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Berlin 1040: Spröder Charme

■ Stille Schlendermöglichkeit von Friedhof zu Friedhof / West-Autos, Ost-Hunde und nie sanierte Altbauten - betrachtet durch das „Ozonloch“

1040 - diese Postleitzahl steht für die nordwestliche Ecke von Ost-Berlin. Um das ehemalige Scheunenviertel herum läßt es sich wunderbar schlendern. Ich spaziere über den Koppenplatz, die Sonne blendet für Februarverhältnisse fast unangenehm, Gören lärmen auf dem typischen - und einfallslosen - Spielplatz aus Metallskeletten. Schräg gegenüber ist auf einer Tafel zu erfahren, daß „Herr Christian Koppe, Rathsverwandter und Stadthauptmann zu Berlin“ diesen Platz und seine Umgebung im Jahre 1705 „als Ruhestätte den Armen und Waisen“ widmete. Ein Friedhof also ... die Kids scheint's nicht zu stören. Durch die Große Hamburger Straße geht es weiter am St.-Hedwigs-Hospital vorbei, einer barocken Schönheit.

An der ehemaligen Jüdischen Knabenschule findet der Betrachter eine weitere Inschrift: „Nach Wahrheit forschen, Schönheit lieben, Gutes wollen, das Beste tun“. Die Lebensweisheit stammt von Moses Mendelssohn, dem Mitbegründer der Bildungsstätte. Nur wenige Meter entfernt, neben dem jüdischen Altersheim, führt die Straße auf einen stillen Platz. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein begrünter Hinterhof. Hier war der erste jüdische Friedhof von Berlin. So düster wie seine Geschichte - von 1672 bis 1827 war er jüdischer Begräbnisplatz, 1943 wurde er auf Befehl der Gestapo zerstört - wirkt er auch heute noch. Nur eine einzige Bank lädt zum Sitzen ein. Der einzige Farbfleck in der Gegend ist eine rote Fahne, die aus dem Fenster einer Hinterhauswohnung hängt und im leichten Wind flattert.

Für eine Pause bietet sich der Monbijou-Park an. Die Februarsonne brennt heftig durch das auch in der DDR nicht mehr unbekannte Ozonloch. Fürchterlich viele Hunde randalieren auf dem Rasen, von klein, weiß und wuschelig bis riesig, scheckig und undefinierbar ist alles vertreten. Neben ihnen scheint die Zahl der sonnenhungrigen Menschen noch erträglich; wieviele sich im Sommer hier drängeln werden, läßt sich jetzt nur erahnen...

Zurück geht's durch die Sophienstraße. Der Bruch zwischen nie sanierten Altbauten und dieser liebevoll bis in kleine Details restaurierten Straße scheint schizophren. Altberliner Zunftzeichen und Geschäftswerbung lassen an bürgerliche Geschäftigkeit denken und vermitteln eine Vorstellung, wie es in der Innenstadt auch aussehen könnte.

Gestört wird die Idylle nur durch solche „Wessis“, die sogar diese schmale Gasse nur durch ihre Autoscheiben hindurch bestaunen können. Bevor man sich über derartiges „Sightseeing“ ärgert, sollte man lieber im Cafe „Sophieneck“ einkehren.

Sabine Schwalbe

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