: Der Trip n nach Anderswo
■ Auf der Suche nach sich selbst reisen manche Touristen ganz schön weit weg. Unnötigerweise, denn die Innenwelt läßt sich auch auf dem heimischen Sofa erfahren.
Von
MATHIAS BRÖCKERS
iel Unheil wäre vermieden worden, wenn niemals jemand von dort, wo er herkommt, weggegangen wäre. Ohnehin will ihn keiner anderswo sehen, als dort, wo er wohnt, wo er ihn ja auch sah, als er selber dort war: toll sah er nicht aus. Reisen ist der Versuch von Idioten, dort, wo sie nicht sind, zu sein. Sie denken, wenn sie sind, wo sie nicht sind, sehen sie besser aus. Oder, wenn sie wo hinkommen, passiert dort was, usw. In Wirklichkeit sehen alle überall wie alle anderen aus, aber keiner gibt's zu. Auch wollen sie sich reisend ein Schicksal erschleichen. Tatsächlich sehen sie nur, was vorgesehen ist, torkeln also erblindet nach Hause zurück, während um sie herum die Welt verarmt. So betrachtet sind strenge Grenzen die letzte Rettung vor der lärmenden Reiserei der zahllosen Fettsäcke um uns. Von der Eisenbahn, die man wie Reisen und Kommunikation verbieten sollte, heißt es in Thüringen: 'Die Eisenbahn befördert Narren von einer Stelle an eine andere Stelle.‘ Das sind natürlich keine guten Nachrichten für Freunde der Einanderversteherei.“ (Reinhard Lettau, taz 10.10.1987)
Der Lebensradius der ersten Menschen betrug etwa 30 Kilometer, gerade so viel, daß sie im strammen Marsch bei Tageslicht hin und wieder zurück konnten. Versorgungsschwierigkeiten und klimatische Bedingungen zwangen einige von ihnen nomadisch zu leben. Wenn aber für Futter und damit für Nachwuchs gesorgt und kein Feind in Sicht war, blieben die Menschen seßhaft. Mit der Domestizierung von Reittieren, den Techniken des Rads und des Schiffbaus dehnte sich die Mobilität immer weiter aus. Bis Ende des 19. Jahrhunderts allerdings blieb das Reisen nur wenigen Menschen vorbehalten.
Erst Dampfkraft, Elektrizität und Düsenantrieb machten es möglich, daß heute schon ein Kleinkind über einen Lebensradius verfügt, der sich über den gesamten Planeten erstreckt und für wenige Privilegierte bereits bis ins Weltall reicht. In absehbarer Zeit wird der Tourismus auf benachbarte Planeten so selbstverständlich sein wie heute ein Flug nach Mallorca. Die Japaner bauen bereits ein Satelliten-Hotel, das vom Jahr 2010 an Ferien im Weltraum möglich machen soll - keine Frage, daß der Eso-Tourismus bald folgen wird: Tai-Chi in der Umlaufbahn und Rebirthing auf dem Mond sind nur noch eine Frage der Zeit. Und wahrscheinlich muß es soweit kommen, bis die Leute feststellen, daß Reisen nach innen und äußere Fortbewegung sich gegenseitig ausschließen - es sei denn, sie bewegen sich wirklich hinaus ins Weltall.
Die Astronauten nämlich, die eigentlich zu einem technisch -wissenschaftlichen Forschungstrip gestartet waren, kehrten reihenweise zurück, als hätten sie eine Selbsterfahrungsreise gebucht und sämtliche Lektionen erfolgreich absolviert. Der Apollo-9-Astronaut Rusty Schweikart schreibt: „Du wirst plötzlich von dem machtvollen Gefühl durchdrungen, ein Sinnesorgan für die Menschheit zu sein. Du bist da oben im Weltraum wie ein ausgestreckter Fühler - und das flößt dir Demut ein. Das Auge, das nicht sieht, wird dem Körper nicht gerecht, deswegen bist du dort oben im All. Und wenn du zurückkehrst, sieht die Welt anders aus, denn jetzt ist etwas geändert in deinem Verhältnis zu jenem Planeten, sowie zwischen dir und allen anderen Lebensformen.“
ls der LSD-Professor Timothy Leary in den 60ern seine psychedelischen Offenbarungen kundtat, hörte sich das so ähnlich an, doch die Weltöffentlichkeit zog es vor, ihn für verrückt und gemeingefährlich zu erklären.
„Etwas passierte damals, das mir während des Fluges nicht so bewußt wurde. Du könntest sagen, ich flippte aus, es war ein Gipfelerlebnis oder was auch immer. Jedenfalls hatte ich die nächsten Jahre damit zu tun, meine Denkprozesse neu zu sortieren. Alle meine Wahrheiten und Wertvorstellungen wurden in die Luft geschleudert und fielen danach runter wie ein Haufen Mikado-Stäbchen.“ Auch dies ist nicht die Beschreibung eines erfolgreichen Trips in den inneren Kosmos, sondern der Bericht des Astronauten Mitchell über den Flug zum Mond. Die Zitate von ihm und seinen Kollegen sind kaum zu unterscheiden von den Berichten, die Mystiker, Meditierer und Ekstatiker über ihre Gipfelerlebnisse abgeben, nicht ohne hinzuzufügen, daß man es eigentlich gar nicht ausdrücken kann...
Da fahren also ein paar Männer mit einem gigantischen Aufwand an Material und Energie in den Weltraum, und ein paar andere bleiben sitzen und tun nichts, als sich in sich selbst zu versenken - und machen dieselbe Erfahrung. Nun ist aber gerade das wirkliche Nicht-Tun, vor allem das Nicht -Denken, keine einfache Angelegenheit, im Gegenteil. Seit Tausenden von Jahren suchen die Menschen nach Methoden und Techniken der Selbstversenkung, und dennoch ist eine allgemein brauchbare noch nicht gefunden.
Statt dessen reisen seelensuchende Eso-Touristen massenweise und sinnlos mit Flugzeugen, Autos und Eisenbahnen in der Welt herum, um ihren Weg der Selbstversenkung zu finden. Fast könnte man meinen, daß der Mobilitätsdrang des Homo sapiens, der ihn von seinen ersten 30 Kilometern bis hinaus ins Weltall gebracht hat, nur der Schwierigkeit geschuldet ist, eine akzeptable Technik zu finden, die dasselbe Aha-Erlebnis wie im Weltraum beschert, ohne den heimischen Fußboden auch nur einen Zentimeter zu verlassen. Entweder waren diese Techniken mit jahrelanger Kasteiung und Mühe verbunden, also nichts für die große, faule Masse, oder aber sie funktionierten (mittels Einnahme psychoaktiver Substanzen) so direkt und turboartig, so daß Ungeübte leicht die Kontrolle verloren und hinterher Mühe hatten, aus der zu einem Haufen Mikado-Stäbchen durcheinandergewirbelten Identität ihr Ego wieder zusammenzubasteln. Zudem hatten die professionellen Piloten dieser chemischen Feststoffraketen - Schamanen, Medizinmänner, Priester - schon aus Gründen der Arbeitsplatzsicherung ein Interesse daran, daß ihre Mittel und Tricks exklusiv („heilig“) blieben. Und den weltlichen Führern, Fürsten und Regenten war daran gelegen, daß das Volk arbeitete. Wäre doch das stetige Wachstum des Bruttosozialprodukts ernsthaft bedroht, wenn jeder Bauer, statt zu ackern, plötzlich von einer höheren Autorität faselte, die er auf seinem Trip gesehen und die ihm bedeutet hätte, daß Arbeit längst nicht alles sei...
it den grobstofflichen Fortbewegungsmitteln war das etwas anderes, sie konnten zur Steigerung der Produktivität und zur Eroberung fremder Länder eingesetzt werden und gewährten dem Volk statt göttlicher Offenbarung nur einen leichten Geschwindigkeitsrausch, der durch Tempolimit und Führerscheinentzug jederzeit kontrollierbar war: Etwa wenn jemand partout nicht davon ablassen wollte, mit seinem Porsche göttliche Allgegenwart zu simulieren. Die Endstufe aller Beschleunigungsanstrengungen wurde erreicht, als die ersten Menschen in den Weltraum rasten - zwar ist auch in der Raumfahrttechnik die Tachometernadel noch nicht am Ende aller Skalen angekommen, das Ergebnis jedoch wird in Zukunft dasselbe bleiben: Die Astronauten kehren mit erweitertem Bewußtsein zurück und reden in „fremden Zungen“. Wie die Apostel nach dem Pfingsterlebnis, die Hexen nach einem Stechapfel-Trip, die Indianer nach einer Peyote-Zeremonie und die Yoga-Meister nach einer erfolgreichen Meditationssitzung.
Die ökologische Alternative zu den kostspieligen Raumfahrtprogrammen liegt auf der Hand: Sitzen bleiben und üben - auf daß das alte Sofa zur Startrampe wird und das Wohnzimmer zu einem Raum, der es an Größe und Intensität mit jeder Milchstraße aufnehmen kann. Dasselbe gilt erst recht für die zwar preiswertere, der Biosphäre aber äußerst abträgliche Reiserei der Eso-Touristen. Lautet doch die grundlegende, allersimpelste Botschaft aller Weisheitslehren seit Menschengedenken: „Wie innen, so außen“. Wer also halbwegs bei Verstand ist, wird nicht lärmend und stinkend im Außen herumhetzen, wo immer nur das Vorgesehene zu sehen ist, sondern sich dahin wenden, wo die Vorsehung stattfindet: ins Hirn. Selbst wer das sensationelle Glück hätte, übermorgen mit einem Space-Shuttle ins Weltall starten zu dürfen, kommt um diesen Un-Weg nicht herum, für den sich die lärmende Reiserei als Umweg herausstellt. Der Raumfahrer Igor Wolk: „Nachdem wir die Erde einige Tage lang betrachtet hatten, kam uns der kindische Gedanke, daß man uns Kosmonauten etwas vormacht.“
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