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Ausbeutung von 220 Thailänderinnen angeklagt

■ Zwölf mutmaßliche Zuhälter, Bordellbetreiber oder Schlepper sitzen seit gestern in zwei Prozessen im Kriminalgericht Moabit auf der Anklagebank / Der Vorwurf: Sie sollen in den Bordellen thailändische Prostituierte in wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten haben

Nach langwierigen Ermittlungen begannen im Kriminalgericht Moabit gestern die beiden bislang größten Strafverfahren gegen zwölf mutmaßliche Zuhälter, Bordellbetreiber und Schlepper wegen des Vorwurfs der Ausbeutung thailändischer Prostituierter: Vor der 16. Strafkammer des Landgerichts stehen der 43jährige Hauseigentümer Joachim F. und sechs Mitangeklagte - darunter zwei Thailänderinnen und eine Marrokanerin - vor Gericht. Ihnen wird zur Last gelegt, mit unterschiedlicher Tatbeteiligung zwischen Juni '86 und April '89 über zehn verschiedene Bordelle betrieben und dort rund 200 thailändische Prostituierte für sich arbeiten gelassen zu haben. Gleichzeitig begann vor der 15. Strafkammer erneut der Prozeß gegen den 39jährigen Thailänder P., die gleichaltrige Thailänderin mit dem Spitznamen „Mama Sun“ (Puffmutter) sowie eine weitere Thailänderin und zwei Deutsche. Der Hauptangeklagte P. soll in der Zeit zwischen Februar und August 1988 Mitinhaber des bordellartigen Klubs „Michaela“ in Charlottenburg gewesen sein und dort laut Anklage über 20 Thailänderinnen in wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten haben. Der Prozeß hatte schon einmal im vergangenen September begonnen, war dann aber ausgesetzt worden, weil mittels eines Rechtshilfeersuchens ermittelt werden sollte, ob die nach Thailand abgeschobenen Prostituierten ausfindig gemacht und als Zeuginnen nach Berlin geladen werden können.

Der Ablauf des gestrigen Verhandlungstages läßt darauf schließen, daß beide Prozesse mindestens bis zum Frühjahr dauern werden. So wurde im Verfahren gegen Joachim F. und die sechs Mitangeklagten noch nicht einmal die Anklageschrift verlesen. Der Grund: Die Verteidiger halten die Verlesung des über 43 Seiten starken Anklageschritsatzes für unzulässig, weil dieser zu viele Einzelheiten des Tatgeschehens enthalte. Ihre Befürchtung, daß die Verlesung zu einer Voreingenommenheit bei den Schöffen führe, wurde vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft natürlich nicht geteilt. Das Gericht erbat sich hingegen Bedenkzeit und setzte das Verfahren bis zum 11. Januar aus, bis dahin darüber zu entscheiden, ob nur eine Kurzfassung der Anklagschrift verlesen werden soll.

Justizsprecher Christoffel erklärte auf Anfrage, Kernpunkt der Anklage gegen Joachim F. und andere sei die Ausbeutung von rund 200 thailändischen Prostituierten. Die Frauen sollen in den von den Angeklagten arbeitsteilig betriebenen Bordellen pro Geschlechtsverkehr 50 DM eingenommen haben. Die Anklage gehe davon aus, daß die Frauen diese Einnahmen komplett abgeben mußten und später lediglich ein Drittel ihres Verdienstes oder auch gar nichts ausgezahlt bekommen hätten. Begründet worden sei die Einbehaltung des Geldes von den Bordellbetreibern mit der Begleichung von Betriebskosten für das Etablissement, Unkosten und Auslagen für Wäsche und Lebensmittel. Die Prostituierten hätten horrende Mieten zahlen müssen, obwohl sie in einer Küche oder einem kleinen Nebenraum untergebracht gewesen seien. Der Hauptangeklagte Joachim F. soll nach nach Angaben des Justizsprecher das Management geführt haben, die Mitangeklagten hätten in den Bordellen so eine Art Geschäftsführerfunktion ausgeübt. Nach Informationen der taz besitzt Joachim F. in Berlin mehrere Häuser mit über 300 Wohneinheiten. Einige der Wohnungen wurden zweckentfremdet, indem darin Bordelle eingerichtet wurden. Nach außen hin soll das allerdings geschickt kaschiert worden sein: So soll Joachim F. mit den übrigen Angeklagten Scheinmietverträge auf der Basis üblicher Mietpreise abgeschlossen, schwarz auf die Hand aber erstklassige Gewerbemieten kassiert haben. Joachim F., der vor Gericht gestern als Beruf Kaufmann angab, sitzt seit einem Jahr in U-Haft.

Der Prozeß gegen den Thailänder P., die Thailänderin „Mama Sun“ und drei weitere Angeklagte vor der 15. Strafkammer wurde gestern nach Verlesung der Anklageschrift gleichfalls auf den 11. Januar vertagt. Als Grund führte der Vorsitzende Richter Reinwarth die Abwesenheit eines Verteidigers an. Dem Hauptangeklagten wird vorgeworfen, zum Teil minderjährige Thailänderinnen veranlaßt zu haben, anschaffen zu gehen, die Gesamttageseinnahmen der Prostituierten von rund 1.000 Mark jedoch nicht an diese ausgezahlt, sondern einfach nach Gutdünken mit den Schulden für die Reisekosten und Vermittlung der Frauen nach Berlin verrechnet zu haben. Den Thailänderinnen soll es verboten gewesen sein, das Bordell bzw. eine Wohnung in der Kantstraße ohne Kontrolle zu verlassen. Um das zu verhindern, soll der Angeklagte die Pässe und Rückflugtickets der Frauen einbehalten haben. P. sitzt seit anderthalb Jahren in U-Haft. Die Aufsicht in dem Klub „Michaela“ soll die Thailänderin „Mama Sun“ geführt haben. Bei einer polizeilichen Vernehmung hatte „Mama Sun“ einmal ausgesagt, daß „die Mädchen“ nicht einmal Taschengeld bekommen hätten. Wenn sie etwas brauchten, sei sie, „Mama Sun“, mit ihnen einkaufen gegangen.

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