Die Angst vor Babylon

■ Ein Interview mit Juan Bruce Novoa über das amerikanische Sprachen- und Nationalitätenproblem

Juan Bruce Novoa ist seit Ende der sechziger Jahre in der Chicano-Bewegung aktiv; er unterrichtet an der Universität von Kalifornien mexikanische und Chicano-Literatur1. Das Interview führte John Krasniauskas.

John Krasniauskas: Sind die hispanischen Amerikaner in den Massenmedien und generell in der öffentlichen Sphäre eigentlich angemessen vertreten?

Juan Bruce Novoa: Nein, das sind sie nicht. Im Jahr 2000 werden sie die größte soziale Gruppe des Landes sein. Und sie sind immer noch nicht angemessen repräsentiert, besonders, wenn man ihre Situation mit der der Schwarzen und der Frauen vergleicht. Es gibt weder eine hispanische Familienserie noch ist einer der wichtigeren Nachrichtenreporter Hispanier. Was Nachrichten betrifft, die mit uns als Bevölkerungsgruppe zu tun haben, so sind wir total unterrepräsentiert; wenn überhaupt, dann geht es um irgendeine Geschichte über Verbrechen, Gewalt und Drogen und nie um die Hispanier als Gruppe. Obwohl es in letzter Zeit einige positive Ansätze gegeben hat, besonders in den Filmen von Luis Valdes, ist es auch im Kino bei klischeehaften Stereotypisierungen von Lateinamerikanern geblieben. Selbst in dem Film Old Gringo, den Jane Fonda nach einem Roman von Carlos Fuentes in Hollywood durchgesetzt hat und bei dem ein Argentinier (Luis Puenzo) Regie geführt hat, ist das noch so. Obwohl ein Hispanier eine der Hauptrollen spielt, bleibt doch am Schluß der Eindruck, daß ein Gringo die Revolution retten muß.

Das hört sich an, als würden Hispanier mehr als Ausländer betrachtet werden denn als integraler Bestandteil der US -Kultur.

Die Berichterstattung hat in der Tat die Situation vollständig verfälscht, indem man so tat, als sei die Bevölkerungsgruppe irgendwie „neu“, und sie so in den Kontext traditioneller Einwandererprobleme gestellt hat. Und dann fragt man, warum wir uns nicht anpassen und endlich vernünftig benehmen. Die heutige Einwanderer-Problematik ist aber etwas ganz anderes. Wenn das nicht zur Kenntnis genommen wird, ist die ganze Wahrnehmung verfälscht und jegliche Berichterstattung dient lediglich den Sponsoren der Programme und Fernsehserien.

Gibt es irgendeine Art von Chicano- oder Hispanierbesitzbeteiligungen an den Medien?

Nicht außerhalb lokaler Sender. Es hat einmal einen größeren Verbund spanischsprachiger Sender gegeben, aber der ist aufgelöst worden. Man kann sich spanischsprachige Fernsehsendungen ansehen, aber diese Sender gehören den selben Großgesellschaften und werden von den selben Unternehmen gestützt - und haben sogar die am schlimmsten klischierten Werbespots. Ihre spanischen Sendungen sind genauso engstirnig wie ihre englischen.

Was sind die politischen Folgen dieser Unterrepräsentation in den Medien?

Seit Nixon hat keine politische Partei großes Interesse an den Hispaniern gezeigt; wenn überhaupt, haben sie versucht, uns zu spalten. Sie haben es alle nicht mehr nötig, uns auf nationaler Ebene zur Kenntnis zu nehmen, das heißt man kümmert sich höchstens auf lokaler Ebene um unsere Probleme. Eine andere sehr ungute Entwicklung ist die zunehmende Militanz der „English Speaking Union“ in den letzten Jahren. Für ihre Kampagne gegen zweisprachige Erziehung kriegen sie gewöhnlich Artikel auf den ersten Seiten der Zeitungen.

Welche Folgen hatte die kalifornische Gesetzesinitiative gegen multikulturelle und zweisprachige Erziehung?

Die spanischsprachigen Gemeinschaften sind von dieser Einsprachigkeitsbewegung kulturell massiv bedroht. Die Gesetze sind verabschiedet, aber noch nicht in die Praxis umgesetzt. Die Politiker haben offenbar das Gefühl, daß die Durchsetzung ein politisch unkluger Akt wäre. Aber das Gesetz ist da, fix und fertig und wartet nur darauf, von irgend jemandem angewandt zu werden.

Was würde diese Umsetzung in die Praxis mit sich bringen?

Daß Englisch zur alleinigen offiziellen Sprache wird, in Schulen und bei sämtlichen rechtlichen Auseinandersetzungen. Das könnte dazu führen, daß Dokumente, die ursprünglich auf Spanisch geschrieben sind, nicht mehr akzeptiert werden; Rechtsbelehrungen auf Vertragsformularen könnten mißbraucht werden. So etwas radikalisiert bloß, und wir können solche Radikalisierung überhaupt nicht gebrauchen.

Wovor diese Leute Angst haben, ist eine vielsprachige USA. Zweisprachigkeit stört sie nicht weiter, wenn es sich bei der zweiten Sprache um eine Minderheitensprache handelt. Ich glaube, orientalische Sprachen werden als viel bedrohlicher empfunden: Spanisch - das wird einfach traditionell als Underdog-Sprache behandelt. Was ihnen Probleme macht, sind die ökonomisch sehr potenten asiatischen Bevölkerungsgruppen - Japaner und Koreaner -, die ihre eigenen Sprachen weitersprechen. Davor haben sie Angst.

In welchen Staaten außer in Kalifornien sind diese Gesetze noch verabschiedet worden?

Besonders in Texas und Colorado werden sie diskutiert. Elf weitere Staaten haben sich angeschlossen.

1 Amerikaner spanisch-mexikanischer Herkunft „mit starkem indianischem Einschlag“ werden Chicanos genannt. In den USA leben insgesamt 15,9 Millionen Hispanier, Menschen lateinamerikanischer Abkunft (Zensus 1983); die Hälfte von ihnen sind Chicanos. Sie leben vorwiegend (in der Reihenfolge ihrer absoluten Anzahl) in New York, Los Angeles, Chicago, San Antonio, Houston, El Paso, Miami, San Jose, San Diego, Phoenix, Albuquerque und Dallas. Offiziellen Angaben zufolge sprechen insgesamt 20 Millionen Amerikaner kein Englisch (bzw. Amerikanisch), und eine knappe Viertelmillion der Gesamtbevölkerung (242 Millionen) sind Analphabeten (ein Prozent; dieser Prozentanteil gleicht dem in der Bundesrepublik Deutschland). U.R.