dem IKÖ-Initiator Herbert Kubicek geht es bei seiner Verteidigung des nicht unumstrittenen Begriffs „Kommunikationsökologie“ um „ganzheitliches Erfassen, Beschreiben und, im Unterschied zu einer reinen Systemtheorie, auch um das Bewerten“. Maßstäbe dafür, so Kubicek, ließen sich in der christlichen Ethik, in liberalistischen Traditionen oder bei Habermas finden. Dementsprechend hat der Bremer Informatikprofessor denn auch sibyllinische Antworten bereit: „Wir wollen nicht versuchen, per Mehrheitsbeschluß zu bestimmen, was sozialverträglich ist. Aber wir müssen uns der Frage zuwenden, wie man ein Verfahren in Gang setzen kann, in dem in einer pluralistischen Gesellschaft Menschen bestimmen können, was sie für sozialverträglich halten.“
„Antitechnisch sind wir
bestimmt nicht“
Manche Befürchtungen werden von Kubicek zerstreut: „Antitechnisch sind wir bestimmt nicht. Antiindustrialistisch und antikapitalistisch - da gehen die Auffassungen auseinander. Ich finde aber, daß wir solche Positionen dringend brauchen, in einer Zeit, wo der weltweite Sieg des Kapitalismus von interessierter Seite verkündet wird.“ Offensichtlich sind linke Positionen im IKÖ rar. Außerdem weiß Kubicek zu gut, daß „Gestalter kaum den Raum erhalten, etwas anderes zu gestalten, wenn nicht die herrschende Entwicklung fundamental und radikal kritisiert wird“. Doch selbst Ulrich Briefs, linker Abgeordneter der Grünen und eifriger Kritiker ihres politischen Niedergangs, übt sich gegenüber dem IKÖ in Nachsicht: „Mir fiel halt auch auf, daß selbst bei orthodoxer Wortwahl relative Zustimmung vorhanden war.“
Die Mehrzahl der 13 IKÖ-Fachgruppen ist kaum arbeitsfähig, da die bundesweite Zusammensetzung viele Mitglieder in große Termin- und Finanzschwierigkeiten bringt. Während die IKÖ -Fachgruppe „Telematik, Telekommunikationspolitik und -industrie“ um den prominenten ISDN-Kritiker Herbert Kubicek sich über mangelndes Interesse nicht zu beklagen braucht, zweifelt die Fachgruppe „Neue Techniken - Leben Widerstand“ mangels Resonanz an ihrem Fortbestand. Frustriert von der beharrlichen Ignoranz des IKÖ-Völkchens, fragt in Dortmund eine Wandzeitung einer noch immer nicht gegründeten Fachgruppe, ob „Alltag und private Haushalte nur ein marginales Thema ist, das allenfalls Hausfrauen angeht“. Auch die Fachgruppe „Frauen und Technik - feministische Technikkritik“ führt ein Schattendasein.
Schwieriger Umgang
mit den eigenen Daten
Weil „sechs bis acht“ IKÖ-Mitglieder die maschinelle Verarbeitung ihrer Daten schriftlich untersagten, nimmt die Frage des IKÖ-internen PC-Einsatzes zur Adressverwaltung breiten Raum ein. Bevor Kubicek mit knapper Mehrheit durchsetzen kann, seinen Personal-Computer mit den personenbezogenen Daten der Mitglieder füttern zu dürfen, führen BefürworterInnen und GegnerInnen Abgründe und Grenzen ihrer Denkwelten drastisch vor Augen. Während die GestalterInnenfraktion zugunsten des PC-Einsatzes all jene Rationalisierungsargumente wiederholt, die andernorts von ihr selbst zumindest hinterfragt werden, halten die TechnikbegrenzerInnen nur dagegen, was sie ansonsten gegenüber überwachungsstaatlicher Speicherwut vorbringen. Den Argumenten, die „Funktionsfähigkeit“ des Instituts sei in Gefahr, die Mitgliedsbeiträge müßten erhöht werden, die „sozialen Kosten“ seien zu hoch, wenn es zu einer Verweigerung des PC käme, hält ein Mitglied der grünen Bundesarbeitsgemeinschaft Computer und Medien die Forderung nach einem Datensicherungskonzept entgegen, wobei „veröffentlicht werden muß, wie es gemacht wird“.
Was das IKÖ als Folge der globalen Digitalisierung diagnostiziert - die Gefährdung der „sozialen Ressource Kommunikation und Information“ - bringt es in den eigenen Reihen sanft und ganz ohne Technikeinsatz zuwege.
Obwohl sich das Institut von Anfang an eine 50prozentige Frauenquote auferlegt hat, geht das IKÖ-Grundsatzpapier auch noch im aktuellen zweiten Entwurf vom genormten DIN-Menschen aus, der selbstverständlich männlich ist. Frauen kommen nur als Marginalisierte vor, neben „Ausländern, Armen, sozial Benachteiligten (und) alten Menschen“. Daneben will das Papier aber „insbesondere“ Frauen zur Mitarbeit gewinnen, die „vielfach die Leidtragenden der neuen Entwicklung sind“.
Der IKÖ-Fundi Claus Eurich, der zuvor bedauert, daß die Universität Dortmund über keine Kapelle verfügt, hofft, „daß in den nächsten Jahren der IKÖ-Stachel ein bißchen tiefer in das Fleisch des Technopatriarchats eindringt“. Sein Optimismus hat schon fast religiöse Züge: „Weil das, was wir tun, richtig ist, gibt es dazu absolut keine Alternative, und deswegen werden wir auch noch wachsen.“
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