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Zwischen Tulpenmeer und Narzissenkübeln

■ Jakobina Reinhardt, bald 87: Die älteste Blumenhändlerin auf dem Markt / Sie machte Blumenhandeln und -binden zur Familientradition

„Soll ich noch eine Lage Papier um die Tulpen wickeln?“, Jakobina Reinhardt legt Küchenmesser und Blumenkohl beiseite. Sie sitzt, von hinten per Propangas-Heizer gewärmt, zwischen Tulpenmeer und Narzissenkübeln, putzt nebenher ihr Mittagsgemüse und bedient besonders gerne Stammkundinnen, die Zeit zum Schwätzen mitgebracht haben. Jakobinas Arbeitstag beginnt um 5 Uhr früh. Dann begleitet sie Tochter Marta Tag für Tag zum Blumenmarkt am Domshof. Jetzt allerdings mehr aus Gewohnheit und zur Geselligkeit als zum Lebensunterhalt.

Für die altgedienten MarktbeschickerInnen rund um „Unser Lieben Frauen„-Kirche steht fest: „Jakobina ist die Älteste hier.“ Anfang April feiert die Blumenfrau ihren 87. Geburtstag. „No, das errrschte Joahr hab‘ ich noch mit Pilzen drrüben gestanden, am Gemüsemarkt“, erinnert sie sich und die rollenden eRR's verraten, daß sie irgendwann Neubremerin gewesen sein muß. („Was fürr e Gluick, daß drr Hitler uns 1941 verrjagt hat. Sonscht wär'rn wir heut nimmer“, sieht sie in der Vertreibung aus der Heimat an der Donau im Rückblick eine beinahe glück

liche Fügung.) Mit fünf Kindern waren die Reinhardts schließlich in Bremen gelandet.

Zuerst hatte Jakobina klägliches Geld dazuverdient, indem sie Pilze verkaufte, die sie mit ihrer Schwester in Suhlingen gesammelt hatte. Dann eines morgens schnitt sie einfach die Tulpen vor ihrer Haustür ab: „Da vorn hab ich gestanden“, Jakobina Reinhardt zeigt zur Straße hin, „20 Marrk hab ich an dem Morgen verdient“, erinnert sie sich und konnte es kaum glauben. Und weil die Leute ihr damals die Blumen noch aus der Hand rissen, stieg Frau Reinhardt ins Blumengeschäft ein. 3,50 Mark Gebühren kostete damals der erste Stand. („Jetscht zahlt die Tochter schon 34 Marrk am Tag.“)

Längst hat Tochter Marta inzwischen den Stand übernommen, hat das Geschäft ausgebaut („Wir gehen inzwischen zu drei Märkten“), hat Anfang der 80er den ersten Wagen angeschafft. Der Schwiegersohn ist zur (lästigen) Büroarbeit abgestellt. Ein Sohn hat sich mit eigenem Stand selbständig gemacht, die Enkeltochter Floristin gelernt. Sie wird die Tradition fortsetzen.

Am Stand gegenüber, wo ebenfalls schon 30jähriges gefeiert

wurde und im nächsten Jahr Mutter Alice Tochter Gerda die Geschäfte übergibt, bellt Terrier „Bobby“ - vom Wind aus dem

Schlaf geschreckt-zwischen den Eimern auf der Theke hervor. Jakobina Reinhardt packt einen Strauß in Pink ein. Versonnen

und voll Stolz erzählt sie dabei, wie sie dem Sohn in der größten Wohnungsnot mit ihrem Geld hat helfen können.

Anfangs kaufte sie die Blumen den BäuerInnen in der Großmarkthalle ab. Später fuhr sie mit ihrem Mann im Motorrad mit Beiwagen, noch später dann mit Schwiegersohn und Opel, zweimal pro Woche zum Blumenmarkt nach Hamburg. „Um zwei Uhr morrgens sind wir dann los. Um sechs war'n wir dann wieder da, wenn alles gutging. Dann hieß es abladen.“

Im Kinderwagen wird gerade Jakobinas Urenkel vorgeführt. Tochter Marta und Gerda vom Stand gegenüber unterbrechen ihren lautstarken Schwatz über die Versammlung von gestern, das Fernsehprogramm und die Welt im allgemeinen und kommen vor zum Kinderwagen. Ob sie nicht manchmal lieber einen Laden haben möchten oder in die neue Markthalle wollen?, möchte ich wissen. - Wie denn, von morgens bis abends am Ladentisch stehen?, nein, das wollen sie einstimmig nicht: „Um zwei ist Schluß. Und es muß doch auch noch ein bißchen gemütlich sein, nicht?“ meint Gerda.

Birgitt Rambalski

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