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Gen-Tech-Gesetz im Handstreich

Trotz massiver Kritik ließ der Bundestag das umstrittenste Gesetz der Legislaturperiode passieren  ■  Von Manfred Kriener

Berlin/Bonn (taz) - Begleitet von massiver Kritik aller Umweltverbände, Ökogruppen, von Grünen und Teilen der SPD, hat der Bundestag gestern das Gentechnikgesetz verabschiedet, das umstrittenste Gesetz dieser Legislaturperiode. Bis zuletzt hatte die SPD versucht, die Abstimmung zu verhindern und nochmals eine Expertenanhörung zu jenem Paragraphenwerk durchzusetzen, das künftig für Industrie und Forschung die rechtliche Grundlage aller gentechnischen Arbeiten sein soll. Die jetzt verabschiedete Fassung war erst im Februar dieses Jahres vorgelegt worden, nachdem der Bundesrat den Vorentwurf mit insgesamt 254 Änderungsanträgen (neuer deutscher Rekord) hatte durchfallen lassen und auch die Expertenanhörung am 17. Januar schwere Vorbehalte der Sachverständigen ergeben hatte.

An den Hauptkritikpunkten hat auch der neue Entwurf nichts verändert. Die stark eingeschränkte Öffentlichkeitsbeteiligung, die explizit festgeschriebene Förderung der Gentechnik und ihre Kontrolle durch die mehrheitlich aus Gentechnikern besetzte „Zentral-Kommission für die Biologische Sicherheit“ (ZKBS) blieben unangetastet.

Der Deutsche Naturschutzring sprach gestern von einer „in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Manipulation“. Trotz der in Bundesrat und Anhörung offenbarten „gravierenden Mängel“ seien die Abgeordneten jetzt „im Handstreich von einem nur unwesentlich überarbeiteten Gesetzentwurf überrumpelt“ worden. SPD -Genexperte Catenhusen sprach von „fieberhafter Flickschusterei“.

Die Grünen stellten mit einer Detailkritik vor allem die einzelnen Rechtsverordnungen heraus, die als „Kernstück“ des Gesetzes die gentechnische Praxis bis hin zur Einrichtung von Raucherräumen regeln, in denen die Geningenieure „ohne Beeinträchtigung ihrer Gesundheit durch gentechnisch veränderte Organismen essen, trinken, rauchen oder schnupfen können“. Die Verordnungen waren in letzter Fassung erst Mitte des Monats bekannt geworden.

Sie regeln vor allem die Einstufung der Genlabors und ihres biologischen Inventars in vier Sicherheitsstufen. Danach wird die Sicherheitsstufe I - sie gilt für rund 90 Prozent aller Genlabore der BRD - als „ohne Risiko“ bezeichnet. Entsprechend existieren auch keinerlei Vorschriften, um Abwässer und Abluft aus diesen Genlabors zurückzuhalten. Dies komme einer „permanenten Freisetzung“ gentechnisch veränderter Organismen gleich, so die grüne Bundestagsabgeordnete Bärbel Rust.

In Sicherheitsstufe II („geringes Risiko“, dies gilt für knapp 10 Prozent der Labors) darf nach dem Gesetz künftig zum Beispiel mit Tetanus-, Diphterie-, Gonorrhöe- oder Choleraerregern gearbeitet werden, ohne daß für diesen Labortyp Abluftfilter oder Schleusen vor geschrieben wären. Dafür heißt es dort: „Fenster und Türen müssen während der Arbeiten geschlossen sein.“ Die Sicherheitsstufe III - bundesweit fallen nur knapp ein Dutzend Labors darunter - wird vom Gesetzgeber als „mäßiges Fortsetzung auf Seite 2

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Risiko“ bezeichnet. Dazu gehören zum Beispiel der Erreger der Pest sowie sämtliche Erreger aus der B-Waffen-Forschung, die ebenfalls nicht in die Sicherheitsstufe IV („hohes Risiko“) aufgenommen wurden. Für die Genexpertin Beatrix Tappesser vom Freiburger Ökoinstitut sind diese Einordnungen der letzte Beweis dafür, daß „die Interessen der Industrie und Wissenschaft viel, der Schutz der Umwelt aber kaum etwas gilt“.

Auch in vielen anderen Einzelpunkten der Verordnungen wird der „Kniefall vor den Betreibern“, so die grüne NRW -Genexpertin Katrin Grüber, deutlich. So legt der Paragraph 8, Absatz 6 ausdrücklich fest, daß „der Betreiber“ (eines Genlabors) zu regeln habe, welche „Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren zu treffen sind“. Dem Betreiber wird außerdem explizit das Recht eingeräumt, sich gegen neue Sicherheitsansprüche durch die Aufsicht zu wehren. Nach Paragraph 6 darf die ZKBS „anerkannte neue biologi

sche Sicherheitsmaßnahmen“ der Öffentlichkeit nur dann bekanntmachen, wenn der Betreiber dem nicht widerspricht: „Ein Widerspruch hindert die Bekanntmachung (...) für einen Zeitraum von drei Jahren.“

Die einschlägige Branche hat sich „vor der letzten Lesung des Gentechnikgesetzes“ mit einem ungewöhnlichen Appell an den Bundestag gewandt. In einer Erklärung aller großen Forschungseinrichtungen an die Parlamentarier wird appelliert, die „Vorschriften auf das notwendige Maß zu beschränken“. Nachdem die Forscher nochmals das Hohelied der Gentechnik singen, wird eingestanden, daß eine mißbräuchliche Anwendung „grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann“. Allerdings hätten die Gentechniker gelernt, auch „mit hochgradig gefährlichen Mikroorganismen“ umzugehen. Hier stehen die Wissenschaftler allerdings im Gegensatz zur Bundesregierung, für die es hochgefährliche Organismen gar nicht gibt. Nach deren Stufenregelung ist nicht einmal ein einziges Genlabor der Bundesrepublik in die Sicherheitsstufe IV („hohes Risiko“) einzustufen.

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