: Sozialamt erstickt in Akten
■ SachbearbeiterInnen ließen aus Protest Sprechtag ausfallen
Sozialamt erstickt in Akten
SachbearbeiterInnen ließen aus Protest Sprechtag ausfallen
SozialhilfeempfängerInnen werden fallweise auf dem Sozialamt in ockergelben Hängeordnern geführt. Jede SachbearbeiterIn nun hat der offiziellen „Meßzahl“ zufolge 92,2 solcher „Fälle“ zu bearbeiten, gegenwärtig kommen auf jede KollegIn statt 92,2 bereits 137 Hängeordner. Das macht zwei doppeltürige Hängeschränke voll und stapelt sich auf Tischen und Stühlen. Und das sorgt an Sprechtagen für volle Flure mit stundenlang wartenden SozialhilfeempfängerInnen und am Nachmittag für Dauerstreß am Telefon: „Warum ist mein Bekleidungsgeld vom letzten Jahr immer noch nicht überwiesen?“. Das macht Mitarbeite rInnen reihenweise krank, eine nach der anderen bittet um Versetzung - und das macht sauer.
Gestern zogen die SachbearbeiterInnen im Sozialamt Süd in der Friedrich-Ebert-Straße Konsequenzen: Sie ließen ihren Sprechtag ausfallen, diskutierten mit ihrer Kundschaft - und sie fanden endlich einmal Zeit, ihre Aktenstapel abzuarbeiten. Personalrat Uli Marienfeld: „Wir sind richtig abgesoffen in Arbeit. Schieben Überstunden bis zum geht nicht mehr. Teilweise haben wir Rückstände aus dem letzten Jahr. 'Bürgernähe, Beratung‘ - das steht nur auf dem Papier.“ Zum Glück gäbe es noch Selbsthilfeorgnisationen, bei denen BürgerInnen sich kompetent beraten lassen könnten. Außerdem müßten die SachbearbeiterInnen den Konflikt aushalten, daß die Sozialhilfe viel zu niedrig angesetzt sei. Uli Marienfeld: „Ich könnte davon nicht leben, muß ich ehrlich sagen.“ Die Gewerkschaft ÖTV forderte gestern, die Planstellen auf den Sozialämtern „ständige, laufend“ an den Bedarf anzupassen. Denn einmalige Stellenzuweisungen im Jahr würden immer erst dann wirksam, wenn die Zahl der SozialhilfeempfängerInnen schon längst wieder gestiegen sei. Der Sprecher der Sozialbehörde erklärte gestern diese Forderungen für berechtigt. Eine entsprechende Senatsvorlage werde vorbereitet.
B.D.
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