: Viel Bock auf Ausgewogenheit
■ „Null Satt 5“, Video-Magazin von Schülern eines Medienpädagogikprojekts
Er hat „die Starttaste“ fürs „Null Satt-Video“ natürlich doch nicht gedrückt, wie es die Presse-Information des Schulzentrums Helgolander Straße in Aussicht stellte: Senator Henning Scherf wutschte nur kurz im staubhellen Übergangsmantel durchs Treppenhaus, huldzähnig nickend nach allen Seiten, zu den Schülerpulks hin, die auf den Stufen hockten, um die Premiere des 5. Video-Magazins ihrer Mitschüler zu bejohlen. In Medienpädagogik-AGs und im Wahlpflichtunterricht der 7.-10. Klassen wird am Schulzentrum Helgolander Straße schon seit Jahren statt Schülerzeitung Video gemacht - mit einigem Erfolg, der sich in regionaler und überregionaler Anerkennung ausdrückt. Neuerdings wird die Projektarbeit auf die Kooperation mit zwei weiteren Schulen ausgedehnt: Schulzentrum am Rübekamp und Schulzentrum Lange Reihe. „Null Satt 5“ ist erstes Ergebnis
dieser Zusammenarbeit, und erstmals auch wird in dem Schüler -Magazin Computeranimation verwandt. Premiere also auf der ganzen Linie - und das in der großen Pause des Unterrichtsvormittags, gewissermaßen am Tatort selbst, wo es noch immer - wie zu meiner Schulzeit, und die ist lang, lang her - nach Fuß, Schweiß und Tränen riecht.
„Fortschrittliche 'Anti-Berieselung'“ wird vorgeführt, und das klingt ja doch sehr nach wertvollem Schulunterricht, klingt nach dem 68er-Pädagogen-Eros, mit dem man einer ganzen Schülergeneration per aufklärendem Deutschunterricht das Comic-Lesen interpretierend vermasselt hat, auf daß die Schüler „kritikfähig“ würden. Und jetzt ist eben das Fernsehen dran. Dem bösen, bösen Telecommander wird „selber machen“ entgegengesetzt, den Kaufhaus-Computerspielen - bei denen die Erwachsenen ums Seelenheil der Kinder fürchten die „kreative“ Nutzung. Und was dabei herauskommt, ist eine brav-witzige Mischung aus Fernsehmagazin-Imitation und wohlerzogenen Gags.
Ist dagegen was zu sagen? Natürlich nicht. Denn diese Videos machen den Schülern spürbar Spaß, den Produzenten wie den sich beömmelnden Konsumenten im Pausenflur, die diesen und jenen im Magazin sofort erkennen,
anders als schulfremde Zuschauer wie ich. Und sicher sind die Video-Macher hochbefriedigt, wenn ihnen ein Interview wie das mit dem Fußballer Oliver Freund gelingt, oder Musik -Collagen, oder ein Computer-Moderator, dem beim Thema Küssen elektronische Herzchen aus dem Munde hüpfen. Oder Interviews mit Graffiti-Sprühern, oder Erika Berger, die in einen Beitrag über „Küssen auf dem Schulhof“ hineingeschnitten wird: Eine Mischung aus nicht -professioneller Imitation und nicht-professionel
lem Charme. Nette Aufmüpfigkeiten folgen auf stockbiedere Themen, wie zum Beispiel das Interview mit einem Schüler aus der DDR, der selbstverständlich des Lobes voll ist über die tollen Lehrer in der BRD.
Stolz sind die Schüler auf ihre Arbeit, und das zurecht. Sie lernen im „fortschrittlichen Unterricht“, moderne Medien zu benutzen. Aber weil sie das in der Schule - und damit fürs Leben - lernen, lernen sie die mediale Ausgewogenheit gleich mit.
Sybille Simon-Zülch
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