: Abrüsten zu Ostern - Aufrüsten danach
Acht von 64 Marschflugkörpern aus dem Hunsrück nach Arizona zurückgeflogen / Air-base wird zur Leitzentrale im Luftkrieg ausgebaut ■ Von Thomas Krumenacker
Wüschheim (taz) - Rechtzeitig vor den Ostermärschen der Friedensbewegung hat die US-Luftwaffe am Mittwoch mit dem Abzug der ersten von insgesamt 64 in der Bundesrepublik stationierten Cruise-Missile -Marschflugkörper begonnen. In zehn Meter langen, kaum zwei Meter breiten übereinandergestapelten Stahlsärgen schob ein Dutzend GIs gestern vor den Augen der Weltpresse nur acht statt der ursprünglich vorgesehenen 16 Marschflugkörper in den riesigen Rumpf eines Galaxi-Transportflugzeuges. Mehr sei im größten Flugzeug, das die Air Force besitzt, aus Platzgründen nicht drin, hieß es überraschend. Jetzt soll noch in dieser Woche eine zweite Maschine mit der symbolträchtigen Fracht zum Rückflug in Richtung Tucson (Arizona) aufbrechen, wo die Marschflugkörper auf der Davis -Montan-Air-base der Länge nach zersägt und anschließend verschrottet werden sollen.
Der Abzug der Marschflugkörper ist Teil des INF -Abrüstungsabkommens zwischen den Supermächten vom Dezember 1987. Darin verpflichten sich die USA und die Sowjetunion, bis zum Stichtag 1. Juni 1991 alle Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 1.400 und 2.500 Kilometern komplett aus Europa abzuziehen und zu vernichten. An den übrigen bundesdeutschen Stationierungsorten von INF-Waffen (PershingII) Mutlangen, Heilbronn und Neu-Ulm ist bereits im Frühjahr letzten Jahres mit der Vernichtung begonnen worden. An jedem Stationierungsort befinden sich noch 27 Raketen, die - ebenso wie die Cruise Missiles - „bis zur letzten Minute voll einsatzfähig sind“. Nicht im INF-Abkommen inbegriffen sind allerdings die atomaren Sprengköpfe: Wann sie abtransportiert werden sollen, wollten weder die Bonner Hardthöhe noch die Air Force mitteilen.
Mit dem dröhnenden Start der Galaxi genau 15 Sekunden vor 14 Uhr ist jetzt auch ein Kapitel der bundesdeutschen Friedensbewegungsgeschichte beendet: Kein anderes Thema hat die Öffentlichkeit über einen Zeitraum von vielen Jahren so heftig beschäftig wie das Thema „Nachrüstung“: Dem Nato -Doppelbeschluß vom Dezember 1979 folgte die Stationierung der tief ins gegnerische Hinterland reichenden Waffensysteme und ab 1983 die größten Friedensdemonstrationen der Nachkriegsgeschichte. Was die Verantwortlichen gestern vor dem Abflug als „historisches Ereignis“ und „Ergebnis westlicher Standhaftigkeit gegenüber den Russen“ verkaufen wollten, wird durch die neuen Pläne für einen militärischen Ausbau getrübt: Kein einziger der INF-Stationierungsorte wird aufgeben, eine Abrüstung in den betroffenen Regionen findet trotz massiver Fortsetzung auf Seite 2
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Forderungen nicht satt. Ausgerechnet der Standort Hasselbach, an dem der Öffentlichkeit mit der Show vom Mittwoch der Anfang einer friedlichen Zeit glaubhaft gemacht werden sollte, nimmt in dem neuen Konzept eine Vorreiterrolle ein: Auf dem wenigen Kilometer entfernten Gosberg, soll eine zentrale Fernmelde- und Radareinheit der US-Air-Force entstehen. Dahinter verbirgt sich nach Einschätzung von Experten eine der wichtigsten Nervenzentralen für einen nuklearen Luftkrieg. Das Herzstück der Anlage - die die USA weitgehend von den Nato-Partnern unabhängig machen soll - eine unterirdische Auswertungszentrale, befindet sich bereits im Bau. Der unmittelbar greifbaren Bedrohung durch atomar gestützte Marschflugkörper folgt ein praktisch nicht weniger brisantes Nervenzentrum. Vom Hunsrück aus soll ein US-Atomkrieg koordiniert werden. „Das ganze wird auch noch als Abrüstung verkauft“, ärgerte
sich ein Bürgermeister.
Der Mann, der als letzte menschliche Instanz das berüchtigte rote Knöpfchen zum Abschuß Raketen bedient sollte, stand gestern beim Abflug seiner Einheit ein wenig betreten neben seinen winkenden Kollegen. Der 27jährige Ingenieur und Oberstleutnant, hat sich nie Gedanken darüber gemacht, was passiert, „wenn ich drücke“. Dennoch, erzählt er, habe er „auf irgendeine Art eine besondere Beziehung“ zu dem in Wirklichkeit grünen Knopf gehabt. Aber, freut er sich: „In zwanzig Jahren kann ich sagen, ich habe zu denen gehört, die Abrüstung gemacht haben, dafür lohnt es sich, vor dem Knopf zu sitzen“.
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