: Die begründete Renitenz der Bauern
■ Nach dem Mangel nun der Überfluß mit mißlichen Folgen / Großhändler denken nur an eigenen Vorteil / Überraschende Idee des Ministerpräsidenten / Vom langen Weg durch die Instanzen / Wann verrät die Regierung die künftigen Marktbedingungen?
Berlin (taz) - Angefangen hat alles mit einem Regierungsbeschluß (15.1. 90). Dieser erlaubte es plötzlich jedem DDR-Bürger, Waren selbst zu importieren. Oder zu exportieren. Er mußte dazu nur eine Genehmigung vom Rat des Bezirkes einholen. Ein Vorgang, der wegen riesiger Nachfrage unkompliziert und schnell vonstatten ging. Damit war das Außenhandelsmonpol des Staates gebrochen.
Seitdem türmen sich massenhaft westdeutsche Produkte auf den ostdeutschen Landentischen. Darunter auch reichlich Nahrungsmittel. Für den westlichen Produzenten oder Händler gab es nur eine einzige Einschränkung: Er durfte sich nicht selbst in der DDR niederlassen, keine eigene Filiale eröffnen. Im Höchstfall konnte er sich bis zur Hälfte bei einer einheimischen Einrichtung einkaufen.
Die Folge dieser plötzlichen Freiheit war ein panikartiger Einkaufsstop der beiden Großhändler HO und Konsum. Sie kündigten zahlreiche Verträge auf und verweigerten die Abnahme der darin festgelegten Lieferungen. Der Rückstau ließ nicht lange auf sich warten. Der Handel wollte die Wurst nicht vom Schlachthof haben, der Schlachthof wollte kein Schwein mehr vom Mastbetrieb und dieser wiederum konnte keine Ferkel vom Aufzuchtbetrieb gebrauchen.
Die Folgen: Berge von Eiern verfaulen, Treibhaussalat wird tonnenweise verfüttert, die Schweineställe platzen aus allen Nähten. Seit Monaten machen die Bauern auf ihre miese Lage aufmerksam. Sie blockieren Grenzübergänge, machen die Medien mobil, verschenken oder verkaufen Ferkel auf der Straße und demonstrieren fast jedes Wochenende.
Noch im Febraur versuchte die Übergangsregierung zu retten, was zu retten ist und verordnete Abführungen an den Staatshaushalt für einige wenige Importprodukte, damit wenigstens eine preisliche Gleichstellung mit den landeseigenen Produkten raussprang. Doch kaum ein Händler hielt sich daran.
Die Bauernproteste gingen weiter. Eilig rang sich die jetzige Regierung einen neuen Beschluß ab (2. Mai 1990). Er soll nun die zügellosen Lebensmittelimporte bremsen. Der Inhalt: Einfuhrgenehmigungen werden ab jetzt zentral erteilt, für einige Produkte nahezu bedingungslos (Joghurt), für andere begrenzt (H-Milch) und für einige wenige gar nicht (Fleisch). Auch die Ausfuhr kommt wieder unter staatliche Kontrolle; rare Produkte sollen nämlich im Lande bleiben.
Doch die Bremse funktioniert nicht. Aus folgendem Grund: Alle bis zum 2. Mai erteilten Genehmigungen sind nämlich noch gültig. Das heißt, die einmal zugelassenen westdeutschen Erzeugnissen kommen munter weiter über die Grenze. Selbst wenn alle Händler sich an das neue Gesetz halten, kann es also gar keine Einschränkung geben. Im Gegenteil. Durch weitere, nunmehr zentral erteilte Lizenzen nimmt der Warenstrom auch noch zu. Außerdem fehlt eine wirksame Kontrolle. Wer dennoch bei Ungesetzlichkeiten geschnappt wird, kriegt lediglich die Lizenz entzogen - eine magere Strafe angesichts der fetten Gewinne, wenn's doch klappt.
Inzwischen hat das auch die Regierung gemerkt. Der Ministerpräsident äußerte überraschend eine Idee. Verbrauchsabgaben heißt nun das Zauberwort. Auf deutsch: noch höhere Preise für Westwaren. Der Käufer, der entweder einen horrenden Preis zahlt oder sich das Produkt lieber verkneift, ist mal wieder der Dumme. Aber er ist es nicht allein. Nehmen wir mal an, der Beschluß über die Abgaben wird nach nur zwei Wochen verabschiedet, dann dauert es weitere zwei Wochen, bis zum Bekanntwerden und noch einmal zwei Wochen bis zur ersten Wirkung. Bleiben ganze zwei Tage bis zur Währungs- und Wirtschaftssunion. Bei optimalem Verlauf, versteht sich.
Den Bauern bleibt also entweder, auf die ferne Abgabenregelung zu hoffen, oder aber sich mit der geltenden, aber wirkungslosen Bestimmung zu bescheiden. Beides hat wenig Sinn und so gehen die Landwirte wieder demonstrieren.
Auch am Montag auf dem Berliner Alexanderplatz. Die wichtigsten agrarischen Vereine (u.a. Bauernverband, Genossenschaftsverband) hatten aufgerufen. In den Ansprachen der einzelnen Vereinspräsidenten war diesmal kaum noch die Rede vom Einfuhrstopp. Zwar forderte man nach wie vor den Schutz des Binnenmarktes, doch die Forderung blieb allgemein. Jetzt geht es vielmehr darum, der Regierung endlich die künftigen Marktbedingungen zu entlocken: Steuern, Produktionslimite, darausfolgende Mindestpreise für Agrarerzeugnisse. Offenbar haben sich die Bauern damit abgefunden, daß von oben wenig Hilfe kommt.
Jana A. Göbel
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