: Die Kommune von der Schönhauser Allee
■ Bei den BewohnerInnen des besetzten Hauses in der Schönhauser Allee 20 herrscht Angst vor Wiedervereinigung und Mietspekulation / Viele Projekte sind geplant / Anarcho-Literatur für „Arbeiter“ in der Teestube / „Wir sind nicht die lieben Ost-Autonomen“
Das Haus sollte schon vor 20 Jahren abgerissen werden. Nicht viel baufälliger als viele im Prenzelberg, hätte die Nummer 20 der Schönhauser Allee einer Neubebauung im drögen Plattenstil der DDR-Hauptstadt weichen müssen. Doch wie so oft in der Planwirtschaft konnte das Projekt nicht realisiert werden. Es begann sein langer Dornröschenschlaf.
Im August '89 wurde es jäh herausgerissen, als vier Wohnungssuchende das Haus entdeckten und die Wohnungen aufzubrechen begannen. Dabei konnte sofort Bekanntschaft mit der letzten Mieterin geschlossen werden, die sich über die neuen Mitbewohner freute: „Zum Aufbrechen macht sich ein Dietrich besser. Der ist auch leiser“, hieß sie ihre Gäste willkommen. Die Polizisten vom Nachbarrevier verhielten sich ruhig.
Als erstes entstand das Info-Cafe unten im Laden, wo Tee, Kaffee, Wein und Infos angeboten werden. Spekulanten sichteten das lukrative Objekt. Einen Computerladen hatten sie geplant und die Schaufensterpläne schon in der Tasche. Am 22. prangten plötzlich Graffities und Transparente draußen, die Besetzung wurde öffentlich.
Auch jetzt fällt das bunte Haus beim Vorübergehen sofort ins Auge. Der Hausflur zeugt von regen Aktivitäten, Bauschutt und -material ist überall verstreut. Lange schon sympathisieren die BesetzerInnen mit Kreuzberger Modellen oder der 68er Zeit. Bis jetzt konnten sie noch keine eigenen Erfahrungen damit machen, die sind aber bitter nötig.
Für ihr gemeinsames Wohn- und Arbeitsprojekt schauen sie sich die Leute aus. Meist linke Autonome aus anarchistischen Kreisen werden genommen. Selbstverständlich gäbe es Kontakte zur Szene in Westberlin. Ihre Vorbilder rücken mit eigenen Erfahrungen rüber oder schleppen alle Arten von Baumaterialien an. Auch im Bundesgebiet sind sie schon bekannt. Zum „Faschoalarm“ kamen dafür mal schnell Autonome aus Hamburg und Dortmund vorbei. Sie mußten aber erst aufgeklärt werden, daß Vermummung hier eher schockierend wirkt. Als Bürgerschreck und Randalierer möchten die „Schönhauser“ nicht sofort erscheinen. Trotzdem, so erklärt Heiner, „sind wir nicht die lieben Ostautnonomen, für die man uns im Westen hält“.
Das klingt fast wie ein Minderwertigkeitskomplex. Wie eine Entschuldigung dafür, daß es im Prenzelberg noch keine Krawalle gab. So würde Hoffi auch liebend gerne Steine und Mollis bei einer möglichen Räumung werfen. Ebenso wollen sie keine Terroristen sein, finden aber deren Ziele „in Ordnung“. Das ist alles noch nicht sehr ausgegoren. Ihre lobenswerte Idee des Info-Cafes schmeckt beim zweiten Mal dann auch wie zu junger Wein. Hier soll der Arbeiter von der Straße „Infos über Anarchosyndikalismus“ erhalten. Ob den das allerdings interessiert könnte man ein wenig bezweifeln. Soziale Ängste und Nöte beschäftigt die Leute und die schnelle Westmark, aber Anarchismus verursacht nur ein müdes Lächeln. Ähnliches mußten unsere „Ostautonomen“ auf Demos mit ihrer schwarz-roten Fahne erleben. Man mied sie wie der Teufel das Weihwasser.
An Ideen mangelt es trotzdem nicht: Außer dem Cafe ist ein Kinderladen als Alternative zur staatlichen KiTa geplant, eine Cafe-Bibliothek für Frauen soll entstehen. Mit einer Fahrradwerkstatt im Keller hält auch das Kleinbürgertum unter den Autonomen Einzug (autonome sind eh kleinbürger. sezza).
Die Szene erklomm aus der inneren Emigration die Höhen der Öffentlichkeit. Jetzt gelte sowieso nur noch die STVO, versichert der „Revierbulle“ nebenan leise. Trotzdem macht sich bei den Besetzern keine Euphorie breit. Die schnelle „Wiedervereinigung“ läßt die Angst vor Mietspekulationen und dergleichen wachsen. „Das wäre das Aus für die Szene hier.“ Deshalb beharren sie auf einer eigenständigen DDR. Die Chance für den Sozialismus sei noch nie so groß gewesen. Nach dem 9. November sei sie verspielt worden und der Mauerfall deshalb „die Rache der alten Männer im ZK“. Jetzt käme die rechte Szene und geht mit Parolen auf Bauernfängerei. Ein wenig konfus verließ ich die Schönhauser 20 wieder. Ihr Aufbruch zu neue Lebensformen in der eintönigen DDR ist nur zu begrüßen. Mit ihrem politischen Anspruch scheinen sie aber von ihrem Vorbild, der Studentenbewegung, nichts gelernt zu haben (danke herr oberlehrer. sezza).
Jürgen Duschka
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