piwik no script img

Ein Seehund in Unterhosen

■ UEFA-Cup: Beim 0:0-Abschied der Bremer fallen fast nur rabaukige Zuschauer auf

Berlin (taz) - Schön war's nicht, eher ließe sich sagen: beschissen. Im Grunde handelte es sich um die konsequente Fortführung des Hinspiels, mit jeder Menge Maurern, Fouls, Unbeholfenheit und einem nicht existenten Bremer Sturm. Nur, daß am Dienstag abend eine gehörige Portion Entrüstung dazukam; Entrüstung über die Zustände im Renato-Cruni -Stadion von Perugia, wohin die Florentiner während dieser Saison umgezogen sind, weil zu Hause die Handwerker mit Kelle und Pinsel die Ränge zur WM-Form aufmöbeln.

In Perugia nämlich stehen die tifosi bis nahe an den Rand des Spielfeldes, und dann kommt es vor, daß die vom Chianti in Schwung gebrachten Gemüter nicht nur verbale Schmähungen in Richtung Rasen losschicken. Oliver Reck beispielsweise hatte nach der Halbzeit alle Hände voll zu tun, den ihm gehörigen Fünfmeterraum vom Müll freizuschaufeln, als da waren: „Schals, Mützen, Geldmünzen, Flaschen, Dosen, Feuerwerkskörper und Papierschlangen“ ('dpa‘), bloß als er noch mitten in der Arbeit steckte kamen zwei der 28.000 Zuschauer und malträtierten den Torhüter mit Handkantenschlägen, worauf dieser niedersank; so jedenfalls ist die Version der Werderaner, und auf jeden Fall werden die Toskaner dafür bei der UEFA eine Stange Schweizer Franken hinlegen, wenn es nicht gar eine Platzsperre setzt.

Das wiederum wird die Bremer nicht trösten, weil sie jetzt nach der Bundesliga schon der zweiten Möglichkeit verlustig sind, international im kommenden Jahr Geld zu machen, und nun alle Hoffnung ruht auf dem Pokalfinale gegen Kaiserslautern (19. Mai). Aber der Otto Rehhagel hat schon recht, denn: „Wir haben keine Chancen herausgespielt und keine Tore geschossen, deshalb sind wir nun in den Endspielen nicht dabei.“ Das hört sich viel besser an als sein ebenfalls überliefertes „die Möglichkeiten waren da“, denn was da in zwei Spielen an Möglichkeiten zusammenkam, gereicht nicht zum Ruhme.

Schon in Bremen war der Ausgleich zum 1:1 nur einem Eigentor von Keeper Landucci zuzuschreiben, und auch in Perugia entsprang die einzige nennenswerte Chance einer verunglückten Rückgabe nach drei Minuten. Und wenn Rehhagel richtig liegt mit der Feststellung: „Ein Riedle oder Völler wachsen nicht irgendwo auf dem Baum“, so wird er nun wissen, daß auch ein für 15 Millionen Mark gehandelter Stürmer nicht qua Summe Angst und Schrecken verbreitet. Das tut eher Borowka: Der fuhr in der 6. Minute dem armen Pioli derart in die Beine, daß der mit Verdacht auf einen Bruch hinausgeschleppt wurde, der Unhold indes die gelbe Karte von Schiedrichter Biguet als Unverfrorenheit empfand.

Sonst ist noch von einem hübschen Freistoß des Mini -Maradona namens Baggio zu erzählen, der knapp am Tordreieck vorbeistrich, vor allem aber von der auffälligsten Figur beider Partien: Marco Nappi. Der kleinwüchsige Flinkfuß hatte schon in Bremen nach hurtigem Lauf Reck überlistet, und am Dienstag erreichte seine Fertigkeit zirzensische Ausmaße: Wie ein Seehund tänzelte er den Ball auf der Stirn, um ihn schließlich im vollen Sprint auf den Nase ruhend durchs Mittelfeld zu balancieren. Bravo!, und auch die Devotionalienfreunde waren angetan. Mit Abpfiff rupften sie dem Kleinen die Kleider vom Leib, die Polizei mußte ihn in Unterhosen zur Kabine geleiten.

Keine Frage, daß ihm der Verein bis zu den Finals am 2. und 16. Mai (Turin? Köln?) eine neue Kluft besorgt.

Thömmes

Florenz: Landucci - Batistini - Pioli (9. Volpecina), Malusci, Dell 'Oglio, Pin - Dunga, Baggio, di Chiara Nappi, Buso (89. Callegari)

Bremen: Reck - Bratseth - Borowka (77. Bode), Otten Wolter, Schaaf (71. Hermann), Votava, Eilts - Riedle, Neubarth, Rufer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen