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„Ich hatte 35 Leben“

■ Mit Robert Altman, dem Regisseur des van Gogh-Films „Vincent und Theo“, der heute ins Kino kommt, sprach Gunter Göckenjan

taz: Wenn ich eine Liste mit meinen zwanzig Lieblingsfilmen aufstellen sollte, wären zwei von ihnen dabei.

Robert Altman: Das ist nicht besonders gut, es sollten mindestens fünf sein. Welche beiden sind das?

„Drei Frauen“ und „Eine Hochzeit“.

Prima. Die beiden habe ich direkt hintereinander gemacht. „Eine Hochzeit“ war das Ergebnis eines Interviews, das ich während der Aufnahmen zu „Drei Frauen“ in Palm Springs gegeben habe. Es war wahnsinnig heiß, ich hatte einen Kater, und wir hingen mutlos am Swimmingpool dieses lila Hotels herum. Ich fühlte mich elend und wußte nicht, ob ich den Film zu Ende bringen würde. Da stürzte eine junge Reporterin auf mich zu, sie war ganz in schwarzes Leder gekleidet, trotz der Hitze. „Welchen Film machen sie als nächsten?“ fragte sie. Ich schaute sie an und antwortete: „Hochzeit.“ Das war nur ein Witz, doch dann merkte ich, daß es eine gute Idee war.

Entstehen so all Ihre Filme?

Oft brauche ich auch den Kampf der Geburt, sonst fehlt mir die Kraft, ihn zu Ende zu führen. Wenn mir jetzt jemand zwanzig Millionen Dollar auf den Tisch legen würde für einen Film, ich hätte keine Ahnung, was ich damit tun könnte.

Welches sind Ihnen die fünf liebsten Ihrer eigenen Filme?

Ich liebe sie alle. Sie sind wie Kinder, die am wenigsten erfolgreichen sind einem die liebsten. Ich glaube aber, daß „Vincent und Theo“ der zuschauerfreundlichste ist. Ich wurde gefragt, ob ich das als Fernsehserie machen wollte. Anfangs hatte ich keine Lust dazu. Zuerst fielen mir zu dem Thema nur alle möglichen Dinge ein, die ich nicht machen wollte. Je länger ich mich dann damit beschäftigte, desto mehr zog mich der Stoff an. Schließlich habe ich zugesagt unter der Bedingung, daß ich neben der Fernsehserie noch meinen eigenen Kinofilm darüber machen konnte.

Der Film ist eine ziemliche Überraschung, wenn man ihr Gesamtwerk betrachtet.

Finden Sie? Meines Erachtens ist er den anderen Filmen sehr ähnlich, in seiner Sensibilität zum Beispiel. Nur die Ereignisse sind vollkommen neu.

Es gibt zum Beispiel keine Ironie.

Nicht auf der Oberfläche. Aber es ist ein Film voller Schmerz, und er ist nicht linear erzählt. Jeder, der den Film sieht, kommt mit einem Vorwissen. Das ermöglichte es mir, die Geschichte zu vernachlässigen, und ihn wie eine Serie von Gemälden zu machen, die nicht unbedingt im Zusammenhang miteinander stehen. Ich gebe keine Erklärungen kausaler Zusammenhänge und keine Informationen. Stellen Sie sich vor, Vincent und Theo wären erfundene Personen, dann merken Sie, was für ein seltsamer Film dies ist. Nur weil man glaubt zu wissen, wer diese Personen waren, wirkt der Film fast alltäglich, aber das ist er überhaupt nicht.

Die Farbkomposition scheint den Bildern van Goghs zu folgen.

Das hat mich nicht so sehr interessiert. Bei den Aufnahmen in Holland haben wir direkt das Vorbild benutzt: Francis Bacons van Gogh-Gemälde diente uns als Vorbild für die Szene, in der van Gogh nach Arles kommt. Ich wollte nicht mit van Goghs Kunst in Wettstreit treten, obwohl alle um mich herum immer wieder dieses Material auf den Tisch brachten. Natürlich auch der Art Director, der zufällig mein Sohn ist. Wir haben uns gestritten, weil ich ihm sagte, mich interessieren hier van Goghs Bilder nicht. Dann ist er heimlich mit dem Zeug rumgeschlichen. Ich habe aber nicht zugelassen, daß es in den Vordergrund gerückt werden konnte. Ich wollte keine Tatsachen zeigen, weil ich kein Porträt eines berühmten Künstlers machen wollte. Dies ist ein Film über einen Menschen, der versagt, über seinen Schmerz und über diese seltsame Beziehung zwischen den beiden Brüdern, die nicht ohne einander leben konnten.

Sie selbst waren also nicht an Kopie interessiert, aber sie haben einen Kopisten beschäftigt, der ganz gut zu sein schien.

Unter dreißig Malern haben wir den in Paris ausgesucht, eigentlich malt er abstrakte Bilder. Auf einem Lastwagen hat er die van Goghs gefälscht und einige Male von Touristen bis zu 5.000 Dollar dafür geboten bekommen. Damit hätte er mehr verdient als bei mir.

Wie sind die Reaktionen auf ihren Film?

Die Holländer mögen ihn überhaupt nicht. Sie sehen sich als Experten für van Gogh. Wenn man betrachtet, wie sie ihn behandelt haben, findet man jedoch keinen Grund für diesen Chauvinismus. Cannes hat ihn abgelehnt mit der Begründung, er enthielte keine neuen politischen Ideen, auch die Berliner Filmfestspiele haben ihn abgelehnt.

Wissen Sie, was für Filme dort liefen?

Ja, ich weiß, und ich bin jetzt froh, daß mein Film dort nicht gezeigt wurde. Überall, wo wir ihn dem Publikum vorgeführt haben, hatten wir sehr gute Reaktionen. Ich verstehe natürlich auch die professionellen Vorbehalte, ich hatte sie ja selbst. Es ist schwer, die Aura um die Person van Goghs zu durchdringen. Der Starttermin macht das noch schwerer: überall van Gogh-T-Shirts und -Luftballons. In Arles habe ich sogar in einem Metzgerladen eine Kopie eines van Gogh-Gemäldes aus gefärbtem Tierfett gesehen.

Wie es scheint, sind Sie im Begriff, ein europäischer Filmemacher zu werden?

Für die Amerikaner war ich das schon immer.

Ihre Filme hatten immer sehr amerikanische Themen. Mit „Therapie zwecklos“ fing es an...

Das war ein sehr amerikanischer Film. Ich habe in Paris gedreht, aber so, als wäre es New York. In den USA hatte ich großes Pech mit „Therapie zwecklos“, weil Aids gerade das große Thema war. Ich hatte versucht, einen romantischen Film über Bisexuelle zu machen. Dafür wurde ich fast gekreuzigt. Man hat mir vorgeworfen, Promiskuität zu fördern.

Aids wird ja immer wieder als Vorwand für moralisch begründete Restriktionen angeführt.

Diese Strömung ist im Verborgenen immer da, aber die Aidsgefahr hat es an das Tageslicht gebracht. Der Grund, warum ich den Film gemacht habe, war, dies zu kritisieren.

Sie haben Projektangebote aus Frankreich und Italien. Warum arbeiten Sie in letzter Zeit immer in Europa?

Weil man mich in Europa will. In Amerika machen sie nur noch Filme, die einen existierenden, sicheren Markt versorgen. Ich weiß nicht, wie man die Filme macht, die die Amerikaner wollen, das kann ich nicht. Aber ich hege keinen Groll. Es sind eben zwei Züge, die in entgegengesetzte Richtungen fahren. Die verkaufen Autos, und ich mache Schlitten.

Glauben Sie, daß Kunst und Schmerz, wie Sie es bei „Vincent und Theo“ gezeigt haben, zusammengehören?

Wo sonst sollte die Energie herkommen, die notwendig ist, um die harte Arbeit, die zum Beispiel das Bildermalen ist, zu tun? Aus welchem Grund sollte man das machen? Du versuchst jemand dazu zu bringen, deine eigene Sichtweise der Welt zu sehen. Man versteckt kleine Botschaften wie: Liebe mich! Hilf mir!

Was mir an Ihren Filmen immer gefiel: daß sie gerade nicht um die Gunst der Zuschauer betteln.

Glauben Sie mir, ich will geliebt werden, ich habe nur einen anderen Weg eingeschlagen.

Warum einen Weg, der leicht zum Gegenteil führt?

Ich weiß es nicht. Ich möchte mich aber auch nicht so genau kennen. Es ist besser, wenn man die Wahrheit frei schweben läßt. In dem Moment, in dem man sie festzuhalten versucht, wird sie eine Lüge.

Daher die satirische Sichtweise der Psychoanalyse in „Therapie zwecklos“?

Das 19. Jahrhundert hat zwei noble Hauptirrtümer hervorgebracht: den Kommunismus und die Psychoanalyse. Der Kommunismus ist am Ende, aber auch die übrigbleibenden politischen Strukturen sind nicht besonders gut. Wir brauchen etwas Neues, nicht Religion und Spiritismus, sondern etwas, das vom Vertrauen zum Individuum ausgeht...Künstler sind die einzigen, denen man trauen kann.

Aha?

Ihr Tagesablauf gehört ihnen, deshalb müssen sie anderen nichts wegnehmen und keine Sachen anhäufen, die sie nicht brauchen.

So, der Künstler als Alternative zum Kommunismus? Sind Künstler bessere Menschen?

Nein, aber zu ihrer Natur gehört es, daß sie geben statt zu nehmen. Daß Havel Präsident der Tschechoslowakei geworden ist, hat mich vom Hocker gerissen.

Kommen wir nochmal zurück zu Ihrer Arbeit. Wie entlocken sie den Schauspielern ihre Leistungen?

85 Prozent meiner Arbeit ist getan, wenn ich die Besetzung zusammen habe, dann muß ich eigentlich nur noch da sein. Die denken dann, ich würde etwas tun. Sie benutzen mich als den, der ihr Licht einschaltet. Die meiste Zeit verbringe ich damit, Diskussionen mit ihnen zu vermeiden oder direkte Fragen zu verhindern. Ich will ihnen keinen Vorwand liefern, der es ihnen ermöglicht, sich ihrer kreativen Aufgabe zu entziehen. Sie müssen ihre Rolle selbst erschaffen. Ich rede mit ihnen über andere Dinge, beobachte, was sie machen und ermutige sie. Dann bringen sie Aspekte von sich aus ein, von deren Existenz ich nicht einmal wußte. Wenn all dies aus meinem Kopf kommen müßte, wäre ich ein Genie. Ich bin kein einsamer Schöpfer, ich könnte nichts alleine machen. Zudem ist das auch noch eine erregende Erfahrung: Man sieht in das Innere einer Person.

Ganz ohne Manipulation geht es doch wohl nicht.

Na ja, das stimmt. Die Schauspieler wollen auch nicht völlig allein gelassen werden, aber ich versuche es so zu tun, daß ich es selbst nicht merke.

Vor zehn Jahren, als Sie 55 waren, sagten Sie, daß Sie in ungefähr drei Jahren ihre Midlife-Crisis erwarten. Wie war es?

Ich glaube, ich hatte sie immer noch nicht. Ich fange aber an, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Ich bin ein bißchen vorsichtiger mit meiner Zeit, und was ich damit tue. Es ist absehbar, wieviele Filme ich noch machen kann. Vor zehn Jahren schien das noch unbegrenzt.

Sie haben Ihr ganzes Leben im Filmgeschäft gelebt. Bedauern Sie das manchmal?

Kein bißchen. Jeder Film war ein Leben für sich, mit Freundschaften, Liebesaffären und Krisen; jedesmal gibt es Geburt und Tod. Ich hatte 35 Leben.

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