piwik no script img

Öl in das „Höllenfeuer von Kalkar“?

■ Das Bundesverfassungsgericht hat im Streit um den Brüter die NRW-Landesregierung auflaufen lassen

Der Stellungskrieg zwischen der NRW-Landesregierung und den Brüter-Fans um den Reaktor vom Rhein ist gestern mit einer Bauchlandung der Düsseldorfer in eine neue Runde gegangen. Karlsruhe entschied, daß Töpfer gegenüber der Landesregierung eine erneute Sicherheitsüberprüfung des Brüters verbieten darf. Damit ist die Bauruine aber längst nicht aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküßt.

Töpfer hat gewonnen, die NRW-Landesregierung darf den Schnellen Brüter von Kalkar nicht mehr auf den sicherheitstechnischen Prüfstand stellen. Die Neubewertung des umstrittensten Reaktor der deutschen Atomwirtschaft vor dem Hintergrund der Katastrophe von Tschernobyl fällt endgültig ins Wasser. Und: Das Verbot dieser Neubewertung durch Töpfer war Rechtens. Dies ist - knapp zusammengefaßt das Ergebnis des Karlsruher Richterspruchs.

Hintergrund der Karlsruher Gerichtsentscheidung ist ein seit Jahren andauernder erbitterter Stellungskrieg zwischen dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium, der Genehmigungsbehörde für das Kraftwerk und der Brütergemeinde. Zu letzterer zählt die Schnell-Brüter -Kernkraftwerksgesellschaft (SBK) und der Essener Atomriese RWE, aber auch die traditionell atomfreundliche Reaktorsicherheitskommission, die hauptamtliche Gutachter -Combo des Bonner Umweltministers Klaus Töpfer. Die Brüter -Fans werfen NRW-Wirtschaftsminister Jochimsen eine gezielte Verschleppungsstrategie und Untätigkeit vor. Auch in ihrem neuen gemeinsamen Positionspapier, das die Atomindustrie zu ihrer „Jahrestagung Kerntechnik“ vergangene Woche in Nürnberg vorlegte, wird Jochimsen wieder scharf angegangen. Kernsatz: „Derzeit ist nicht absehbar, daß die Landesregierung von NRW von ihrer nicht hinnehmbaren Untätigkeit abrückt, die den Eindruck erweckt, Antragsteller und Finanziers sollen so lange hingehalten werden, bis sie selbst das Projekt aufgeben.“

Tatsächlich hatte die Landesregierung in 13 Jahren 17 Teilgenehmigungen für den Koloß am Rhein anstandlos passieren lassen, die letzte im Oktober 1985. Doch seitdem herrscht Ruhe an der Genehmigungsfront, der Brüter liegt im Koma. Den letzten Schlag hat ihm im April 1986 der explodierte Reaktor von Tschernobyl versetzt. Dieser Unfall hatte politisch viele Genossen zum endgültigen Abschied vom Brüter bewegt. Seitdem predigt der Düsseldorfer SPD -Fraktionschef Fahrtmann, daß das „Höllenfeuer von Kalkar“ niemals entfacht werden dürfe. Und seitdem wird von vielen Beobachtern der Brüter mit den anderen Ruinen der bundesdeutschen Atompleite - der WAA in Wackersdorf und dem eingemotteten Hochtemperaturreaktor in Hamm - in einem Atemzug genannt.

Tschnernobyl-Effekt

Aber auch im konkreten Genehmigungsverfahren blieb die Reaktorkatastrophe in der Ukraine nicht ohne Folgen. Die NRW -Landesregierung verlangte eine neue wissenschaftliche Sicherheitsbewertung vor dem Hintergrund von Tschernobyl. Im Mittelpunkt dieser Neubewertung sollte der sogenannte „Bethe -Tait-Störfall“ stehen, der bisher schon den Streit um die wacklige Sicherheit des Brüters beherrschte. Bei diesem Störfall - und hier liegt die Parallele zu Tschernobyl schwillt die atomare Kettenreaktion plötzlich lawinenartig und unbeherrschbar an. Die damit verbundene Hitzeentwicklung wird mit einem Schlag freigesetzt, der Reaktor explodiert. Unter den bundesdeutschen Atommeilern ist nur beim Brüter ein solches Szenario denkbar. Mit dem Unfall von Tschernobyl, so argumentiert der Bremer Brüter-Gutachter Richard Donderer, biete sich die Möglichkeit, „bisher rein theoretische Modellrechnungen anhand der Realität zu überprüfen“. Stimmt die Sicherheitsphilosophie, stimmen die papiernen Annahmen von einem Unglücksverlauf mit der Realität überein? Oder muß das Sicherheitskonzept des Brüters vielleicht grundlegend verändert werden?

Töpfer und seine Reaktorsicherheitskommission (RSK) wehrten sich von Beginn an gegen die Tschernobyl-Neubewertung. Das Ansinnen Düsseldorfs sei nichts anderes als pure Verzögerungstaktik und der leicht durchschaubare Versuch „den Ausstieg aus der Kernenergie über den Verwaltungsweg durchzusetzen“, funkte Töpfer aus dem Bonner Bunker. Und in einem Gutachten zur Notwendigkeit neuer Gutachten erkannte die RSK pflichtgetreu, daß „ein Unfall mit vergleichbaren Folgen wie in Tschernobyl beim SNR-300 (Brüter) auszuschließen“ sei. Und mehr noch: Es bestehe „keine Veranlassung, das Sicherheitskonzept des SNR-300 in Frage zu stellen“. Basta.

Prüfverbot - Denkverbot

Mit dieser Stellungnahme im Gepäck machte Töpfer schließlich ernst und schickte - ein Novum in der bundesdeutschen Atomgeschichte - der Düsseldorfer Landesregierung eine Weisung, mit der er eine neue Überprüfung des Reaktors amtlich untersagte. „Prüfverbot!“ - „Denkverbot!“ jaulte die NRW-Landesregierung und marschierte prompt nach Karlsruhe, um sich höchstrichterlichen Beistand zu holen. Der blieb ihr versagt. Karlsruhe hat jetzt die Bonner Weisungsbefugnis bestätigt.

Das Genehmigungsverfahren für den Reaktor wird sich jedoch auch ohne das Tschernobyl-Gutachten noch einige Jahre hinziehen. Seine Inbetriebnahme bleibt so ungewißt wie ehedem. Die Bonner SPD hatte denn auch - in Erwartung der Niederlage - schon vor der Urteilsverkündung das politische Aus des Brüters verkündet und die Brüter -Firmen SBK und RWE aufgefordert, endlich das Handtuch zu werfen und auf das Projekt zu verzichten. „Wie auch immer das Urteil ausfällt“, erkannte Forschungspolitiker Josef Vosen, „der Brüter ist tot“. Vosens Äußerung ist Teil der sozialdemokratischen Arbeitsteilung. Von Wirtschaftsminister Jochimsen sind solch harsche Töne nicht zu hören. Er wird das Genehmigungsverfahren weiter fortführen, streng nach „Recht und Gesetz“ - bis zum Sankt-Nimmerleinstag.

Manfred Kriener

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen