piwik no script img

JUBILÄUMSQUAK

■ „Die Frösche und IchundIch“ in der Freien Volksbühne

Aristophanes‘ Dichterwettstreit und Else Lasker-Schülers Welttheater, Faustparodie und Hitlerteufelsspuk, wie paßt eins ins andre, und was gebar uns Neuenfels daraus? Reimt sich Unterwelt auf Hölle? Demokratische Dekadenz und Dichtersterben auf autokratische Barbarei und Dichtermord? Dionysos auf Goebbels? Sarkophag auf Massengrab? Trissen -Frank auf an der Wand? Tod auf Tod? Komm, wir wollen uns näher verbergen vor der Nazi-Taschenlampe? Ist das noch zynisches Kasperletheater, der KZ-Sträfling mit theaterblutendem Stumpf, den Kopf unterm Arm - päng, an der Wand erschossen -, oder wird er, als Parodie der Parodie, zum zweifach gewendeten Beweisstück für die Guter-Mensch -Intention des Schauspiels (eine Beweisführung, die Lasker -Schüler, souverän Hitler und Teufel agieren lassend, nicht nötig hat und auch nicht die Kennzeichnung mit dem Judenstern, nachträgliches Einschreiben in die ausschließliche Opferrolle). Ist nicht sein rollender Kunststoffkopf die schamlose, weil vollzogene Illustration des Schamlosen, das dadurch wieder spiel- und konsumierbar wird, und zwar als gewiß kritisches Festspiel zum 100jährigen Jubiläum Freie Volksbühne?

Maßgeblich für die sinnstiftende Kopulation von Aristophanes‘ Die Frösche und Else Lasker-Schülers Drama IchundIch war, so Dramaturg Heiner Gimmler im Vorwort des Programmhefts, „die Überlegung, daß es sich bei beiden Stücken um einen theatralischen Diskurs über Dichter, Dichtung und Gesellschaft handelt, der einen Zeitraum von mehr als 2.000 Jahren überspannt und von unverminderter Aktualität ist, gerade in der historischen Situation dieser Stadt und zum 100jährigem Jubiläum der Freien Volksbühne“. Um gleich zu Anfang den großen Bogen zu markieren und einen eisigen Hauch Tiefgründigkeit zu vermitteln, führt die Regie den Besucher vom Foyer über den regennassen Rasen in den hinteren Bühneneingang, vorbei an der Titelleuchtschrift an der Außenwand und einem metaphernschweren Tischchen im Gras, mit niedlichen grünlichen Riesenplastikschmeißfliegen auf den Tellern garniert. Das Theater findet auf der Bühne statt (Achtung: Bedeutung!), der Zuschauerraum ist leer und wird erst später durch allerlei Nazigrünlinge gefüllt (Achtung Bedeutung!), was wohl heißen soll: wir spielen mit im Spiel.

Dionysos, mit sonderwunderbar rosarotem Kunststoffhängebauch und -brüsten, Träubchen am Kopf und zwischen den Beinen, braucht in seiner historischen Situation dringend einen zeugenden Dichter und steigt, da sich ihm nichts an lebender Qualität anbietet, zu diesem Zweck in den Hades. Hier machen sich die leichengewandeten Tragödiendichter Aischylos und Euripides den Rang, freie Speisung und den Ehrenplatz neben Pluto streitig, der „Urwalddichter“ giftet gegen den „Krüppelpoeten“. Also schreitet man zum Wettstreit: Euripides, mehr für nüchterne Reisereportagen über Odysseus zu haben, zählt bei Aischylos die poetischen Wiederholungen mit, und Ayschylos beendet jeden leiernden Vers Euripides‘ mit einem banalen „hängt am Pomadentopf“. Die Probe der Gewichtigkeit von Dichtung mithilfe einer Küchenwaage geht zugunsten Ayschylos aus: Er legt beim Versesprechen mehr Wagen mit Leichen hinein. Und doch schwankt Dionysos, Schieds- und Richter in einem, und schwankt das wankelmütige Frösche-Volk, ein Chor, hin- und hergerissen von dem klugen Demagogentum der eitlen Dichter. Dumm schauen die Frösche aus ihren Brillengläsern, quaken ratlos in die Pausen des Schlagabtausches. Und Dionysos, ein echter Zuschauer, läßt sich mitreißen von der einen und der andern Seite, windet sich schwanzschwingend durch den Rhythmus der Reime, leidet körperlich an der Kunst, bis er endlich, sehr zum Verdruß Euripides‘, sein Herz entscheiden läßt. So weit, so schön und wahr.

Aber aus Fröschen werden Nazis. Ein Froschvolk, ein Aristolasker, ein Neuenfels. Die froschgrünglänzenden Kombis zwischen OP- und Motorcycle-Ambiente (wie auch die andern Kostüme gewagte, aber hitverdächtige Modelle für die nächste Herbstmode) genehmigen eine Doppelidentität von Froschschenkel und Reiterhose, Ich und Ich (?), das attische Volk, Partei ergreifend, ergreift die Partei. Und so sind wir nahtlos ins Tausendjährige hinüberkostümiert. Aischylos hat sich als Goethe-Faust umgezogen, die Toga überm Skelettrippenhemd mit einem Dandy-Anzug vertauscht, und Euripides, war er doch zuvor schon suspekt, darf jetzt als schicker Mephisto agieren. Goebbels lieh sich bei Dionysos den Pferdefuß. Das schon zuvor ein bißchen zu dumme Volk, zu Nazis konvertiert, frißt Else Lasker-Schülers übrige Rollen auf: den Theaterdirektor Max Reinhard, die Schauspieler, den Theaterarzt...

Alles nichts dagegen, daß die Dichterin selbst, die sich mit ins Höllenspiel im Spiel kommentierend hineinsetzt, zur betroffenheitsheischenden Elisabeth Trissenaar werden muß, die vor den Nazischergen ihr „Es ist ein Weinen an der Welt“ zuschanden jammert - als wär's die letzte Mieterhöhung im Hause Neuenfels. Das Jugendgedicht wurde von Lasker-Schüler selbst in das erst 1940 geschriebene Stück hineinmontiert, als ein Selbstzitat, von Faust als poetisches Argument gegen Mephistos Negationskraft benutzt. Neuenfels läßt Trissenaar als Judenmädchen mit Baskenmütze und Judenstern rezitieren, stellt naturalistisch nach, wo verhandelt und kommentiert wird, und stellt damit der Poesie nach. Da wird nicht hinter - sondern abgefragt, nicht zugehört, sondern ver- und abgehört, weil man immer schon besser weiß, was andere noch zu fragen wagen.

Und so rutscht das groteske Kasperlspiel Else-Lasker -Schülers, in dem der Teufel vom Nazi noch übertroffen wird, in dem aber andererseits der deutsche Dichter Faust/Goethe es nicht mitansehen kann, wie der Nazi in die Höllengrube fällt, und dem Nazi wieder auf die Beine hilft, gerade da in Banalität ab, wo es todernst und todkomisch zugleich zugehen müßte. Else Lasker-Schülers Text ist durchsetzt von solchen Zwittern, zum Beispiel wenn Mephisto zu dem deutschen Dichter sagt, dessen Bücher verbrannt worden sind, wie Mephisto weiß: „Du bist unsterblich, Heinrich. Ich kann nicht sterben. Es warten keine Erben auf beflissenen Buchverkauf. Und doch, dein Reich ist nicht von dieser Welt. Und lebst noch heute träumerisch, wo dir's gefällt, hier in der Höll‘ im siebten Himmel - im Azur.“

Daß der wiederkauendzeugende Regie-Rahmen hin und wieder souverän gesprengt wird, liegt an den SchauspielerInnen. Vor allen andern trifft Irm Herrmanns glasklare Schneidigkeit als Nazichefin, ihre kühle tödliche Eleganz, gerade in der Überzogenheit, sie übertrifft und unterläuft noch das Klischee, wenn sie schrill und hysterisch trotzig gegen Gott und die Welt angilft: „Juda verrecke“. Dann dreht sie mit modischem Schwung auf dem spitzen Absatz um, wirft den Puppenkopf mit blonder Haartolle leger nach hinten und schwenkt das Weinglas mit Präzision.

Dorothee Hackenberg

Regie: Hans Neuenfels. Bühnenbild: Christoph Rasche. Kostüme: Reinhard von der Thannen. Mit Edgar M. Böhlke, Peter Fitz, Ulrich Kuhlmann, Stefan Wieland, Thomas Hodina, Elisabeth Trissenaar, Barbara Morawiecz, Iris von Kluge, Irm Herrmann u.a.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen